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Interview

«Mein erstes WG-Essen kochte ich mit Betty Bossi»: Schweizer Filmduo des Jahres verrät Erfolgsrezept

Für «Hallo Betty» arbeiten die Schauspielerin und der Regisseur zum bereits dritten Mal zusammen. Im Gespräch erzählen sie, warum sie so gut harmonieren – und welches Betty Bossi-Gericht besonders schmeckt.
Geburt einer Ikone: Die Werberin Emmi Creola (Sarah Spale) denkt sich Betty Bossi aus.
Bild: Ascot Elite

BB. In Frankreich stehen diese Initialen für Brigitte Bardot. In der Schweiz? Für Betty Bossi natürlich. Für das kulinarische Erbe der Schweiz seit 1956. Da nahm das Betty-Bossi-Imperium nämlich seinen Anfang.

Erfunden wurde Betty Bossi 1956 nicht von einer Köchin, sondern von der Zürcher Werbetexterin Emmi Creola. Ein bisschen nach amerikanischen Vorbildern, vor allem aber nach den Bedürfnissen der Schweizer Hausfrau, die nach einer Erleichterung in der Küche suchte.

Die Geschichte von Emmi Creola, die eigentlich bloss eine Werbestrategie für Margarine und Speiseöl entwickeln sollte, ist definitiv eine der verrücktesten Schweizer Frauengeschichten aus dem 20. Jahrhundert und ein Filmstoff, wie man ihn nur selten findet: Er erzählt von einer Erfinderin, einem Erfolg und einer Ermächtigung, er erzählt viel Schweizer Sozial- und Geschlechtergeschichte und er ist, unterhaltungstechnisch gesehen, ein Schleck.

Und jetzt ist er da, der Film über die Frau hinter der Marke. Er ist der warmherzige Feelgood-Film schlechthin für die kalte Jahreszeit, ist liebevoll und schön gemacht und hat einen makellosen Herzschlag für komisches und emotionales Timing und ein vorweihnachtliches bisschen Kitsch. Eine reine Freude.

Es folgt ein Gespräch mit zweien, die gern von der gemeinsamen Arbeit schwärmen.

So, und nicht anders: Spale und Monnard (in Hellblau) beim Dreh.
Bild: Ascot Elite

Pierre Monnard, ich kenne Ihre Arbeiten seit Ihrem ersten Spielfilm «Recycling Lily» 2013, Sarah Spale, Ihre noch länger, nämlich seit Ihrer Rolle in der TV-Serie «Tag und Nacht» 2008. Sie haben zusammen «Wilder» und «Platzspitzbaby» gemacht und sind zu einer Superkraft im Schweizer Film- und Serienschaffen geworden. Was hält Sie eigentlich als kreatives Gespann zusammen und lässt Sie immer wieder neue Projekte in Angriff nehmen?

Pierre Monnard: Ladies first!

Sarah Spale: Pierre ist nie festgefahren, enorm flexibel, wir versuchen immer, in einem Miteinander die bestmögliche Lösung zu finden. Alles, was ich für meine Figuren mitbringe, jedes Anliegen, das ich habe, findet bei Pierre Gehör. Ich habe das Gefühl, wir sprechen die gleiche Sprache, das ist ein Glück, da fühle ich mich aufgehoben und kann mich hingeben. Klar entscheidet am Ende er, aber ich habe das Gefühl, es stimmt.

Monnard: Hoffentlich! Wir sind ja quasi filmisch zusammen aufgewachsen, das ist schön. Jeder Regisseur wünscht sich doch so eine Kollaboration. Diese direkte Art, das Vertrauen, das wir miteinander haben, ist selten zwischen Regie und Schauspiel, normal sind Respekt, Angst, skeptische gegenseitige Beobachtung. Und dann ist Sarah auch einfach extrem intelligent (wendet sich an Spale). Was du kannst, ist enorm komplex! Du kannst superschön synthetisieren, zusammenfassen und dann deine Erkenntnisse ganz einfach dem Publikum anbieten. Wenn ich dir zuschaue, weiss ich immer ganz genau, wo deine Figur emotional steht, ich bin nie verloren – und genau das ist die grosse Kunst. Für mich bist du unsere Meryl Streep und wir sind so glücklich, dich in der Schweiz zu haben. Und ...

