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Obwalden

Von roten und schwarzen Helden

Ein Vorbild zu haben, ist für viele Kinder wichtig. Auch «Ich meinti»-Kolumnist Romano Cuonz schwärmte als Viertklässler für eine ganz besondere Person: für Winnetou. War er deswegen ein Rassist?
Romano Cuonz, Journalist und Schriftsteller aus Sarnen. (Bild: Obwaldner Zeitung)

Romano Cuonz

Kinder brauchen Vorbilder. Ein Idol zu haben und ihm nachzueifern, kann sich gut auf ihre Entwicklung auswirken. Selber bin ich noch heute überzeugt – und zwar so felsenfest, wie es nur die Rocky Mountains sein können – dass ich als Bub das für mich einzig richtige Vorbild hatte.

Ich war ein Viertklässler, als ich auf dem Dachboden einen alten «Schmöker» mit olivgrünem Rücken und goldenen Lettern fand. Auf dem Umschlag ein Indianer mit langem schwarzem Haar und Gewehr in der Hand. Ich las Tag und Nacht. Der Effekt: Bald verwandelte sich ein kleines Bleichgesicht – ohne jede Skrupel – in Winnetou. Mit einer Hühnerfeder im Stirnband, bewaffnet mit einer hölzernen Büchse, in die ich silberne Nägel schlug und einem Tomahawk aus Karton begab ich mich auf den Kriegspfad. Über dem alten Sarner Steinbruch erhoben sich die Rockys. Die Melchaa wurde zum Mississippi und die Nachbarswiese zur Prärie. Elstern mutierten zu Adlern, unsere Katze zum Puma und Kühe zu Bisons. Die Waffen gebrauchte Winnetou nur im Notfall. Was mir imponierte, war die edle Gesinnung des Indianers. Seine grosse Liebe zur Natur und ihren Kreaturen. Seine Langmut, selbst weissen Feinden gegenüber. Natürlich vermag kein Kind so vollkommen zu sein, wie es diese, von Karl May erfundene, «Märchenfigur» war. Dennoch: Schaden entstand – und entsteht – wegen Winnetou kaum. Weder für mich noch für indigene Völker. Dass sich ein kleiner Fan in ein – wie ich mich heute der Korrektheit halber wohl ausdrücken müsste – «People of Color» verwandelte, war wohl reichlich naiv. Aber sicher keine kulturelle Aneignung. Oder gar Rassismus!

Allerdings: Schon damals gab es jemand, der mich aus realitätsfremden Träumereien riss. Der Geschichtslehrer und Bibliothekar am Sarner Kollegi. Bei ihm beschaffte ich mir Karl-May-Bücher aus allen Kontinenten. Doch eines Tages wollte er mir keins mehr geben. Wer derlei Schundliteratur verschlinge, beschwor er mich, lande wie der Autor im Gefängnis! Bloss: Die Heiligen, die uns die Patres anstelle von Winnetou und Old Shatterhand gerne als Vorbilder anboten – etwa den keuschen Aloisius von Gonzaga – waren wirklich kein brauchbarer Ersatz.

Apropos Vorbilder: Wenn ich dieser Tage lese, wie das Wallis und die halbe Schweiz wegen eines schwarzen Fussballers namens Mario Balotelli völlig aus dem Häuschen geraten, stellen sich mir gleich mehrere Fragen: Warum dürfen weisse Kinder für ihn, nicht aber für Winnetou schwärmen? Weshalb ist es «ganz normal», wenn Walliser Buben und Mädchen bald schon in personalisierten Trikots ihres schwarzen Idols herumtollen? Nicht rassistische, viel mehr pädagogische Bedenken bringen mich zu einer ketzerischen Frage: Wäre es, wenn überhaupt, nicht klüger, Kindern das «Fanen» für einen Skandalhelden zu verbieten? Zur Erinnerung: Der ebenso geniale wie gut verdienende Fussballer ist für zahllose Unsportlichkeiten und törichte Aktionen bekannt. Mutwillig demolierte er fremde Bentleys, im Trainingscenter von Manchester City bewarf er aus purer Langeweile Junioren mit Dartpfeilen. Und schon im ersten Spiel mit Sion kassierte er eine gelbe Karte, weil er gegen den Schiedsrichter motzte.

Ich meinti: I der modärne Wäld palaavered mä uber alls, sogaar uber das, wo äigetlich, wiäs sägid, «nid zum säge isch»!

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