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MOUNTAINBIKE

Vater über Mountainbikestar Nino Schurter: «Er hatte einen Haufen Flausen im Kopf»

Nino Schurters Vater, Ernst Schurter spricht im Interview über das Erfolgsrezept seines Sohnes, dessen Kindheit und er sagt: «Lange hat Nino gar nicht gross trainiert.»

Ein letztes Rennen bleibt noch. Am Fusse des Parpaner Rothorns, ausgerechnet am Ort seines emotionalsten Erfolgs, verabschiedet sich Nino Schurter am Sonntag vom Mountainbikezirkus. Vater Ernst Schurter freut sich auf ein letztes Mal Gänsehaut. Und sagt im grossen Interview: «Nino ist ein Profi, ständig unter Strom.»

Ernst Schurter blickt auf ereignisvolle und emotionale Karriere seines Sohnes zurück.
Bild: Archiv

Ernst Schurter, am Sonntag endet die Ära Ihres Sohnes. Was löst das bei Ihnen aus?

Emotionen. Ganz viele Emotionen. 32 Jahre waren wir mit ihm unterwegs, seit er als 7-Jähriger sein erstes Rennen gemacht hat. An eine Karriere hat damals noch keiner gedacht. Wir fuhren einfach gerne Velo.

Wie ging es weiter?

Es gab damals eine Rennserie für Kinder. Nino hat sich von Kategorie zu Kategorie hochgearbeitet und sich in den Rennen profiliert. Und das, ohne gross zu trainieren (lacht). Die vier besten Athleten jeder Kategorie durften damals in ein Lager. Diese Plätze waren heissbegehrt. Weil man sich dann eine Woche lang irgendwo in den Bergen austoben durfte. Diese Lagerwoche war auch immer Ninos Ziel. So ging das, bis Nino bei den Junioren irgendwann gemerkt hat, dass es hier um WM-Titel geht. Da entstand der Biss, weiterzukommen. Und er begann, seriöser zu trainieren.

Sein erstes eigenes Mountainbike soll er erst als 12-Jähriger erhalten haben.

Wir waren keine reichen Leute. Deshalb mieteten wir am Anfang Velos für Nino. Oder wir kauften Occasionen. Mit zwölf liessen wir dann bei einer Firma in Meilen erstmals einen Rahmen herstellen.

Wann spürten Sie, dass da etwas Grosses entstehen würde?

Es ist lustig: Nino hat nie gesagt, dass er Mountainbike-Profi werden wolle. Ich merkte früher, dass da etwas kommen konnte. Im Teenager-Alter hat mich ein Teammanager von Scott angesprochen und gesagt, er würde Nino gerne aufnehmen. Bloss: Er sei nicht seriös. Ich antwortete ihm: «Nino ist vielleicht nicht immer seriös. Aber er könnte ein richtig guter Mountainbiker werden.»

Wie war Nino als Kind?

Er war ein Lausbub, hatte einen Haufen Flausen im Kopf. In der Schule machte er seine Dinge. Aber nie zu viel. Einfach so, dass es gerade reicht. Er war immer irgendwo unterwegs, wir mussten ihn oft suchen gehen. Die Mutter hat dann jeweils durchs ganze Dorf gerufen: «Nino, heimkommen!» Er war ein sehr positiver Mensch.

Wie haben Sie als Eltern die Karriere Ihres Sohnes begleitet?

Wir versuchten ihn, immer und überall zu unterstützen. Wir boten ihm eine helfende Hand, pushten ihn nie zu etwas. Wir liessen ihn einfach machen, was er am liebsten machte. Ich möchte das gerne als Ratschlag an alle Eltern weitergeben: Pusht eure Kinder nicht. Ich habe viele Eltern kennengelernt, die versuchten, ihre eigenen Träume im Kind auszuleben. Viele dieser Kinder haben im Alter von 17, 18 Jahren aufgehört.

Ihr Sohn behauptete sich fast zwei Jahrzehnte an der Weltspitze. Wie ist das möglich?

Das ist schon erstaunlich. Ich kann es mir nur durch die Freude am Sport erklären. Es kam oft vor, dass ich am Start auf den Zuschauerrängen nervös war. Und Nino? Er hat auf der Startlinie gelacht. Er freute sich auf diesen Kampf gegen die anderen. Darauf, sich zu messen. Dazu kommt: Nino hat ein sehr hohes Ego. Er will der Beste sein. Diese Einstellung brauchst du im Spitzensport. Die meisten Rennen hat Nino mit seinem Kopf gewonnen. Mit seinem unbändigen Willen.

Auch körperlich setzte Nino Schurter im Mountainbikesport neue Massstäbe.

Seine Physis ist perfekt. Vielleicht nicht für den Sprint. Aber er bringt ein unglaubliches Gesamtpaket mit. Für einen Sport, der brutal ist – technisch und physisch. Mountainbike ist ein extrem kompletter Sport. Dazu kommt, dass Nino immer alles getan hat, um an der Spitze zu bleiben. Er war so was von konsequent. Es konnte kalt sein, regnen - Nino hat sein Training durchgezogen.