Spale: Pierre, du hättest anfangen sollen, du kannst so schön formulieren!

Monnard: Ich bin im Schatten, du bist im Licht und, wow, es ist toll! Du bist auch ein bisschen meine Muse, das Ziel ist selbstverständlich, weiter mit dir zu arbeiten, weitere Geschichten für uns zu finden, einander zu fragen, was möchtest du jetzt gerne machen.

«Für mich bist du die Meryl Streep der Schweiz», sagt Regisseur Pierre Monnard über Sarah Spale.
Bild: JEAN-CHRISTOPHE BOTT

Das klingt jetzt so nett, aber Sie stellen Frau Spale auch immer vor irrsinnige Herausforderungen, sei es als Platzspitz-Junkie-Mutter Sandrine oder als Ermittlerin Rosa Wilder.

Monnard: Das ist wahr. Aber solche Herausforderungen sind doch auch stimulierend für Schauspieler! Sarah arbeitet extrem viel, wenn sie sich für eine Rolle vorbereitet, erforscht sie diese monatelang von allen Seiten, und später kommt sie mit einer grossen inneren Klarheit zum Dreh. Für mich ist es ein grosser Luxus, mit jemandem zu arbeiten, der so getrieben ist. Das fordert mich auch! Was wir wollen, ist, den anderen nicht zu enttäuschen. Wir wollen immer, dass der andere stolz und glücklich mit einem ist.

Spale: Megaschön gesagt! Das ist das Wichtigste: Obwohl das Vertrauen da ist, versuche ich immer, Pierres Erwartungen zu erfüllen oder im besten Fall zu übertreffen. Und obwohl er mich immer wieder in herausfordernde Situationen hineinbugsiert, fühle ich mich gut aufgehoben. Vor Drehbeginn wurde ich gefragt, was das jetzt mit mir macht, das Gesicht von einer allen bekannten Figur zu werden. Das hatte ich mich noch gar nicht gefragt, ich war so mit meiner kleinen Rollenfindung beschäftigt. Da bin ich erschrocken, das war eine Dimension, mit der ich mich noch nicht beschäftigt hatte.

Die Schweiz hat ja drei grosse quasi mythologische Figuren, die gar nie gelebt haben: Heidi, Wilhelm Tell, Betty Bossi.

Spale: Genau. Und da kommt dann Pierre und ist meine Rückendeckung und ich kann mich voll auf Emmi konzentrieren und muss mich nicht fragen, was es jetzt bedeutet, «das Gesicht» von etwas zu werden. Das grosse Ganze dahinter übernimmt der Chef.

Wie haben Sie denn Ihre Emmi gefunden?

Spale: Ohne klaren Weg, ganz offen. Ich durfte Ines Diacon kennenlernen, Emmis älteste Tochter, die mich mit allen Zeitdokumenten, Informationen und Briefen zwischen Emmi und ihrem Mann versorgt hat. Sie hat mir die Familie gezeigt, sie schwärmt sehr von ihren Eltern, von der Modernität ihrer Beziehung. Ich habe alles gelesen, geschaut, gehört, was ich kriegen konnte. Und ich habe mich gefragt, wie ist diese Emmi Creola in ihrem Körper verankert, was bringe ich mit dafür.

Monnard: Die Briefe von Emmi und ihrem Mann sind extrem gut geschrieben, extrem berührend, die beiden waren Intellektuelle und sehr sprachgewandt. Die Kämpfe, die Spannungen, die Szenen einer Ehe haben wir in den Film fliessen lassen. Sind sie eins zu eins so passiert? Sicher nicht! Aber die Atmosphäre stimmt.

Frau Spale, was haben die historischen Kostüme mit Ihnen gemacht?

Spale: Sehr viel! Schon nur das «Frisürli», das viel mehr Zeit braucht als meine normale Frisur. Dann waren die Kostüme aus sehr schönen, hochwertigen Stoffen geschneidert, das verleiht dir automatisch eine ganz andere Haltung. Es war auch ganz spannend, den Statistinnen und Statisten zuzuschauen: Es wurde mit ihnen nicht einstudiert, wie man sich in jener Zeit bewegt hatte, aber kaum waren sie in ihre Kostüme geschlüpft, veränderte sich das Bewegungsmuster total und stimmte.

