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Katholische Kirche

Gratissprechstunde für mögliche Täter: Kirche beschreitet neue Wege im Kampf gegen Missbrauch

Der Churer Bischof Joseph Maria Bonnemain hofft, dass das Pilotprojekt der Zürcher Landeskirche Nachahmer findet: Kirchliche Mitarbeitende können sich präventiv beraten lassen.
Die Kirche hat ein Bündel an Massnahmen zur Missbrauchsprävention lanciert.
Bild: Symbolbild: Getty

Die Missbrauchsthematik schwebt wie eine dunkle Wolke über der katholischen Kirche. Forscherinnen und Forscher der Universität Zürich dokumentierten in einer vor zwei Jahren vorgestellten und viel beachteten Untersuchung mehr als 1000 sexuelle Übergriffe unterschiedlicher Ausprägung seit Mitte des letzten Jahrhunderts. Zu oft vertuschten die Verantwortlichen die Taten. Dass diese Strategie ein Irrweg ist, hat die Kirche längst eingesehen.

Nach dem Erscheinen des Missbrauchsberichts verstärkte sie ihre Präventionsbemühungen nochmals mit einem Bündel an Massnahmen. Unter anderem müssen künftig Priesteramtskandidaten sowie angehende Seelsorger und Seelsorgerinnen flächendeckend ein psychologisches Assessment durchlaufen. Mit einem schweizweit vereinheitlichten Auswahlverfahren sollen mögliche Risiken identifiziert und potenzielle Täter aussortiert werden.

Jetzt hat die katholische Kirche des Kantons Zürich ein weiteres Projekt lanciert. Es ist auf drei Jahre befristet und hat «Leuchtturmcharakter », wie Synodalrat Andreas Kopp am Montag vor den Medien in Zürich sagte. Seit Anfang Monat können sich Mitarbeitende der Zürcher Landeskirche gratis in eine Sprechstunde für psychische und sexuelle Gesundheit begeben - im soeben eröffneten Grossambulatorium Quadro in Oerlikon. Dort warten Fachpersonen der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich (PUK) auf sie. Das Angebot ist bewusst niederschwellig gehalten, die Ratsuchenden müssen ihre Identität nicht preisgeben. Die PUK arbeitet mit vier Personen an diesem Projekt. Pro Jahr kostet es 88'000 Franken.

Im Fokus stehen mögliche Täter

Von der Sprechstunde können kirchliche Mitarbeitende mit psychischen Problemen aller Art profitieren. Besonders im Fokus stehen aber potenzielle Täter. «Das Projekt setzt bei der Gesundheit der Beschäftigten an und ist damit implizit präventiv wirksam als Massnahme gegen sexuellen Missbrauch», sagte Kopp. Erste Interessenten haben sich bereits zur Sprechstunde gemeldet. Wie viele es genau sind, konnte die Zürcher Landeskirche am Montag nicht sagen.

Ob und wie viele Übergriffe sich mit der Massnahme verhindern lassen, ist schwierig abzuschätzen. Es gehe darum, dass Menschen bei psychischen Krisen ein Behandlungsangebot bekämen, sagte Elmar Habermeyer, Professor und Direktor Forensische Psychiatrie und Psychotherapie der PUK. Und die Sprechstunde soll helfen, dass Menschen mit vorhandenen psychischen Störungen keine sexuellen Übergriffe verüben. Kein Täter werden, lautet die Devise.

Fanny de Tribolet-Hardy ist Leiterin der Präventionsstelle Pädosexualität der PUK. «Wir wollen sensibilisieren, beraten und gegebenenfalls behandeln.» Sie erinnerte daran, dass das Machtgefälle in der Kirche, Beziehungsdefizite oder auch belastende Erfahrungen oder Herausforderungen im Rahmen der eigenen psychosexuellen Entwicklung Risikofaktoren darstellen. Für Hardy ist klar, dass die Präventionsangebote den spezifischen Bedingungen des sexuellen Missbrauchs in der Kirche Rechnung tragen müssen und sich die Prävention auf junge Geistliche ausrichten muss.

Die Beratungsgespräche bleiben geheim. Gegenüber der Arbeitgeberin, der Kirche, ist die PUK an die Schweigepflicht gebunden. Das heisst aber nicht, dass sie nicht aktiv werden kann, wenn eine ratsuchende Person übergriffig geworden ist oder das Risiko besteht, dass sie es werden könnte. Bei einer konkreten Gefährdung haben die Psychotherapeuten ein Melderecht. Sie können zum Beispiel die Polizei oder Behörden wie die Kesb einschalten.

Bischof Joseph Maria Bonnemain hofft, das die «Sprechstunde psychische und sexuelle Gesundheit» weitere Nachahmer findet.
Bild: Andrea Becker/Keystone

Der Kanton Zürich gehört zum Bistum Chur. «Ich unterstütze die Einrichtung einer Sprechstunde mit voller Überzeugung», sagte Joseph Maria Bonnemain. Der Churer Bischof hofft, dass andere kantonale Landeskirchen dem Zürcher Beispiel folgen. Er werde das Thema auch in der Schweizer Bischofskonferenz aufs Tapet bringen. Bonnemain sieht im Pilotprojekt einen weiteren Baustein zur Prävention von Übergriffen. Viele Mitarbeitende scheuten sich, persönliche Probleme anzusprechen. Bonnemain ermunterte, das Gegenteil zu tun und erinnerte an einen Satz von Apostel Paulus: «Denn wenn ich schwach bin, dann bin ich stark.»

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