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Kolumne

«Ürner Asichtä»: Die besten Jahre

Kolumnist Ralph Aschwanden über die Mitte des Lebens.
Ralph Aschwanden.
Bild: zvg

Die Anzeichen waren ja schon länger da. Aber so richtig sehen wollte ich es nicht: Die Mitte meines Lebens ist erreicht (mit 47 Jahren bin ich statistisch gesehen sogar schon drüber). Vielleicht waren es die ersten Fitnessprogramme für «Junggebliebene Senioren», die sich auf meinen Sozialen Medien in die Werbung schlichen. Möglicherweise aber sind es die grau-weissen Barthaare, die sich inflationär auf meiner unteren Gesichtshälfte vermehren. Das passiert übrigens im gleichen Masse, wie sich Haare am anderen Ende des Gesichts für immer verabschieden. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich kaum je mehr Sonnenbrand hatte als im vergangenen Sommer. Denn: Die Stirn ist nicht mehr von Haaren bedeckt. Das bietet völlig neue Angriffsfläche für Sonnenstrahlen. Es lässt sich nicht leugnen: Ich habe die Hälfte des Lebens wohl hinter mir.

Die Mitte des Lebens – so heisst auch ein sehr gutes Buch der Philosophin Barbara Bleisch, das gerade auf meinem Nachttisch liegt. Es geht dabei um eine philosophische Betrachtung darüber, was denn die Mitte des Lebens so bietet. Klar, es geht um Fazit: «Was habe ich denn schon erreicht? Was nicht?» Es geht um Reue und Bedauern. Es geht aber auch darum, dass das Ende langsam in Sicht kommt. Schliesslich hat man ja die Hälfte des Weges zurückgelegt. Da fragt man sich doch: Folgt nun nach dem Aufstieg ein langsamer Abstieg? Was kommt noch?

Barbara Bleisch selber ist der Mitte des Lebens aber positiv zugewandt. Der Untertitel des Buchs lautet nämlich: «Eine Philosophie der besten Jahre». Das tönt doch verheissungsvoll, sage ich mir. Schliesslich kann man sich in der Mitte des Lebens – noch voll im Saft, versteht sich – in aller Ruhe fragen, was man überhaupt noch erreichen will und kann. Was sich lohnt und was nicht. Denn man weiss viel besser als mit 20, was einem gefällt und was nicht. Ein kleiner Hinweis an meine Familie: Keine Angst, ich werde mir keine Harley Davidson kaufen, um eine Midlife-Crisis zu überwinden. Töff-Fahren ist immer noch nichts für mich.

Barbara Bleisch hat natürlich recht. Die Mitte des Lebens ist die beste Zeit des Lebens. Also für mich. Denn da stecke ich gerade drin. Mitten im Leben. Mit allen Vor- und Nachteilen: Meine massgeschneiderte Musikuniform passt mir nur noch sehr bedingt – und sitzen in der Uniform hat so seine Tücken. Unsere eineinhalb Teenager halten meine Frau und mich auf Trab. Ich übe einen abwechslungsreichen und herausfordernden Beruf aus. Ambri war zwar nicht in den Play-offs – aber wenigstens besser als Lugano in dieser Saison. Ich habe dieses Jahr erst eine Sonnenbrille verloren. Sie sehen: Fazit ziehen ist gar nicht so schwer. Das Wichtigste aber: Die besten Jahre sind nicht nur in der Mitte des Lebens. Die besten Jahre sind grundsätzlich immer da, wo man gerade drinsteckt. Man muss sie nur dazu machen.

Ralph Aschwanden, Leiter des Urner Amts für Kultur und Sport aus Altdorf, äussert sich abwechselnd mit anderen Autorinnen und Autoren zu einem selbst gewählten Thema.

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