Monnard: Ich denke gerade, was du als Emmi machst, ist natürlich weniger spektakulär als eine drogensüchtige Mutter in «Platzspitzbaby», aber es ist für mein Verständnis komplexer. Viel subtiler, nuancierter. Auch deine Haltung ist sehr speziell, ich liebe, wie du läufst in diesem Film!

Spale: Ah, das ist dir aufgefallen, das freut mich jetzt!

Monnard: Ja! Ich habe mal gedacht: Kommt, wir müssen diese Einstellung verlängern, wir müssen zeigen, wie sie läuft, das ist genial!

Spale: Ja, breitbeiniger! Und ich lasse mich beim Sitzen nie gehen, ich lehne mich nie an, das ist etwas, was ich schon bei meiner Grossmutter beobachten konnte, immer vorne auf dem Stuhl sitzen, sich nie in diese körperliche Entspannung fallen lassen. Das Schöne an diesem Film ist, auch im Unspektakulären das Spektakuläre zu finden. In den Feinheiten das ganze Drama des Lebens zu zeigen. Es gibt keine Schiessereien, keine lauten und grossen Emotionen, keine Fights.

Es läuft: Emmi Creola und ihre Mitstreiterinnen lesen sich die an Betty Bossi adressierte Fan-Post vor.
Bild: Ascot Elite

Emmi ist Werbetexterin, die Werbeagentur-Serie «Mad Men», die ebenfalls in den 50er-Jahren beginnt, stand Pate für Emmis Agentur – das zeigt sich an der Ausstattung und im omnipräsenten Sexismus jener Zeit, mit dem Emmi zu kämpfen hat. Aber auch «The Marvelous Mrs. Maisel» ist mit eingeflossen. Haben Sie die Latte der grossen amerikanischen Vorbilder mit Absicht so hoch gelegt?

Monnard: Ja! Wir machen Kino, wir wollen auch Spass haben und dem Publikum etwas bieten, was ein biiiiisschen bigger than life ist, obwohl wir eine authentische Schweizer Geschichte erzählen. Aber trotzdem nicht zu crazy. Zusammen mit dem Kameramann habe ich mir auch stundenlang Filme wie «Carol» und «Revolutionary Road» angeschaut, häusliche Dramen aus den 50er-Jahren, die aber einen hohen Realismusgehalt haben.

In Sachen Ausstattung gibt es eine grosse Liebe zur Farbe Rosa, da musste ich an Ihren ersten Spielfilm, die Komödie «Recycling Lily» denken. Schliesst sich da ein ästhetischer Kreis?

Monnard: Absolut! Diese beiden Filme existieren in der gleichen Schublade, nein, nicht Schublade, bitte nicht, im gleichen Regal? Ich hätte «Hallo Betty» ohne «Recycling Lily» nicht machen können, die Filme sind seelenverwandt. Und es war schön, mal wieder im komödiantischen Bereich arbeiten zu können. Es gibt ja bereits in «Recycling Lily» einen Betty-Bossi-Witz: Als ein Müllinspektor ein Mädchen verhaftet, sagt sie, sie heisse Betty Bossi.

Dabei heisst sie eigentlich Emma. Quasi Emmi. Frau Spale, wie erholsam war Emmi Creola nach Sandrine und Rosa Wilder?

Spale: Emmi hat mir definitiv gut getan! Sie hat einen so gesunden, bodenständigen Charakter, sie brennt für eine Sache und fragt sich nicht, was alles schief gehen könnte. Ich glaube, das hatte auch mit jener Zeit zu tun, man war pragmatischer, man hinterfragte weniger. Sie war auch keine Kämpferin für die Emanzipation. Aber sie war eine emanzipierte Frau.

Bei dem, was sie geschaffen hat, also bei Betty Bossi, hatte die Emanzipation ja auch an einem kleinen Ort Platz: Betty Bossi half Frauen dabei, mit möglichst geringem Aufwand eine noch bessere Hausfrau zu werden.

