Das Mädchen spielt nicht mit den anderen Kindern. Denn es versteht nicht, warum diese immer wieder die Regeln anpassen, neue Ideen haben, so laut sind. Solches bedrückt das Mädchen, macht es auch wütend. Es gibt Konflikte. Monika ist eine Aussenseiterin, nicht beliebt bei anderen. Sie hat es schwer.
Die Geschichte der heute 25-Jährigen startet in der Kindheit. Auch daheim läuft es damals nicht gut, sie bekommt nicht die Geborgenheit und Sicherheit, die sie gebraucht hätte. Besonders gebraucht hätte. Damals weiss noch niemand, dass sie eine besondere Veranlagung hat. Erst vor Kurzem hat sie die Diagnose erhalten: Autismus-Spektrum-Störung. In Kombination mit ADHS. Davor vermutete man alles Mögliche, etwa eine schizoide Persönlichkeitsstörung. Deren wichtigstes Merkmal ist das Desinteresse an sozialen Beziehungen.
Sie duzt den CEO und kann Einflüsse nicht filtern
Doch Monika will ja Beziehungen zu anderen Menschen. Nur hat sie grosse Schwierigkeiten damit. Sie lebt wie in einer anderen Welt. Mit anderen Wahrnehmungen, mit einem anderen Verstehen. Aussagen zum Beispiel nimmt sie wörtlich, sie kann nicht erfassen, dass diese in einem bestimmten Kontext relativ sind. Oder dass man auch zwischen den Zeilen lesen kann.
Ein Beispiel: In ihrem Lehrbetrieb hiess es, dass alle einander duzen. Also duzte sie auch den CEO. So war es aber nicht gemeint. Sie eckt an. Man versteht nicht, dass sie nicht stets lächelnd durch die Welt läuft. Dass ihr Augenkontakt schwerfällt. Dass ihr das Sensorium fehlt, welche Kleidung in welcher Situation für angemessen erachtet wird.
Vor allem auch macht ihr die Flut von Ausseneinflüssen Mühe. Sinneseindrücke, besonders Licht und Lärm, viele Informationen, auch Ansprüche und Aufgaben, die sie erfüllen soll. Es ist, als ob ihr der Filter fehlt, der Wichtiges von weniger Wichtigem trennt. Die meisten Menschen entscheiden quasi automatisch, was wir ignorieren können. Monika ist dem allem praktisch wehrlos ausgesetzt. Das ist nicht einfach Einbildung oder die Folge eines diffusen psychischen Problems. Es hat handfeste Ursachen im Gehirn, wo gewisse Verbindungen anders laufen als bei einem Grossteil der Bevölkerung. Und das wird so bleiben.
Die Lehre, der Alltag – und ein Kind
Monika kann zwar eine Lehre starten, aber diese nicht beenden. Die Anforderungen von aussen sind zu gross. Sie versucht Brückenangebote, keines erweist sich als geeignet für ihre Situation, zumal zu dieser Zeit die korrekte Diagnose noch gar nicht besteht.
Noch bevor sie eine weitere Lehre startet, wird sie in ihrer damaligen Beziehung schwanger. Diese zerbricht. Auch sieht sich der Kindsvater nicht in der Lage, sie zu unterstützen. Eine Zeit lang versucht Monika, alles unter einen Hut zu bringen: das Leben als Mutter, die Lehre, den Alltag mit zahllosen kleinen Anforderungen. Doch sie kann das nicht schaffen. Und muss den schwersten Entscheid ihres Lebens treffen: Sie gibt ihr Kind in eine Pflegefamilie.
«Ich spürte, dass ich ihm nicht das bieten kann, was ich für ihn möchte», erklärt sie. Sie behält die elterliche Obhut, bleibt somit in alle wichtigen Entscheidungen involviert und nimmt ihr Kind jedes zweite Wochenende zu sich. Es geht ihm gut. Ob sie irgendwann wieder mit ihrem Kind zusammenleben kann, steht in den Sternen. Das Hier und Jetzt zu bewältigen steht für Monika im Vordergrund. Vor allem auch herauszufinden, was die Autismus-Diagnose, die sie erst seit dem letzten Jahr hat, für sie und ihr Leben bedeutet.
«Welche Erwartungen erfüllen? Wo darf ich mich schützen?»
Die Lehre konnte sie nicht abschliessen. Dazu beigetragen hat auch ein traumatisches Gewalterlebnis, das sie erleiden musste. Und das ihr Vertrauen in die Menschen und in die Welt alles andere als gestärkt hat. Und doch macht sie in letzter Zeit erstaunliche Fortschritte. Nicht zuletzt dank der LZ-Weihnachtsaktion, welche die Kosten für eine professionelle Beratung übernahm. Diese unterstützt sie im Alltag, zeigt ihr neue Wege auf. Beeindruckend ist auch, dass es Monika geschafft hat, alle Schulden, die sie über lange Zeit wegen ihrer Überforderung angehäuft hat, zurückzuzahlen. Sie ist schuldenfrei und wird davon unbelastet ins neue Jahr starten.
Vor allem aber lernt sie: «Was wollen Menschen von mir? Welche Erwartungen soll ich erfüllen? Und wo darf ich mich schützen?» Blickkontakt etwa sei wichtig, ist ihr immer eingeschärft worden. Heute akzeptiert sie, dass ihr das oft nicht möglich ist. Oder dass sie ihre Gefühle nicht so gut zeigen kann und darum oft kühl wirkt. Vor allem auf Menschen, die sie nicht so gut kennen.
Beziehungen zu Menschen, denen sie vertraut
Andererseits gelingen ihr Anpassungen. Inzwischen fährt sie mit dem Bus, auch wenn es dort viele Leute hat. Und wird sie einmal angestarrt, kann sie das besser einordnen. «Bald werde ich auch mal in der Stosszeit Bus fahren, wenn es richtig voll ist», sagt sie mit dem Anflug eines Lächelns. «Und beim Einkaufen auch mal ein paar Worte mit der Kassiererin wechseln».
Selbstverständlich, könnte man meinen. Doch für Monika sind solche Dinge bemerkenswerte Erfolge. Genau so, wie es ihr gelingt, Beziehungen zu pflegen. Es sind nicht viele, aber dafür mit Menschen, denen sie vertraut. Und die sie so nehmen, wie sie ist.
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