Lucien Rahm
Am Montagabend wird, erfahrungsgemäss irgendwann zwischen 4 und 44 Minuten nach 18 Uhr, ein gewaltiger Knall durch die Schöllenenschlucht schallen. Quelle des Lärms wird der Sechseläuten-Böögg sein, in dessen Innern 140 Sprengkörper verbaut sind – der Hauptknaller steckt in seinem Hals. Dass die schneemannähnliche Figur jeweils im April auf dem Scheiterhaufen landet, ist seit über hundert Jahren der Fall. Dass sie das ausserhalb der Stadt Zürich tut, ist hingegen eine Premiere.
Einen offiziellen Bestandteil des Zürcher Frühlingsfestes, das unter dem Begriff Sechseläuten bekannt ist, stellt die Böögg-Verbrennung seit 1892 dar, wie man auf der offiziellen Website des Anlasses erfährt. Demnach wurde der Brauch in kleinerer Form aber bereits zuvor praktiziert. Im sogenannten Kratzquartier, das zwischen dem Fraumünster und dem mittlerweile als Bürkliplatz bekannten Ort liegt, sei die Verbrennung von Bööggen im Frühling schon seit Jahrhunderten zelebriert worden, und dies auf diversen Plätzen.
«Die Kratzbuben waren es übrigens auch, welche begannen, ihre Bööggen mit allerlei Feuerwerkskörpern zu stopfen», liest man. Durch die Integration der Kinder, die bis dahin mit ihrem Böögg vor der Verbrennung jeweils wild durch die Stadt zogen, habe dieses Brauchtum letztlich Eingang gefunden ins Sechseläuten. Das Aussehen eines Schneemanns habe der Böögg aber erst seit Beginn des vergangenen Jahrhunderts. Mittlerweile ist die verwendete Figur knapp dreieinhalb Meter gross und wiegt rund 100 Kilogramm.
Als der Böögg Opfer einer Entführung wurde
Seine Ausmasse haben jedoch nicht verhindert, dass der Böögg vor 15 Jahren bereits ein anderes Novum erlebte. 2006 haben ihn Unbekannte im Vorfeld des Festes entführt. Eine Ersatzfigur brannte stattdessen während des Sechseläutens über dem Feuer. Am darauffolgenden 1. Mai wurde er von Linksaktivisten im Rahmen einer Kundgebung kurz präsentiert, bevor er wieder verschwand. Am Tag danach stellten Polizisten den Böögg im Bunker eines Zürcher Schulhauses sicher und übergaben ihn wieder seinem Erbauer. Die Feuerwerkskörper hatten die Entführer der Figur entnommen. In folgenden Jahren sei der Pappschneemann dann vor seinem Einsatz jeweils «streng bewacht im Schalterraum einer Bank» aufbewahrt worden, wie unsere Zeitung 2009 berichtete.
Linksgerichtete Kräfte seien es auch 1921 gewesen, die den Traditionsanlass stören wollten – und dies zu einem gewissen Grad auch taten. Der Böögg ging damals nämlich zu früh in Flammen auf. Ein Junge habe ihn bereits um 13.30 Uhr angezündet, nachdem er von einer Gruppe Kommunisten dazu angestiftet worden sei. Die Aktion sollte ein Zeichen gegen die damalige hohe Arbeitslosigkeit sein. Auch hier musste für 18 Uhr ein Ersatz-Böögg her. Diesem sei dann als Revanche eine rote Fahne in die Hand gesteckt worden, wie auf einem Infoblatt der Stadt Zürich zu lesen ist. Zwei der anstiftenden Kommunisten seien danach zu sechs Monaten Arbeitshaus verurteilt worden.
Scheiterhaufen musste Gemüseacker weichen
Vor wie auch nach diesem Ereignis hatten die beiden Weltkriege einen Einfluss auf das Zürcher Frühlingsfest. So wurde in den letzten zwei Jahren des Ersten Weltkriegs, 1917 und 1918, auf die Verbrennung eines Bööggs verzichtet. Dennoch fanden damals Anlässe statt, wie die NZZ schreibt. Und während des Zweiten, in den Jahren 1943 und 1944, wurde zwar eine Schneemannsfigur dem Feuer zugeführt, jedoch an ungewohntem Ort. Statt auf dem Sechseläutenplatz, wo im Rahmen der «Anbauschlacht» Gemüse angepflanzt war, platzierte man den Scheiterhaufen am Hafen Enge. 1944 landete der Böögg dabei im Zürichsee. 1941 fand hingegen gar nichts statt: Auf den Umzug verzichtete man, das Holz für den Scheiterhaufen wurde an Kinder verteilt, um es für den heimischen Ofen zu verwenden, heisst es auf dem Stadtzürcher Informationsblatt.
Aber auch ein simples Wetterereignis vermochte die Verbrennung schon zu verhindern. Wegen strömenden Regens habe der Böögg 1923 nicht gebrannt. Und nachdem vergangenes Jahr die Pandemie die Dreieinhalb-Meter-Figur vor einem feurigen Ende bewahrte, muss sie nun dieses Jahr – wenn auch ohne Begleitfest – wieder dran glauben.
Präsident wünscht ein schnelles Ende
In Zürich sei die Vorfreude auf die Böögg-Verbrennung beim Organisationskomitee wie auch bei den Zünften gross, wie Markus Notter, Präsident des Zentralkomitees der Zünfte Zürichs, auf Anfrage mitteilt. Etwas Nervosität sei aber auch dabei. «Die Organisation grosser Volksanlässe bringt es mit sich, etwas nervös zu sein.» Das sei aber durchaus gut, «weil damit auch das Auge für Unerwartetes wachsam bleibt». Notter dankt den Beteiligten aus dem Urserntal und dem Kanton Uri für das Gastrecht und die «konstruktive und angenehme Zusammenarbeit». Die Sechseläuten-Fans bittet er zudem, sich das Spektakel von zu Hause aus anzuschauen. «Vor Ort ist weder der Zutritt noch eine Einsicht ins Geschehen möglich – weder für Urner noch für Zürcher.» Und auch an den Böögg hat Notter einen Wunsch – «ein schnelles Ende».
Hinweis: Die Böögg-Verbrennung wird Montagabend ab 17.50 Uhr im Zentralschweizer Fernsehen Tele 1 live übertragen.




Kommentare
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien, die Kommentare werden von uns moderiert.
Zu diesem Thema wurden noch keine Kommentare geschrieben.