
Herr Bisky, in Ihrem neuen Buch beschäftigen Sie sich mit dem Ende der Weimarer Republik. Dem grossen Sieg der Nazis, so schreiben Sie, seien viele kleinere vorausgegangen. Wo sehen Sie die entscheidenden Wendepunkte, die schliesslich zur Katastrophe führten?
Jens Bisky: Ende 1929 gab es das Volksbegehren gegen den Young-Plan, der eine endgültige Regelung der Reparationsfrage bringen sollte. Dabei arbeiteten Alfred Hugenberg von der Deutschnationalen Volkspartei, Franz Seldte vom Wehrverband Stahlhelm und Adolf Hitler zusammen, obwohl sie sich eigentlich nicht besonders mochten. Die Volksabstimmung verloren sie zwar, doch gab es erstmals eine geeinte nationale Opposition gegen die Republik. Dann stellten die Nazis auch bald schon Minister in einigen Ländern; der erste war 1930 Wilhelm Frick in Thüringen.
Daran wurde kürzlich wieder erinnert, als die AfD die Landtagswahl in Thüringen gewann.
Die NSDAP schnitt dort 1929 allerdings längst nicht so stark ab wie heute die AfD, sie erreichte nur 11 Prozent. Dennoch gingen die bürgerlichen Parteien eine Koalition mit ihr ein, was zeigt, dass sie aus inhaltlichen Gründen mit den Nazis zusammengehen wollten. Als weiteren Wendepunkt sehe ich die Bankenkrise, die im Sommer 1931 von Österreich ausging. In Deutschland führte sie zu einer Lähmung der parlamentarischen Demokratie. Einige Parteien, darunter die SPD, wollten den Reichstag einberufen, der lange nicht mehr getagt hatte, doch der Kanzler Heinrich Brüning lehnte dies ab, sodass es in dieser entscheidenden Krisensituation keine parlamentarischen Lösungen gab, sondern eine Regierung, die mit Notverordnungen operierte.
Von der Wiederwahl des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg im Frühjahr 1932 erhofften sich manche eine Stabilisierung der Republik, tatsächlich bewirkte seine Amtsführung das Gegenteil.
In seiner ersten Amtszeit erschien Hindenburg republiktreu, in Wahrheit wollte er aber schon länger nicht mehr mit der SPD zusammenarbeiten, sondern eine Regierung der nationalen Einheit unter Einschluss der NSDAP bilden. Trotzdem galt er 1932 als Kandidat der Republik. Auch die SPD unterstützte ihn, weil sie glaubte, nur so eine Wahl Hitlers verhindern zu können. Kurz darauf erfolgte der Preussenschlag: Die preussische Landesregierung unter dem Sozialdemokraten Otto Braun wurde von der Reichsregierung entmachtet. Mit diesem Staatsstreich begann das Ende des Föderalismus. Einige Länder wurden nun zu Experimentierbühnen für die Machtergreifung, andere leisteten noch relativ lange Widerstand. Dass die SA im Frühjahr 1932 verboten wurde, ging auch auf eine Initiative Württembergs und Bayerns zurück.
Warum beginnen Sie Ihre Erzählung gerade 1929? Entwicklungen, die zum Scheitern der ersten deutschen Demokratie führten, zeichneten sich ja schon früher ab, beispielsweise beim Hitlerputsch (1923) oder bei Hindenburgs erster Wahl zum Reichspräsidenten (1925).
Mich haben die letzten Jahre der Republik interessiert, weil ich wissen wollte, was man tut, wenn es immer grössere Erschütterungen gibt und die Möglichkeiten, damit umzugehen, immer weiter eingeschränkt werden. Dass ich nicht mit Hitlers Machtergreifung am 30. Januar 1933 aufgehört habe, hängt damit zusammen, dass ich erzählen wollte, was von der Weimarer Kultur übrig blieb. Und wenn man vom Ende der Republik erzählt, will man ja auch wissen, ob das, was nach der Machtergreifung passierte, ungefähr dem entsprach, womit man Ende 1932 rechnen konnte.
Parallelen zwischen den Dreissigerjahren und unserer Zeit zu ziehen, ist derzeit in Mode. Im Gegensatz zu anderen Autoren sind Sie dabei eher zurückhaltend: Angebliche Analogien, die nicht konkretisiert würden, empfinden Sie als frivol. Wenn sich die Gemeinsamkeiten nicht aufdrängen, warum haben Sie dann gerade jetzt ein Buch über die Weimarer Republik geschrieben?
