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LZ-Weihnachtsaktion

Wenn es Abend wird, verdunkelt die dreifache Mutter ihre Fenster: «Ich führe zwei Leben, das eine ist voller Angst»

Franziska hat mit drei Kindern nach Jahren der häuslichen Gewalt ihren Mann verlassen und macht einen Neustart. Wir helfen ihr dabei. Ihre Geschichte zeigt exemplarisch, wie physische und psychische Gewalt schleichend eskalieren.

Die Welt einer Luzerner Familie geriet vor zehn Jahren aus den Fugen. Die heute 44-jährige Mutter dreier Kinder musste erleben, dass ihr damaliger Ehemann zwei Gesichter hat. Das Zusammenleben war bald nicht mehr erträglich. «In einem schleichenden Prozess, der sich fast unmerklich durch den Alltag zog, wurden kleine Spannungen und harmlose Bemerkungen zu massiven Vorwürfen. Erst spät erkannte ich, dass sich solche Muster schon kurz nach unserem Zusammenziehen abgezeichnet hatten», blickt sie zurück. Die Beziehung zerbrach, Franziska verbrachte mit ihren Kindern mehrere Monate im Frauenhaus.

Franziskas Leben ist von ständiger Angst geprägt. Zu ihrem Schutz zeigen wir sie anonymisiert und haben für diesen Bericht ihren Vornamen geändert.
Bild: Dominik Wunderli (17. 11. 2025)

Heute sagt Franziska, sie erkenne sich selber von damals kaum wieder: «Ich weiss nicht, warum ich so lange bei ihm geblieben bin. Ich vermied Konflikte, wollte es allen recht machen, weil ich glaubte, mit Geduld liessen sich Probleme lösen.» Ihr sei inzwischen bewusst, dass viele Frauen in solchen Situationen ähnlich wie sie meinen, versagt zu haben.

Das Gefühl, nichts wert zu sein

Franziska erzählt, wie ihr Ex-Mann sie im Alkoholrausch misshandelte und mit dem Tod bedrohte. Wobei ihr die psychische Gewalt mit der Zeit sehr viel mehr zugesetzt habe. «Er vermittelte mir das Gefühl, nichts wert zu sein. Meine Festanstellung etwa hätte ich durch sexuelle Gefälligkeiten erreicht, nicht weil ich qualifiziert sei. Es war grauenvoll», schildert sie einige Vorwürfe.

Auch habe er stets ihr Outfit kontrolliert. «Wegen seiner Eifersucht sah er überall Provokationen». Zudem habe er sie jeden Tag angerufen. «Ihn zu ignorieren, war keine Option. Ich wusste, was mich erwarten würde.» Dabei ist anzumerken, dass Franziska nicht wie eine Frau wirkt, die sich leicht einschüchtern lässt. Auch für das Umfeld trügte der Schein: «Freunde bewunderten unsere vorbildliche Ehe. Mein Ex spielte seine öffentliche Rolle perfekt.»

Einschneidend war der Moment, als sie eine Reise buchen wollten. Das Konto mit dem Feriengeld war leer. «Er hatte unsere Ersparnisse aufgebraucht. Damals begann er auch mit dem Trinken. Durch den Alkohol verlor er immer mehr die Kontrolle und wurde aggressiv», gibt sie Einblick in seinen Wandel.

Der erste Polizeieinsatz

Nach der Geburt des ersten Kindes, einer Tochter, wurde es abscheulich. Es folgten die ersten sexuellen Übergriffe. Der Mann holte sich «die Liebe» seiner Frau gegen ihren Willen. «Er bestand darauf, dass ich meinen ehelichen Pflichten nachkommen müsse.» Darüber hinaus habe er ihr vorgehalten, sie habe sein Leben mit der Heirat und den Kindern versaut.

Die Adventszeit war jeweils unerträglich, und um Weihnachten eskalierte die Situation oft. Eines Tages drohte er ihr mit einem Messer, sie zu töten. Es kam zum ersten Polizeieinsatz, den die Familie erlebte, weitere folgten. Franziska rechnete fortan jederzeit mit Tätlichkeiten und richtete sich entsprechend ein. «Mein Mobiltelefon trug ich immer bei mir, damit ich sofort reagieren und Hilfe rufen konnte.»

Dann folgte die Reue – aber sie dürfe ihn halt nicht provozieren

Wenn sie erzählt, wirkt es oft so, dass Erniedrigungen und Gewalt halbwegs erträglich gewesen seien. Sie selber hinterfragt sogar, ob sie nicht doch manchmal die Drama-Queen war, die er es ihr unterstellt hatte. «Wenn man täglich angeschuldigt wird, versucht man eben, keinen Stress zu machen. So gab ich mir Mühe, im Glauben, dass wenn es ihm gut geht, es für uns auch gut ist.»

Auf Aggressionen folgte meistens Reue in Form von Blumen und Entschuldigungen. Zusammen aber mit der Mahnung, sie dürfe ihn halt nicht provozieren. Sie verliess ihn mehrere Male, kehrte aber immer wieder heim. Auch die Anzeigen gegen ihn zog sie zurück. Doch die Spirale drehte sich. Zuletzt floh sie zu Verwandten. Diese waren ahnungslos, wie das gesamte Umfeld.

Derzeit leben Franziska und die Kinder im Kanton Luzern. Die LZ-Weihnachtsaktion unterstützt sie beim Neustart. Das Gericht ordnete für ihren Ex-Mann ein begleitetes Besuchsrecht an. Gebrauch gemacht hat er davon noch nie. Die Frau steckt in einem Dilemma. Sie befürchtet, dass er ihren Wohnort kennt, was sie im Privatleben enorm einschränkt. «Wenn es dunkel wird, schliesse ich die Wohnung und verdunkle die Fenster. Veranstaltungen besuchen wir zu Randzeiten, wenn es übersichtlich ist und wenig Leute hat.»

Eine Begegnung mit ihrem Ex wäre schlimm für sie. Aber einen erneuten Umzug will sie den Kindern nicht zumuten. Hinzu kommt die stete Angst, ihre Kinder zu verlieren. «Nicht wegen ihm. Eher von behördlicher Seite. Falls ich externe Hilfe holen würde, um zu lernen, mit der Situation umzugehen, den sexuellen Missbrauch zu verarbeiten und wieder Vertrauen aufzubauen.»

Sorgen sind sachlich unbegründet, aber typisch für die Situation

Schlaf findet sie kaum, stattdessen sucht sie nächtelang nach einem Ausweg. Die Betreuerin des Frauenhauses, die sie auch nach dem Austritt noch berät, kennt solche Befürchtungen: «Franziska muss sich keine Sorgen über ihre Kinder machen. Aber ihre Reaktion ist typisch für Frauen in ihrer Situation.» Trotzdem fühlt sich die Mutter ohnmächtig und verloren. «In Gedanken verfolgt der Ex mich auf Schritt und Tritt.» Nur bei der Arbeit blüht sie auf, weil sie von den Mitarbeitenden geschätzt und respektiert wird. «Ich führe zwei Leben, eines ist geprägt von Angst, das andere erfüllt mich.»

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