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«Ürner Asichtä»: Unsterbliche Helden taugen nicht als Symbol

Ralph Aschwanden ist kein Freund von Symbolen, die für die Politik zweckentfremdet werden. Wilhelm Tell sei ein gutes Beispiel dafür. Was der Nationalheld mit einem Kleiderbügel zu tun hat, erzählt Aschwanden in der Kolumne.
Ralph Aschwanden, Vorsteher des Amts für Kultur und Sport. (Bild: Urner Zeitung)

Ralph Aschwanden,Vorsteher Amt für Kultur und Sport

Immer, wenn in der Schweiz Abstimmungen anstehen, rauchen die Köpfe in den PR-Abteilungen. Wie bringen wir komplexe Vorlagen im wahrsten Sinne «sinnbildlich» auf das Abstimmungsplakat? Sie erinnern sich sicher an eher zweifelhafte Plakate mit schwarzen Schafen oder wurmstichigen Äpfeln. Jüngst warb eine Partei mit einem überdimensionalen Lolly gegen das Stimmrechtsalter 16 im Kanton Zürich. Entsprechend sind Plakatsujets nicht immer gut gewählt oder – meiner Meinung nach – gar völlig sinnfrei. Symbole sind zwar aussagekräftig. Aber ob alle immer verstehen, was sich dahinter verbirgt?

Ein Beispiel gefällig? Als Symbol unglaublich langlebig ist beispielsweise unser Wilhelm Tell. Gerade im Zusammenhang mit der EU, der Coronapolitik oder Armeefragen ist häufig vom wohl berühmtesten «Gämschelijäger» aus Bürglen die Rede. Da wimmelt es in Leserbriefen von Vögten, Gesslerhüten und freiheitsliebenden «Vorvätern», dass die Zeilen krachen. An Demonstrationen wird relativ frei aus Friedrich Schillers «Tell» zitiert. Und selbst das Telldenkmal wird symbolschwer aufgeladen als derjenige Ort, wo der Tell dem Walterli den Apfel … ach, Sie wissen ja, wie das alles geht.

Schon grundsätzlich einzuwenden ist ja, dass der Tell ja gar nie gelebt hat und dass es deshalb ziemlich abwegig ist, dass man aktuelle Geschehnisse irgendwie mit Tell in Verbindung bringt. Was weiss denn der Tell schon von der EU? Oder darüber, welchen Sinn oder (aus Sicht der Demonstranten) Unsinn das Maskentragen in einer Pandemie hat? Oder wissen Sie allen Ernstes, was Tell wohl über den Klimawandel, den Atomausstieg oder die West-Ost-Verbindung gedacht hat? Die einzig richtige Antwort: Gar nichts! Und gerade das macht wohl den berühmtesten, niemals geborenen Urner so langlebig. Jeder und jede kann in Wilhelm Tell hineininterpretieren, was er oder sie will. Tell sei wie ein Kleiderbügel, schrieb sehr treffend ein bekannter Schweizer Historiker vor einigen Jahrzehnten über unseren «Nationalhelden»: «Jeder kann daran hängen, was er will.» Das ist im Übrigen nicht nur auf das 20. Jahrhundert beschränkt. Ein Besuch im Tellmuseum in Bürglen erzählt Ihnen auf leicht verständliche Art, wie sich die Tellfigur seit ihrem literarischen Auftauchen im 14. Jahrhundert stetig gewandelt hat. (Und im Übrigen auch zu einem Tell-Musical mit Jürgen Drews geführt hat … eine fantastische Trouvaille, finde ich!)

Sie merken: Ich bin grundsätzlich kein tiefer Freund von Symbolen in der Politik, auch wenn mich der Umgang mit Mythen wie Tell und die Schaffung von Nationalmythen sehr fasziniert. Für den alltäglichen Politgebrauch setze ich aber lieber auf Argumente und Diskussionen. Und insbesondere auf das Akzeptieren, dass manchmal die eigene Meinung nicht der Mehrheit entspricht – und man/frau sich entsprechend nach einer Abstimmung in Demut üben sollte (übrigens auch, wenn man gewonnen hat). Farbbeutel auf Denkmälern und Schriftzüge auf Rathäusern gehören da meiner Meinung nach nicht ins Repertoire einer Demokratie.

Und wenn wir schon bei Tell sind: Als Symbol für die Demokratie taugt der Wilhelm gar nicht. In zahlreichen Schriften wird er eher als Einzelgänger beschrieben, jüngst etwa bei Joachim B. Schmidt (dessen Buch «Tell» ich nur empfehlen kann). Oder präzis nach Schiller: «Der Starke ist am mächtigsten allein.» Da bin ich anderer Meinung.

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