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Nidwalden

Wehmütiges Ende für besondere Skilift-Karriere im Nidwaldner Wirzweli

Alois Odermatt stand 60 Winter hintereinander am Gummen-Skilift. Seit vergangenem Frühling steht der Lift still. Odermatt sinniert: «Wir haben einfach keine richtigen Winter mehr.»
Der Handgriff sitzt immer noch: Alois «Weysi» Odermatt beim stillgelegten Gummen-Lift. (Bild: Nadia Schärli (Wirzweli, 15. Januar 2019))

Claudio Zanini

Er heisst eigentlich Alois Odermatt. Aber so nennt ihn kaum einer. Man käme in Nidwalden nicht weit, würde man einen Alois Odermatt mit Vor- und Nachnamen rufen. Eine kurze Internet-Recherche zeigt nur schon in Dallenwil drei von ihnen. Deshalb braucht es weiss Gott präzisere Angaben. Viele nennen ihn darum «Ronemattli-Weysi». Ronemattli ist der Name der Alp, die er einst im Sommer bewirtschaftete, «Weysi» oder am Telefon gerne auch mal «Weysel» die Kurzform des Vornamens.

Wir treffen Weysi in Dallenwil bei der Talstation der Luftseilbahn, die uns ins Wirzweli führt. Der 75-Jährige trägt die Kappe mit dem Schriftzug des Skigebiets, er kennt hier alle: den jungen Mann an der Kasse, die Frau in der Gondel, zufällig passierende Spaziergänger, die Wirtefamilie im Restaurant oben.

In der Gondel landet unser Gespräch ein erstes Mal beim Skifahren, Weysi verfolgt den Ski-Weltcup genau. Sein jüngerer Bruder Sepp Odermatt – auch er muss seinen Namen in Nidwalden höchstwahrscheinlich mit anderen teilen - ist seit Jahren Speaker am Chuenisbärgli und bei den Lauberhornrennen. Sepp Odermatts schelmische Art ist durchaus bekannt. Am letzten Wochenende sagte er bei einem knapp 40-jährigen französischen Skifahrer, in diesem Alter werde man in Frankreich ja schon bald pensioniert. Die Zuschauer in Adelboden grölten.

Auch Weysi ist nicht frei von Schalk, aber etwas leiser als der Bruder.

Alois Odermatt stammt aus einer Zeit, die von jüngeren Leuten etwas Vorstellungskraft erfordert. Geboren ist er 1943, also zwei Jahre bevor der Zweite Weltkrieg zu Ende ging. Im Sommer 1958 kam er als 15-Jähriger aus der Schule. Aus heutiger Sicht beginnt in dieser Phase die für Teenager oft mühselige Suche nach einer passenden Tätigkeit. Das Spektrum zwischen weiterführenden Schulen und Berufslehren wird immer dicker, was die Entscheidungsfähigkeit eher hemmt. Doch 1958 war das anders. Weysi wusste genau, wohin er will. Odermatt ging im Herbst nach dem Schulaustritt an den neu eröffneten Gummen-Skilift ins Wirzweli. Und dort stand er 60 Winter hintereinander. Bis der Lift im Frühling 2018 dieser Geschichte ein Ende setzte.

Einer hatte immer ein Auge auf dem Monitor

Wir sind beim stillstehenden Skilift angekommen. Weysi deutet mit der Hand hinter das Häuschen. «Bis dort sind sie manchmal angestanden», sagt er. Man muss nicht genau hinhören, um die Wehmut zu spüren. Er wird später auch sagen: «Das tut mir weh, wenn ich das hier so sehe.» Im Innern des Skilift-Häuschens scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Vieles dürfte 1958, im ersten Winter, schon so ausgesehen haben. Neben der Kasse steht ein Monitor. Er zeigte das Kamerabild des Ausstiegs oben an. Weysi oder sein Kollege Kari mussten immer ein Auge auf dem Bildschirm haben, das war Vorschrift. «Einer hielt die Stellung, wenn der andere sein Essen wärmte», sagt er.

In den besten Zeiten war der Lift fünf Monate am Stück offen. Von Allerheiligen bis Ende März. «In einem Jahr hatten wir sogar bis am 19. April Betrieb gehabt», sagt Weysi. Er schüttelt den Kopf, macht eine Pause. «Und jetzt geht das Gebiet praktisch zu.» Seine Erzählungen klingen tatsächlich gespenstisch. Der fünfmonatige Liftbetrieb ist während den 60 Wintern auf einen einzigen Monat geschrumpft. Den Klimawandel so unmittelbar mitzuerleben, ist auch für Weysi irgendwie unheimlich. Er sagt: «Wir haben einfach keine richtigen Winter mehr.»

Im Januar 2018 beginnt der Anfang vom Ende des Gummen-Skilifts. Als das Sturmtief Burglind über das Gebiet zieht, fallen drei Tannen auf das Seil. Man behob die Schäden, konnte sogar den Betrieb nochmals aufnehmen, aber im Frühling rumpelte das Getriebe plötzlich. Das Datum hat sich bei Weysi eingeprägt. «Das war am 4. März», sagt er. Aus Sicherheitsgründen wurde der Lift gestoppt.

Die Investitionen wären zu gross gewesen. Man musste davon ausgehen, dass schnell einmal 100000 Franken nötig werden. Da die Luftseilbahn Dallenwil-Wirzweli AG längst entschied, den Skibetrieb spätestens 2021 sowieso einzustellen, hätten grössere «Übungen» auch keinen Sinn mehr gemacht. Der benachbarte Eggwald-Lift läuft zwar noch. Aber am Gummen haben längst die Schneeschuhläufer, Schlittler und Spaziergänger übernommen. Sie kommen auch mit weniger Schnee aus.

Die 15-jährige Michela Figini war schneller als alle Buben

In den goldenen Zeiten fanden hier viele Skirennen statt. Sogar solche auf FIS-Stufe. Weysi mag sich genau erinnern, wie eines Tages eine 15-jährige Tessinerin an einer Schweizer Meisterschaft der Junioren übers Wirzweli wirbelte. «Michela Figini war hier, die war schneller als alle Buben.» Figini wurde schliesslich eine Grösse des Skisports. Als 17-Jährige gewann sie in Sarajevo 1984 Olympiagold in der Abfahrt. Auch andere spätere Bekanntheiten hinterliessen hier Spuren. Etwa Bernhard Russi, Paul Accola oder Michael von Grünigen.

Weysi ist selbst auch ein guter Skifahrer. Mit dem Rettungsschlitten hat er genau 612 Verunfallte von der Piste geholt. Jeden einzelnen Patienten hat er sich notiert, mit Datum und Verletzung versehen. Er fuhr die Leute aber nicht nur runter, er machte Druckverbände, schiente gebrochene Beine, redete gut zu. «Ich habe auf der Piste auch schon einem Mann eine Schulter eingerenkt.» Tatsächlich, ohne zu flunkern? «Ja. Ein Arzt hat mir einmal gezeigt, wie das geht.»

Unser Besuch bei Weysi geht zu Ende. Er schliesst das Skilift-Häuschen wieder ordnungsgemäss ab, versteckt den Schlüssel irgendwo. Wir stapfen zurück durch den kniehohen Schnee. So muss es wohl in den goldenen Zeiten gewesen sein. Nur fehlt jetzt das Surren des Lifts.

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