
Ist das die Möglichkeit? Ist diese Athletin tatsächlich bezwingbar? Normalerweise ist Slalom der Frauen, wenn Mikael Shiffrin nicht einfach nur gewinnt, sondern ihre Konkurrentinnen richtiggehend dominiert. Die vier bisherigen Slaloms hat sie alle mit mehr als einer Sekunde Vorsprung gewonnen. Aber an diesem Sonntag in Semmering scheint vieles irgendwie anders.
0,54 Sekunden verliert Shiffrin auf die Führende, weil die 30-jährige Amerikanerin für ihre Verhältnisse erstaunlich viel Reserve einbaut. Bedingungsloser Angriff sieht bei ihr in der Regel anders aus. Sie öffnet der Konkurrenz Türe für einen Coup.
Allen voran für Camille Rast, die eine formidable Fahrt zeigt und bei Halbzeit führt. Und wir erinnern uns: Als sie erst- und letztmals nach einem ersten Lauf auf Platz 1 lag, gewann sie im letzten Februar WM-Gold. «Es fühlt sich gut an. Aber es ist noch nichts gewonnen», sinniert Rast zwischen den Läufen.

Vielleicht ahnte sie schon, dass Shiffrin eine Schippe würde drauflegen können. Aber vor Ehrfurcht erstarren? Das ist nicht ihr Ding. Schliesslich ist Rast skitechnisch gesehen die Schweizer Antwort auf Shiffrin. Und es sollte tatsächlich noch zu einem wahren Krimi zwischen den beiden kommen.
Noch bleibt Mikaela Shiffrin ungeschlagen
Shiffrin, Vierte bei Halbzeit, zeigt im zweiten Durchgang eine Nonplusultra Leistung. Fährt trotz hoher Nummer und stark gezeichneter Piste Laufbestzeit. Als die Letzte, Camille Rast, startet, liegt Shiffrin mit mehr als einer Sekunde Vorsprung auf Lara Colturi in Führung. Und behält diese auch, weil Rast die Winzigkeit von neun Hundertsteln für den ersten Saisonsieg fehlen. Nie ist Shiffrin eine Konkurrentin in dieser Saison näher gekommen. Und es scheint, als wäre Rast derzeit die einzige, die sie im Slalom ernsthaft herausfordern kann.
«Ich wäre lieber Erste geworden. Aber es läuft gut, ich bin zufrieden», resümiert Rast nach dem dritten Podestplatz in Serie. Gut gelaufen ist es auch der 26-jährigen Urnerin Elaine Christen, die sich vom 17. auf den 9. Platz verbessert und damit ihr Karrierebestergebnis eingefahren hat. Und den Ansprüchen entsprechen ordentlich lief es Wendy Holdener, die ihren sechsten Platz aus dem ersten Lauf verteidigt hat. Hingegen gibt Melanie Meillard (16.) weiterhin Rätsel auf.
Camille Rast setzt im Riesenslalom einen drauf
Der mutige, wilde, etwas verwegene Ritt, den Camille Rast am Samstag im Riesenslalom auf der ruppigen Holperpiste zeigt, entpuppt sich als veritables Husarenstück. Fünfte ist sie nach dem ersten Lauf. Doch damit gibt sie sich nicht zufrieden. Voller Angriff ist ihre Devise. Und es geht auf. Als Julia Scheib, die Zweitplatzierte des ersten Durchgangs, sich aus dem Starthaus katapultiert, sitzt Rast noch immer in der Leaderbox, liebäugelt zurecht mit ihrem ersten Weltcupsieg im Riesenslalom.
Daraus wird leider nichts, obwohl die Halbzeit-Leaderin Sara Hector hinter Rast zurückfällt. Doch eine ist auf dieser extrem selektiven Piste schneller als die Schweizerin: Julia Scheib. Die 27-jährige Österreicherin, die vor dieser Saison in 45 Riesenslaloms erst einmal aufs Weltcup-Podest fuhr, absolviert den Kurs um 14 Hundertstelsekunden schneller als Rast.
Julia Scheib: raus aus dem Schatten, rein ins Licht
Da Alice Robinson, die vor Semmering zwei der vier Riesenslaloms gewonnen hat, im ersten Lauf ausscheidet, entbehrt es nicht einer gewissen Logik, dass Scheib dieses Rennen gewinnt. Die Frau, die mit Michael Schiendorfer den gleichen Manager hat wie Marco Odermatt, erlebt in diesem Winter einen kometenhaften Aufstieg. Letzte Saison hatte sie die Disziplinenwertung auf dem unspektakulären 9. Rang beendet, eine Position vor Rast. Doch nun ist sie in den vier Rennen, in denen sie ins Ziel kommt, nie schlechter als auf Platz 2 klassiert.

Mit ihrem dritten Saisonsieg beendete Scheib auch eine 13-jährige Durststrecke der Österreicherinnen im Semmering-Riesenslalom. Den letzten Heimsieg am Zauberberg realisierte Anna Veith 2012.
Zurück zu Camille Rast: Ihr zweiter Podestplatz im Riesenslalom, der erste in dieser Saison, ist eben so logisch wie Scheibs Triumph. Allein, weil die Walliserin in dieser Disziplin zuletzt zweimal auf Platz 4 fuhr. Aber auch, weil die begnadete Technikerin die Hüftprobleme, die sie seit dem Ende der vergangenen Saison quälen und im Sommer kein optimales Training zugelassen haben, offenbar nicht mehr derart beeinträchtigen wie noch zu Saisonbeginn.
Traumhafte Aussichten also für Olympia. Bezogen auf Camille Rast ist man sogar geneigt zu bedauern, dass die Spiele nicht schon morgen starten, so bestechend ist ihre Form. Andererseits muss man aber auch konstatieren, dass hinter Rast im Schweizer Riesenslalom-Team eine riesige Lücke klafft. Dass Wendy Holdener als zweitbeste Athletin von Swiss Ski mit Platz 15 ihr bestes Saison-Resultat abliefert, sagt einiges aus.
Resultate. Slalom Frauen in Semmering: 1. Mikaela Shiffrin (USA) 1:48,82. 2. Camille Rast (SUI) 0,09 zurück. 3. Lara Colturi (ALB) 0,57. 4. Katharina Liensberger (AUT) 0,91. 5. Katharina Truppe (AUT) 0,93. 6. Wendy Holdener (SUI) 2,76. – Ferner: 9. Eliane Christen (SUI) 4,25. 16. Melanie Meillard (SUI) 5,73. 20. Aline Höpli 6,94. - Riesenslalom Frauen in Semmering: 1. Julia Scheib (AUT) 1:56,46. 2. Camille Rast (SUI) 0,14 zurück. 3. Sara Hector (SWE) 0,40. 4. Valerie Grenier (CAN) 0,77. 5. Maryna Gasienica-Daniel (POL) 1,36. – Ferner: 15. Wendy Holdener (SUI) 2,77. 22. Vanessa Kasper (SUI) 3,42. - Ausgeschieden: Alice Robinson, Lara Colturi u.a. – Disziplinenwertung: 1. Scheib 380 Punkte. 2. Robinson 292. 3. Rast 241. 4. Hector 219. – Ferner: 22. Holdener 51.



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