Im Endspurt vor Weihnachten darf sein Song nicht fehlen: Chris Reas «Driving Home for Christmas» gehört zweifelsfrei zu den angenehmeren Stücken, die gegen Jahresende aus der Mottenkiste geholt werden. So ist das Lied von 1986 zwar beschwingt und süffig, doch kommt es ohne die sonst omnipräsenten und nervtötenden Schlittenglöckchen aus. Selbst die kitschigen Streicher- und Pianolinien sind schnell vergessen, wenn die warme und rauchige Stimme des Briten ertönt.

Dieses Jahr fährt Chris Rea jedoch nicht über die Feiertage nach Hause: Der Sänger, Gitarrist und Komponist ist am Montag im Alter von 74 Jahren nach kurzer Krankheit verstorben. Dass er den weihnächtlichen Heimweg nicht immer antreten würde, dessen war sich Rea schon kurz nach der Jahrtausendwende bewusst: 2000 überlebte er nach einer Diagnose für Bauchspeicheldrüsenkrebs eine komplexe Operation. Sechs Jahre darauf begab er sich für den vorübergehenden Liveabschied auf einen anderen Weg: «Road to Hell and Back» hiess die Tournee in Anlehnung an seinen wohl grössten Hit.
Ambitionierte Grossprojekte wie «Blue Guitars»
Doch blieb der Mann aus Middlesbrough auch dann noch ein emsiger Musiker, als er 2016 nach einem Schlaganfall im Gesicht und an den Händen Lähmungserscheinungen hatte. Die grossen Tourneen gehörten fortan der Vergangenheit an, aber im eigenen Studio legte er einen Arbeitseifer an den Tag, den man bei gestandenen Musikern selten antrifft. Von seinen insgesamt 26 Studioalben sind rund die Hälfte in den letzten 25 Jahren entstanden. Darunter auch ambitionierte Grossprojekte wie «Blue Guitars», eine Kollektion von nicht weniger als 137 Songs.
Mit derlei Liebhaberprojekten bewies Rea auch, dass er sich lieber kreativ austoben als kommerziell profilieren wollte. An Verkaufszahlen und Chartsplatzierungen gemessen waren für ihn die zweite Hälfte der Achtzigerjahre und die frühen Neunziger die erfolgreichste Zeit. Hier landete der Songwriter Hits wie «Auberge», «Josephine» und «Julia» (beides Töchter von Rea) sowie das genannte «Road to Hell». Einen ersten Hit hatte er 1978 mit «Fool if You Think it's Over». Over, also vorbei, war damals gar nichts: In den Folgejahren hat Rea annähernd 30 Millionen Alben verkauft.
Selbst seine Gitarre klang, als ob sie singt
Die unaufgeregte, charismatische Singstimme und das hookige Songwriting machten Rea zwar zum Star, doch lenkten sie auch davon ab, dass er in erster Linie ein grossartiger Gitarrist war, der mit dem Slide- respektive Bootleneckspiel brillierte. So vermochte er sich mit dem Glasröhrchen am Finger der linken Hand auf seiner abgewetzten roten Fender Stratocaster musikalisch so zu artikulieren, dass man eine singende Stimme zu hören glaubte.
Dabei war Rea nur zum Slide-Spieler geworden, weil seine erste Gitarre, die er sich erst anfangs Zwanzig kaufte, denkbar schlecht eingestellt war. Die Saiten seien so weit vom Griffbrett entfernt gewesen, dass man sie kaum habe greifen können, gab er in späteren Interviews an. Es ist ein zeitlicher Zufall, dass es sich dabei um eine Gitarre der deutschen Marke Höfner handelte – also um jene Firma, gegen die vor wenigen Tagen ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde.
Das Trauerspiel um Höfner
Rea dürfte dieses Trauerspiel vom Spitalbett gebannt mitverfolgt haben: 2003 hatte er der Firma mit «Hofner Blue Notes» ein Album gewidmet. Fünf Jahre später doppelte er mit der Dreifach-CD «The Return of the Fabulous Hofner Bluenotes» nach, der ein reich illustriertes Buch zur Geschichte von Höfner beigelegt war. Das entsprechend teure Projekt wurde von Kritikern mit gemischten Gefühlen rezensiert und segelte weitestgehend an den Charts vorbei. Auch hier hatte sich Chris Rea vor allem selbst beschenkt.


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