Nichtsahnend lese ich die Zeitung. Schon auf der ersten Seite stechen sie mir ins Auge wie tausend spitze Nadeln. Floskeln. Überall Floskeln. Sie kleben mir im Gehirn wie Kaugummi unter dem Schultisch. Irgendwo sorgt etwas für rote Köpfe, gleich danach wird einem Projekt grünes Licht erteilt. Noch bevor ich die zweite Seite aufschlage, steht schon wieder etwas in den Startlöchern. Und sind die Würfel zum millionsten Mal gefallen. Ich muss gähnen und schlafe ein.
Floskeln sind die Tütensuppe des Journalismus (ohne Geschmacksverstärker): schnell angerührt, aber dünn im Geschmack. Sie schmecken nach Routine, nicht nach Überraschung. Wer «das Ende der Fahnenstange» zum hundertsten Mal liest, ahnt: Hier ist nicht die Grenze erreicht, sondern die Fantasie begrenzt. Und wer erneut hören muss, dass «die Weichen gestellt» werden, fährt lieber Fahrrad. Mein Verdikt, nachdem ich wieder aufwache: Diese Sprachfossilien haben im 21. Jahrhundert nichts verloren!
Doch dann fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Ich, der grosse Floskelkritiker, gehöre selbst zu jenem exklusiven Zirkel, der diese Zeitung mit Leben füllt. Schwangen nicht letztens in meiner Überschrift ein paar Zugerinnen und Zuger das Tanzbein? Mussten nicht auch schon in meinen Texten irgendwelche Gemeinden den Gürtel enger schnallen – wenn auch sicher nicht in Zug? Die bittere Erkenntnis ist zugleich eine traurige Gewissheit. Ich heisse mich willkommen in der Selbsthilfegruppe der Sprachsadisten: Guten Tag, mein Name ist Felix Ertle und ich reproduziere Plattitüden.
Schluss mit den leeren Worthülsen! Ich fasse mir ein Herz und gelobe Besserung. Ich will künftig schreiben, bis kein Auge trocken bleibt. Ich will Nägel mit Köpfen machen und meine Sprachbilder auf Herz und Nieren prüfen. Denn was mir beim Lesen den Appetit verdirbt, schmeckt den anderen bestimmt auch nicht.
Und deshalb, liebe Gemeinschaft der Lesenden, verspreche ich hoch und heilig, ab jetzt nur noch Sprachdelikatessen zu servieren. Bei mir werden die Sätze tanzen, als hätten sie zu viel Espresso getrunken, mitreissen wie unerwartete Rockkonzerte im Fahrstuhl und Ihrem Intellekt schmeicheln, wie ein Politiker seinem Spiegelbild.
Nun gibt es kein Zurück mehr: Der Drops ist gelu ... (komm schon) ...ngen.
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