
Dann ist der Sieg vollbracht. Lucas Pinheiro Braathen sinkt auf die Knie. Er streckt die Arme aus. Schreit ein langes «Jaaaaa!» in den Himmel. Kurz darauf, als sich ihm die Kamera im Zielraum nähert, scheppert er ein «Vamos Brasil!» hinterher.
Es ist wahrlich eine wundervolle Geschichte. Pinheiro Braathen sorgt mit seinem Triumph im Slalom von Levi für den ersten Sieg in Brasilien Ski-Geschichte. In den Momenten kurz nach Rennende muss der 25-Jährige immer wieder mit seinen Emotionen kämpfen. Es ist, als falle alle Last auf einmal ab.
Fünfmal gewinnt Braathen in seiner ersten Karriere für Norwegen ein Skirennen. Dann tritt er im Oktober 2023 zurück. Er ist müde und zermürbt vom langen Kampf mit dem Verband. Ein Jahr später taucht Braathen wieder auf. Er startet neu für Brasilien. Fünf Podestplätze holt er für das Land seiner Mutter in der ersten Saison. Aber noch keinen Sieg.
Bis am Sonntag. Rang 1: Pinheiro. Vamos Brasil. Wie fühlt sich das an? Braathen, aus dem es sonst ohne Punkt und Komma sprudelt, ist für einmal ganz bedächtig. «Dieser Weg war so schwer. Und es war auch einsam. Aber ich bin meinen eigenen Weg gegangen. Und das macht mich so stolz», sagt er dem ORF. Und weiter: «Dieser Sieg ist nicht nur ein Sieg. Es ist mein persönlicher Sieg. Ich bin einfach so dankbar und möchte meiner Familie und meinen Freunden danken. Ich hoffe, ich kann einige Jungs inspirieren, einen eigenen Weg zu gehen.»

Pinheiro Braathens Eltern trennen sich früh
Geboren wird Lucas Pinheiro Braathen in Oslo. Sein Leben ist indes schon früh geprägt von seiner doppelten Heimat. Sein Vater ist Norweger. Die Mutter Brasilianerin. Als Lucas zwei Jahre alt ist, trennen sich die Eltern. Er geht zuerst mit seiner Mutter nach Brasilien. Später wird das Sorgerecht dem Vater zugesprochen – dieser holt ihn zurück nach Norwegen. Der Vater arbeitet als Saisonnier in verschiedenen Skigebieten. Darum muss Lucas Pinheiro Braathen in seiner Jugend 21 Mal zügeln. Es sind Erfahrungen, die ihn prägen.
Als sich CH Media kurz vor der Saison mit Pinheiro Braathen zum Gespräch trifft, sagt dieser: «Ich fühle mich als Brasilianer und als Norweger. Ich bin ein Produkt aus zwei Kulturen. Ich erlebte jeden Tag zwei Perspektiven. Als Jugendlicher war ich in Norwegen der Brasilianer und in Brasilien der Gringo. Ich glaube, dass ich genau deshalb diesen komplexen Sport ausgewählt habe und Skifahrer geworden bin. Es ist das Resultat meiner Dualität.»
Ein Rentier als Versöhnung
Der Auftakt in die Saison beim Riesenslalom in Sölden missglückt Pinheiro Braathen noch. Er scheidet schon im ersten Lauf nach wenigen Sekunden aus. Schon vor dem Rennen spricht er sichtlich aufgewühlt davon, am Morgen mit dem Auto ein Rentier angefahren zu haben, «es war dramatisch».
Vermutlich kollidierte er mit einem Reh, nicht mit einem Rentier. Nun wollen es die Gepflogenheiten von Levi, dass Pinheiro Braathen doch noch Frieden schliessen kann mit Rentieren. Als Sieger erhält er eines als Lebendpreis.
Sein Auftritt im hohen Norden ist ein dickes Ausrufezeichen zum Start in diesen Weltcup-Winter. Eines, das auch Marco Odermatt genaustens verfolgt haben dürfte. Gut möglich, dass Pinheiro Braathen bald zu seinem grössten Konkurrenten im Kampf um den Gesamtweltcup wird. Von diesem grossen Ziel spricht Pinheiro Braathen jedenfalls. In dieser Saison plant er Starts im Super G. Ob das funktioniert? Das bleibt vorerst natürlich noch abzuwarten.
Letztmals ganz zuoberst auf dem Podest steht Lucas Pinheiro Braathen am 8. Januar 2023 in Adelboden. Damals gewinnt er vor seinem guten Freund Atle Lie McGrath. Die beiden Norweger gelten als Ski-Zwillinge. Doch es ist eben auch die Zeit, in der Braathen die Freude am Skisport immer mehr verliert.
So lief der Slalom in Levi

Pinheiro Braathen führte bereits bei Halbzeit nach einem Traumlauf im Norden Finnlands. Seine 41 Hundertstel Vorsprung auf Vorjahressieger Clément Noël verwaltete der 25-Jährige in der Entscheidung geschickt und schenkte Brasilien, dem Heimatland seiner Mutter, den ersten Sieg im alpinen Ski-Weltcup. Im Herbst 2023 vor dem ersten Rennen der Saison in Sölden aufgrund von Differenzen mit dem norwegischen Verband überraschend zurückgetreten, gab Braathen vor einem Jahr und nach einem Nationenwechsel sein Comeback.
31 Hundertstel hinter Braathen klassierte sich der Franzose Clément Noël. Platz 3 ging sensationell an Eduard Hallberg, der das erste Podest für Finnland seit 2007 holte. Der 22-jährige Einheimische stiess im 1. Lauf mit Startnummer 29 auf Platz 5 vor und verbesserte sich in der Entscheidung um zwei Ränge. Noch vor einem Jahr verspielte Hallberg eine ähnlich gute Ausgangslage, als er von Platz 8 auf Rang 24 zurückfiel.
Die Schweizer schwer geschlagen
Zu den Geschlagenen gehörten Henrik Kristoffersen und Loïc Meillard. Der konstanteste Slalomfahrer der vergangenen Saison und der Weltmeister mussten sich mit den Plätzen 13 und 14 begnügen. Kristoffersen verpasste erst zum zweiten Mal beim achten Auftritt in Levi das Podest. Meillard, der einzige Schweizer Podestfahrer der vergangenen Saison, kam in beiden Durchgängen nicht richtig auf Touren, war am Ende aber dennoch der beste Fahrer eines schwachen Schweizer Teams.
Tanguy Nef fiel in der Entscheidung nach einem Fehler im Steilhang um sieben Plätze zurück und klassierte sich unmittelbar vor Landsmann Daniel Yule im 21. Rang. Der Walliser schaffte den Sprung in den 2. Lauf in seinem ersten Rennen nach dem Materialwechsel von Fischer zu Atomic als 29. nur knapp.
Ramon Zenhäusern (41.), Luca Aerni (53.) und Marc Rochat (54.) blieben im 1. Lauf hängen. Matthias Iten schied nach guten Zwischenzeiten aus und vergab so die mögliche erstmalige Qualifikation für den Final der besten 30 Fahrer. (sda)



Kommentare
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien, die Kommentare werden von uns moderiert.
Zu diesem Thema wurden noch keine Kommentare geschrieben.