Woher kommt diese Kompromisslosigkeit?

Das ist Nino. Ich war einst Eishockeygoalie in Kloten in der NLA, war auch sehr angefressen. Aber bei Nino ist das noch ein Level höher.

Welches war für Sie als Vater der emotionalste Moment in der Ära Schurter?

Ich erinnere mich an seinen ersten Junioren-Weltmeistertitel in Les Gets. Das war Wahnsinn. Aber da ist vor allem Lenzerheide 2018. Diese Stimmung, das ist Gänsehaut pur. Überhaupt war 2018 ein perfektes Jahr, er stand in jedem Rennen auf dem Podest. Es ist schon speziell: In einer «normalen» Karriere gibt es immer auch negative Emotionen. Bei Nino war immer alles: wow. Er war nie verletzt, immer parat.

Stichwort Lenzerheide: Ein ganzer Berg rief damals «Nino, Nino». Was machte das mit Ihnen?

Solche Emotionen kannst du nicht beschreiben. Man freut sich einfach wahnsinnig für sein Kind. Eigentlich ist es ja schon speziell: Ich habe nichts mit den Erfolgen von Nino zu tun. Und doch kommen Leute zu mir und gratulieren mir. «Ernst, das hast du gut gemacht.» Dabei habe ich doch gar nichts gemacht.

Gab es auch schwierige Momente?

Vielleicht die Olympischen Spiele in London 2012. Nino war damals vorne. Es war so laut, dass er nicht hörte, wie er kurz vor dem Ziel noch angegriffen wurde. Auf den letzten Metern hat ihn Jaroslav Kulhavy noch übersprintet. Ich hörte nach dem Rennen einen Mechaniker sagen, dass er von Nino enttäuscht sei. Das hat mich getroffen. Dass die eigenen Leute nicht hinter ihm stehen. Dabei hatte Nino gerade Olympia-Silber gewonnen. Gold holte er dann zum Glück vier Jahre später in Rio nach.

Wie verfolgten Sie die Rennen Ihres Sohnes?

Ich zog mich gerne etwas zurück, schaute die Rennen in Ruhe. Ich mag es nicht, wenn andere Leute um mich herum sind und ständig auf mich einreden.

Wie tauschten Sie sich rund um die Rennen aus?

Für Nino war seine Tochter immer am wichtigsten (lacht). Sie wollte immer zu ihm aufs Podest. Mittlerweile fährt sie selbst – und will auch da immer aufs Podium. Nino und ich haben uns vielleicht vor dem Rennen kurz gesprochen. Oder nach dem Rennen. Ich fragte ihn dann jeweils Dinge zu einzelnen Momenten. Aber Nino war nie der Typ, der viel erzählte.

Auch nicht zwischen den Rennen?

Nino ist ein Profi, ständig unter Strom. Er war oft absorbiert, war viel am Organisieren und hatte wenig Zeit. Nur im Winter war das anders.

Was hat der ganze Erfolg mit ihm gemacht?

Nino ist sich immer treu geblieben. Bodenständig, null Starallüren. Das ist eigentlich schon erstaunlich.

Ist es der richtige Moment für den Rücktritt?

Absolut. Das merkst du ihm an. Er ist nicht mehr bereit, das allerletzte aus sich herauszuholen. Das war im vergangenen Jahr noch anders.

Wie haben sie ihn in den letzten Tagen erlebt?

Ich war am vergangenen Wochenende an der WM in Crans-Montana. Ich glaube, er hat es nochmals richtig genossen, an einer WM im Schweizer Dress starten zu dürfen. Und er hat eine Show abgezogen, nutzte dafür jeden Sprung (lacht). Ich bin gespannt, ob er in der Lenzerheide auch so auftritt. Oder ob er sich denkt, dass er vor Heimpublikum nochmals etwas zeigen muss. Für mich ist beides möglich.

Haben Sie Angst, dass Ihr Sohn nach der Karriere in ein Loch fällt?

Nino macht sich sicher Gedanken zu seiner Zukunft. Er wird ja weiter Rennen fahren, aber nicht mehr im Mountainbike-Weltcup. Beruflich ist er durch seine Ausbildung als Mediamatiker in verschiedenen Dingen sehr versiert. Da stehen ihm alle Türen offen. Ich bin sicher, dass er seine Richtung finden wird. Da habe ich gar keine Angst.

Gibt es in der Lenzerheide eigentlich ein grosses Abschiedsfest?

Es wird sicher nochmals eine tolle Atmosphäre. Und sein Team organisiert am Samstagabend einen Abschied.

Am Abend vor dem Rennen?

Ich hoffe, Nino geht früher ins Bett als ich (lacht). Ich bin sicher, dass wir auch am Sonntag nochmals anstossen werden, in welchem Rahmen auch immer.

Haben Sie noch eine letzte Botschaft an Ihren Sohn?

Mach weiter so. Zieh dein Ding durch.

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