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Zug

«Wir führen Pseudodebatten»: Der Zuger Janos Ammann will der Schweiz die EU näher bringen

Was genau macht die Europäische Union? Und wie wirkt sich ihr Schaffen auf die Schweiz aus? Diesen Fragen geht der Stadtzuger Janos Ammann in seinem Blog nach – und erntet dafür auch aus Expertenkreisen Lob.
Europaflaggen in Brüssel (Bild: fotolia)

Linda Leuenberger

Die EU ist ein riesiges Bündnis, und die Schweiz steckt mittendrin. Wenn es nach Janos Ammann ginge, würde hierzulande viel öfter über die Europäische Union und ihre Entscheide diskutiert und die Abhängigkeit der Schweiz von der EU thematisiert. «Ich wünsche mir, dass unsere Politikerinnen und Politiker öfter über EU-Themen streiten würden», sagt der Stadtzuger:

«Die Schweiz muss sich in der Europäischen Union besser einbringen können.»

Ammann lebt seit letztem Sommer mit seiner Freundin in der EU-Hauptstadt Brüssel, 20 Gehminuten vom Europäischen Parlament entfernt. Von dort aus arbeitet er täglich am Hauptstadt-Bericht. Das ist ein Blog, den er im Juli 2020 selber ins Leben gerufen hat und seither fleissig mit Artikeln füttert – er recherchiert, schreibt, illustriert, nimmt Podcasts auf, unterhält die Website. 49 Texte hat er bisher publiziert. Sie tragen Titel wie «EU-Gipfel: Das musst du wissen», «Die Neuordnung der digitalen Welt», «Der Migrationspakt und wer in der Schweiz das Sagen hat», «Warum die EU überleben wird», «Warum die EU scheitern wird» und «Was Ueli Maurer nicht will, dass du es weisst».

Die Schweiz sei abhängiger von der EU als man sich dessen hierzulande bewusst sei, sagt Ammann. Mit dem Schengenabkommen und den bilateralen Verträgen gebe es für die Schweiz häufig keine andere Option als EU-Entscheide umzusetzen. Die Schweiz kann im EU-Parlament zwar teils mitreden, hat aber kein Stimmrecht. «Setzen wir gewisse Dinge wie die Datenschutzverordnung oder die Verschärfung des Waffenrechts nicht um, gefährden wir die Beziehung zur Union», sagt Ammann. Das würde hohe Kosten bedeuten.

Bilaterale Verträge als mediales Kampfthema

Das heisse also, dass in der Schweiz teilweise Scheindebatten geführt würden – weil von vornherein klar sei, dass sich die Eidgenossenschaft bei gewissen nationalen Abstimmungen nach der EU richten müsse. Ammann:

«Das zieht einen schalen Beigeschmack von Pseudodemokratie nach sich.»

Das will der 27-Jährige nicht hinnehmen. Die Schweiz müsse bei den Regulierungen, die sie betreffen, mitreden können. «Dazu müssen wir wissen, wie die EU funktioniert und welche Themen dort gerade diskutiert werden», sagt er. «Wir brauchen ein breites Verständnis dessen, wo in Brüssel die Macht liegt und wie sie sich auswirkt. Nur so lässt sich herausfinden, welches unsere Handlungsmöglichkeiten sind.»

Hier komme der Hauptstadt-Bericht ins Spiel: In seinem Blog will Janos Ammann Institutionen erklären, Regulierungsvorschläge analysieren – und spricht dazu mit Politikerinnen und Politikern oder nimmt an europäischen Konsultationen teil. Er wolle beleuchten, wie die Europäische Union in Brüssel organisiert ist.

Selber sympathisiere Janos Ammann mit der EU, wie er sagt. Seine Berichterstattung basiere auf der Grundannahme, dass es die EU noch lange geben wird. In seinem Blog versuche er seine Position transparent darzustellen. Er stehe der Umsetzung der EU-Idee allerdings kritisch gegenüber. Dass er mit seiner Berichterstattung möglicherweise auch EU-Gegnern Zündstoff bietet, ist ihm daher recht:

«Solange die Contra-Argumente auf Fakten basieren, sollen auch die Gegner ihren Zündstoff kriegen.»

Unkenntnis führt zu oberflächlichen Diskussionen

Thomas Burri ist Professor für Europarecht und Völkerrecht an der Universität St.Gallen. In der Schweiz, so sagt er auf Anfrage, werde oft und polarisierend über die EU gestritten – so seien die Bilateralen Verträge ein beliebtes Kampfthema. Tatsächlich bestehe in vielen politischen Diskussionen, die hierzulande geführt werden, ein Zusammenhang mit EU-Entscheiden. «Allerdings», sagt Burri, «wird in solchen Debatten dem Einfluss der EU kaum Bedeutung beigemessen.»

Das habe zwei Gründe. Der erste sei strategischer Natur: «In Bundesbern gibt man nur ungern zu, dass die Schweiz keine absolute Entscheidungsmacht hat, dass sie in das europäische System eingebunden und davon abhängig ist.» Der zweite Grund liege schlicht in Unkenntnis: «Im Vergleich zu anderen Ländern herrscht in der Schweiz ein tiefer Kenntnisstand darüber, was in Brüssel vor sich geht und wie die EU funktioniert. Auch in der Politik. Das führt zu oberflächlichen Diskussionen.»

Ein aktuelles Beispiel? Die EU diskutiert derzeit über etwas wie ein Impfzertifikat, welches geimpften Menschen das Reisen in Europa erleichtern soll. Die Diskussion um einen solchen «Impfpass» sei für die Schweiz sehr relevant, sagt Burri. Und werfe viele Fragen auf. Hierzulande wurde dieses Thema aber nicht umgehend aufgenommen – auch nicht durch die Medien. Ähnlich verhalte es sich mit dem Datenschutzgesetz. In der Schweiz werde zuweilen über den Datenschutz diskutiert, als gäbe es keine europäische Datenschutzgrundverordnung. Burri:

«Es ist höchstproblematisch, wenn wir nicht Bescheid wissen, was in Brüssel läuft.»

Die Arbeit, welche Janos Ammann in den Hauptstadt-Bericht steckt, hält Burri deswegen für wertvoll. «Je mehr wir – von der Bevölkerung bis in die Politik – über die EU und die in Brüssel geführten Debatten wissen, desto gehaltvoller und informierter sind unsere Diskussionen in der Schweiz. Und umso besser können wir unsere Interessen in Brüssel einbringen.»

Die bisher achtmonatige Arbeit am Blog werfe noch kein Geld ab, sagt Janos Ammann. «Momentan arbeite ich neben den Texten aber an einem nachhaltigen Geschäftsmodell», erklärt er. «Bis dahin lebe ich von Erspartem.» Und wenn der ganze Hauptstadt-Bericht wieder versandet? «Dann suche ich mir einen Job», sagt er pragmatisch. «Vielleicht arbeite ich als Freier Journalist, oder engagiere mich für eine politische Organisation. Da mache ich mir keine grossen Sorgen.»

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