Spale: Genau. Am Ende war Emmi Creola Werbetexterin und musste ein Produkt an ein Kundensegment bringen. Sie musste ihren Job gut machen.

Aber wenn wir schon vom emanzipatorischen Moment sprechen: Betty Bossi hat auch Männern wie Ihnen, Herr Monnard, das Kochen beigebracht.

Monnard: Ja, und ich koche sehr gerne! Ich komme aus einem hundertprozentigen Betty-Bossi-Haushalt, meine Grossmutter hat mit Betty Bossi gekocht, meine Mutter besass alle Kochbücher und schnitt immer Rezepte aus der Betty-Bossi-Zeitung aus und heftete sie in einem Bundesordner ab. Als ich mit zwanzig ausgezogen bin, hat sie mir die Bücher mitgegeben, nicht alle, aber sicher vier. Mein erstes WG-Essen kochte ich mit Betty Bossi, Poulet mit Reis und Lauch. Ich koche das auch heute noch. Ja, sie ist eine schweizerische Ikone. Und sie begleitet mich ein Leben lang. Wie eine liebevolle Tante.

Italienische Betty Bossi-Rezepte sollen her – aber zu italenisch sollen sie dann doch nicht sein.
Bild: Ascot Elite

Die Betonung auf «schweizerische» Ikone ist wichtig. Bei Betty Bossi ist ja alles eingeschweizert. Im Film wird so schön gezeigt, wie sich Emmi Creola in einem italienischen Lokal in authentisches italienisches Essen verliebt. Doch dann sucht man im Betty-Bossi-Kochbuch «Italienische Küche» nach Spaghetti Carobonara, und womit wird die neben Speck, Ei und Parmesan gemacht? Natürlich mit Rahm, gehackten Zwiebeln und Muskatnuss! Man traute dem Original dann doch nicht so ganz.

Monnard: Nein. Aber Jamie Oliver macht genau das Gleiche. Seine «indischen» Rezepte schaue ich auch immer ganz erstaunt an.

Hat sich Ihr Verhältnis zum Kochen durch die Arbeit an «Hallo Betty» geändert?

Monnard: Ich habe wirklich von meiner Mutter gelernt zu kochen, sie ist sehr wichtig für mich, und ich weiss, dass das Kochen früher für sie alles bestimmt hat. Sie hat dreimal täglich gekocht, hat sich immerzu gefragt, was sie heute Abend, morgen, nächste Woche kochen könnte, für uns, für Freunde. Sie war die Haushaltschefin, obwohl sie parallel auch noch gearbeitet hat. Ich habe sehr viel Zeit mit ihr verbracht und viel geholfen, sie hat mich auch dazu aufgefordert, hat gesagt: «Komm, hilf mit!» Diese Vermittlung, dieses «alle sollen kochen können, auch die Männer und Kinder», war sehr wichtig. Ich mache das heute auch mit meinen Kindern, bringe ihnen bei, wie man eine Karotte schneidet oder ein Rezept befolgt. Kochen ist eine Geste, die Familien zusammenbringt. Und unser Film zeigt die Bedeutung dieser Geste.

Spale: Ich habe für mich entschieden, dass es hilfreich ist, wenn ich mir sage: Ich koche gerne. Denn ich mag es, jemandem etwas zu Liebe zu tun. Ich koche viel und würde sonst enorm viel Zeit jeden Tag mit etwas verbringen, was ich nicht gerne mache. Und natürlich ist es dann auch ein Zeichen der Wertschätzung, wenn wir den Moment des Zusammenessens bewusst geniessen. Der Film hat mir dies noch einmal deutlich gemacht: Für mich ist es wichtig, dass das gemeinsame Essen und auch das Kochen wertgeschätzt wird.

Monnard: Und wir haben alle gelernt, Riz Casimir, Spätzli und Schoggikuchen zu machen. Zur Vorbereitung des Drehs haben wir nämlich alle gemeinsam gekocht.

Spale: Riz Casimir, Spätzli und Schoggikuchen – und am Ende hat alles sehr gut zusammen gepasst.

Hallo Betty: Ab 20. November im Kino.

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