Weil die Erinnerung an Weimar in der derzeitigen Debatte tatsächlich eine grosse Rolle spielt. Also ist entscheidend, wie wir darüber reden. Zwischen damals und heute gibt es Parallelen, aber es gibt auch grosse Unterschiede. Die heutigen wirtschaftlichen Verhältnisse sind von der damaligen Verelendung weit entfernt. Vor allem aber hat es unterdessen den Untergang Weimars gegeben. Wir wissen also, wie solche Entwicklungen ablaufen können, auch wenn wir sicher nicht klüger sind als diejenigen, die in der Weimarer Republik agierten. Dass wir im Moment wieder den Aufstieg einer nationalsozialistischen Bewegung erleben, denke ich nicht. Wir sollten auch nicht glauben, dass wir wüssten, wie es diesmal läuft. Das kann den Blick darauf verstellen, was neu ist und womöglich auch neuartige Reaktionen erfordert. Die Geschichte hält keine Merksätze bereit.
Ein paar wenige Lehren aus der Geschichte ziehen Sie aber doch: etwa, dass man radikale Parteien beim Wort nehmen sollte. Und dass man sie politisch bekämpfen sollte, nicht juristisch.
Man muss sie vor allem politisch bekämpfen. Aber es gibt natürlich Situationen, in denen gegen Recht und Gesetz verstossen wird und die Justiz entsprechend reagieren muss. Die Gerichte sollten auch ein AfD-Verbot prüfen, so läuft das in einem Rechtsstaat. Aber grundsätzlich bin ich skeptisch, was die Wirkung von Repressionen angeht, vielleicht auch, weil ich in der DDR aufgewachsen bin. Ich weiss noch, was für eine Aufregung herrschte, als bei uns in der Schultoilette eine Hakenkreuz-Schmiererei entdeckt wurde. Es gab eine grosse Untersuchung. Solche Massnahmen haben nicht verhindert, dass in den späten Jahren der DDR eine starke Rechte entstand, die sich auf den Nationalsozialismus berufen hat.
Entscheidend für das Ende der Weimarer Republik war, dass die konservative Rechte den Nazis an die Macht verhalf. Heute meinen einige, die CDU solle über eine Zusammenarbeit mit der AfD nachdenken. Glauben Sie, dass die heutigen Konservativen irgendwann auf solche Stimmen hören könnten?
Man darf die CDU nicht mit der Deutschnationalen Volkspartei verwechseln. Die Weimarer Republik war im Wesentlichen ein Kind der SPD, und die Bundesrepublik ist im Wesentlichen ein Kind der CDU. Dass diese Partei komplett auf eine Politik einschwenkt, die gegen die Grundlagen der Bundesrepublik gerichtet ist, halte ich für sehr unwahrscheinlich. Was es aber auch heute gibt, sind Leute wie der Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht, der seine Laufbahn in der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei begonnen hatte, dann immer weiter nach rechts marschierte und schliesslich zu einem Unterstützer Hitlers wurde. An der Gründung der AfD waren frühere CDU-Leute, konservative Journalisten und liberale Ökonomie-Professoren beteiligt.
Die Bedingungen, die die Siegermächte Deutschland im Versailler Friedensvertrag auferlegten, werden bis heute von manchen als entscheidender Grund für das Ende der Republik betrachtet, wahrscheinlich auch, weil die Deutschen damit einen Teil der Schuld abgeben können. Welche Rolle spielte das Abkommen tatsächlich?
Heute kann man sich natürlich hinstellen und sagen, die Zahlung der Reparationen hätte man schon irgendwie bewerkstelligen können. Aber es war doch eine ungeheure finanzielle Belastung, auch wenn man es mit dem vergleicht, was für die Arbeitslosenversicherung vorgesehen war. Vor allem aber prägte das Thema die Innenpolitik: Es herrschte eine Anti-Versailles-Stimmung, die auch von den Befürwortern der Republik geteilt wurde. Schärfer, als Thomas Mann dies 1930 in seinem Vortrag im Berliner Beethovensaal getan hat, konnte man den Versailler Vertrag kaum kritisieren.
Er benannte dabei allerdings auch die Schuldigen für die Niederlage im Weltkrieg.
Das unterschied ihn von der politischen Rechten: Er verband die Ablehnung des Vertrags mit einer Kritik der Eliten des Kaiserreichs, die sich der Verantwortung entzogen und die Niederlage den Sozialdemokraten vor die Füsse gelegt hatten. Aber bei allen Unterschieden: Eine Partei, die den Vertrag akzeptiert hätte, gab es nicht. Es waren ja nicht nur die Reparationen, die als demütigend empfunden wurden: Deutschland musste auch Gebiete abtreten, etwa Oberschlesien und Nordschleswig. Hinzu kamen weitere Einschränkungen der Souveränität: Im Rheinland waren noch bis 1930 alliierte Truppen stationiert, die Grösse der Reichswehr war auf 100’000 Mann beschränkt. Heute kann man natürlich sagen, das ist halt so, wenn man einen Krieg verloren hat. Aber damals wurde das anders empfunden, und diese Stimmungen müssen wir ernst nehmen, wenn wir die damalige Zeit verstehen wollen.
