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Klassik

«Zwischentöne» Engelberg: Liebe auf dem Prüfstand – etwa wenn sie den Dienst als «Alltagsliebchen» aufkündigt

Das Kammermusikfestival Engelberg thematisiert «Wendepunkte» rund um die Romantik. Höhepunkte markierten das Merel Quartett und eine musikalische Genderdebatte mit den Special Guests Werner Güra und Anke Vondung.

Manchmal manifestieren sich «Zeitenwenden» auf einen Schlag, wie nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine, welcher diesem Begriff zu Hochkonjunktur verhalf. Aber in der Regel vollziehen sich Wendepunkte schleichend und über längere Zeiträume hinweg.

Sorgte für Höhepunkte an seinem eigenen Festival: Das Merel Quartett.
Bild: Christian Meuwly
(18. Oktober 2025)

Das bestätigte am Wochenende die Fahrt hoch nach Engelberg, wo von Freitag bis am Sonntag die elfte Ausgabe des Kammermusikfestivals «Zwischentöne» genau solche Wendepunkte zum Thema hatte. Das spätsommerliche Sonnenwetter erinnerte daran, dass sich auch Engelberg an einem Wendepunkt befindet, weil die Klimaerwärmung für Wintersportorte eine strategische Neuorientierung erfordert. Dazu gehört auch ein attraktives Kulturangebot.

Ein Musterbeispiel dafür ist «Zwischentöne». Das international zur Spitze gehörende Merel Streichquartett zieht mit  befreundeten Musikern und «Special Guests» Stammgäste aus der ganzen Schweiz nach Engelberg. Seit der Kursaal mit einem der schönsten Belle Époque Säle der Schweiz renoviert wurde, hat Engelberg dafür auch eine akustisch ausgezeichnete Location.

«Fin de Siecle» im Kursaal Engelberg

Der 1902 gebaute Kursaal passte auch perfekt zum diesjährigen Festivalthema «Wendepunkte». Dieses fokussierte mit vielen um 1900 entstandenen Werken auf die Zeit des Umbruchs des «Fin de Siecle», also auf jene Spätblüte der Romantik, die auch vom Abschied von ihr und vom Aufbruch in die Moderne geprägt war. Das Programm schlug zusätzlich einen grossen Bogen zurück zu  Beethoven und Schubert, die hundert Jahre zuvor den Wendepunkt zur Romantik markierten.

«Special Guest» Tenor Werner Güra (Klavier: Christoph Berner).
Bild: Christian Meuwly
(18. Oktober 2025)

In den Konzerten rückten die Wendepunkte in den Hintergrund angesichts der Linie, der das Programm vom Anfang bis zum Ende der Romantik folgte. Für den roten Faden sorgten dabei als «Special Guests» Tenor Werner Güra und Mezzosopranistin Anke Vondung, die einen weiten Bogen spannten von Liedern von Schubert bis zu Gustav Mahler. Den Anfang markierte am frühen Samstagabend Beethovens Zyklus «An die ferne Geliebte». Hier stand die schmerzliche Sehnsucht noch für ein intaktes Liebesideal, dem Werner Güra mit seiner geschmeidig strömenden und betörenden Stimme ganz «ohne Kunstgepränge» menschlich anrührende Züge gab.

Frau quittiert den Dienst

Das war ein frappanter Szenenwechsel nach Hugo Wolfs «Italienischem Liederbuch» am Eröffnungstag. In diesen Vertonungen volkstümlicher italienischer Liebesgedichte klingt zwar Schuberts Liedton nach. Aber Wolf setzt die Ironie und den Spott, der hier mit der Liebe auch getrieben wird, mit Mitteln um, die zum Kabarett tendieren. Zu einem Höhepunkt wurde das auch durch die quasi szenische Darbietung der beiden Sänger.

Werner Güra und Anke Vondung beäugten und belauerten sich beidseits des Flügels abwechselnd schnippisch, stolz und empört und spitzten das Rollenspiel von Lied zu Lied zu einer musikalischen Genderdebatte zu. Wenn die Frau dem Mann ihren «Dienst als Alltagsliebchen» kurz und bündig aufkündigt, steht da – 1896 – nicht nur das romantische Lied, sondern auch die Liebe selbst vor ihrer Auflösung: Auch als «Wendepunkt» war das ein Höhepunkt im ganzen Programm.

In den instrumentalen Stücken, in welche Gesänge eingebettet waren, kam es dagegen kaum zum Bruch. Vielmehr vollzogen sich die Übergänge fliessend, auch weil die Moderne nur am Rande vertreten war. Dafür wurden hier Komponisten wie Antonín Dvořák oder Béla Bartók überraschend zu Zeitgenossen in Auftritten des Merel Quartetts, das für das Topniveau stand, auf dem an den Zwischentönen musiziert wird.

Nachdenklich stimmt nicht nur die Zeitenwende

So betörte Dvořáks letztes Streichquartett (1895) nicht nur durch süssen Wohlklang, sondern wirkte modern-kühn durch labyrinthisch verzweigte, harmonische Perspektivenwechsel. Bartóks nur ein paar Jahr später entstandenes Klavierquintett (mit dem Pianisten Dénes Várjon) bot dagegen ein opulentes spätromantisches Klangbad, in dem nur folkloristische Einsprengsel die spätere Entwicklung des Komponisten erahnen liessen. Einen Schritt weiter in die Moderne führte Ravels Streichquartett, dessen impressionistisch flirrenden Klangflächen das Quartett zu glühender Erhitzung und gläserner Magie verhalf.

Drumherum hörte man, wie um die vorletzte Jahrhundertwende ganz unterschiedliche Strömungen zusammenflossen. So verband etwa den um 1900 entstandenen argentinischen Tango (mit dem exzellenten Bandonegro Quartett) und schwerblütige spätromantische Gesänge von Alexander Zemlinsky oder Frank Bridge ein melancholischer Grundton, der für Zeitenwenden charakteristisch sein dürfte.

Nachdenklich stimmt, dass die Konzerte längst nicht ausverkauft waren. Klar, der Publikumsaufmarsch hängt mit dem Bekanntheitsgrad der Gäste zusammen, wie vor zwei Jahren der Jahrgang mit Andras Schiff bewies. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass sich das Programm mit vielen kleineren und wenig bekannten Stücken etwas verzettelte. Es braucht wohl neben der Vielfalt, die eine Stärke dieses Festivals ist, eine strategische Neuorientierung und einen klareren Fokus, um den treuen Publikumsstamm zu erweitern.

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