Hat man diese Stimmungen ausserhalb Deutschlands unterschätzt?
Es gab dort Politiker, die eine Milderung der Versailler Bestimmungen wollten. Aber wir dürfen auch nicht vergessen, dass es für die Sieger des Krieges schwierig war, den Vertrag zu entschärfen. Wer dies in Frankreich oder Grossbritannien tun wollte, stand vor grossen innenpolitischen Widerständen: Aristide Briand, der französische Aussenminister, galt vielen seiner Landsleute als viel zu deutschfreundlich. Der Krieg und seine Verheerungen lagen nicht lange zurück, man sah noch die Krüppel auf den Strassen.
Die SPD betrachten Sie mit viel Sympathie, aber auch nicht unkritisch. Einerseits war sie die grosse Stütze der Republik, andererseits agierte sie oft ängstlich und stellte sich 1932 hinter Hindenburg, der es ihr dankte, indem er Hitler an die Macht verhalf. Waren die Sozialdemokraten naiv?
Sie vertrauten zu lange darauf, dass sie schon irgendwie durchkommen würden, wenn sie sich an Recht und Gesetz halten würden und die Wirtschaft sich erholen würde. Aber wenn wir heute die SPD der Weimarer Republik kritisieren, sollten wir nicht vergessen, dass ihre lautesten und scharfsinnigsten Kritiker ebenfalls Sozialdemokraten jener Zeit waren. Die SPD war die vielfältigste und interessanteste Partei der Republik. Das sehen wir, wenn wir heute sozialdemokratische Zeitschriften aus jener Zeit lesen: Eine solche Intelligenz, aber auch eine solche Schärfe, einen solchen Witz und eine solche Vielfalt von Positionen gab es in keinem anderen Lager.
Während die Sozialdemokraten die Republik bewahren wollten, wirkten die Kommunisten an ihrer Zerstörung mit. Warum sahen sie die Gefahr nicht?
Sie lebten in ihrer eigenen Realität. Einer der wichtigsten Texte der frühen Dreissigerjahre ist für mich eine Reportage von Carl von Ossietzky. Er besuchte 1931 das Hauptquartier der KPD. Er fühlte sich dort wie in einem Detektivroman. Er schrieb, die Kommunisten lebten in einer konspirativen Atmosphäre, einer revolutionären Naherwartung. Sie glaubten, jeder Schritt, der zum Ende der Republik führe, bringe sie ihrem Endziel näher, der sozialistischen Revolution.
Dass nicht einmal die tödliche Gefahr eine Annäherung zwischen KPD und SPD brachte, erscheint aus heutiger Sicht schwer verständlich. Sie beschreiben, wie der Sohn des früheren Reichspräsidenten Friedrich Ebert, wie dieser ein Sozialdemokrat, als Häftling in ein Konzentrationslager eingeliefert wurde. Kommunistische Häftlinge reagierten darauf mit Jubel.
Ich kann das nur registrieren und bedauern. Heute zu sagen, die hätten sich damals einigen sollen, erscheint mir illusorisch. Die Trennung von der Sozialdemokratie war schliesslich die Raison d’Être der Kommunisten. Sie waren hörig gegenüber Moskau. Letztlich bestimmte Stalin die Politik der KPD.
Mit der Arbeit an Ihrem Buch haben Sie sich noch einmal intensiv mit einer Zeit befasst, die als gut erforscht gelten kann. Was hat Sie bei Ihren Recherchen am meisten überrascht?
Wie weit verbreitet die Lust am Untergang war. Viele hofften auf die Zerstörung der Republik und meinten, etwas ganz Neues müsse beginnen. Von einigen könnte man sagen, dass sie an beiden Enden brannten, darunter so verschiedene Leute wie Klaus Mann, Carl Schmitt oder Joseph Goebbels. Überrascht hat mich auch, dass viele von denen, die sich bewusst für den Nationalsozialismus entschieden haben, dies nicht etwa taten, weil es ihnen wirtschaftlich schlecht ging, sondern weil sie einen Sinn im Leben suchten und eine Intensität der Existenz witterten, die ihnen andere Bewegungen nicht zu bieten schienen. Der Nationalsozialismus war eine politische Religion, die nicht zuletzt junge Leute anzog.


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