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Zug

Über den Zuger Langzeitbundesrat Philipp Etter scheiden sich die Geister

Der bekannte Historiker Jakob Tanner findet für die im Frühjahr erschienene Biografie des Zuger Historikers Thomas Zaugg kein gutes Wort.
Im Staatsarchiv Zug gibt es ein umfangreiches Quellmaterial zum ehemaligen Langzeitbundesrat. (Bild: Stefan Kaiser (Zug, 11. Februar 2020))
Der Zuger Staatsarchivar Ernst Guggisberg blättert in den Dokumenten des ehemaligen Zuger Bundesrates, Philipp Etter. (Bild: Stefan Kaiser, Zug, 11. Februar 2020)
Porträt von Bundesrat Philipp Etter (1891–1977), aufgenommen im Dezember 1934. Etter war von 1934 bis 1959 Mitglied des Bundesrats. (Bild: Keystone/Photopress-Archiv/Str)

Marco Morosoli

Marco Morosoli

Marco Morosoli

In Gerichtssälen und auf Eishockeyfeldern geht es bisweilen ruppig zu und her. Das hat mit der Art der Beschäftigung in diesen Räumen zu tun. Dass es auch unter Schweizer Historikern zu einem Hauen und Stechen kommen kann, ist ein eher ungewohntes Phänomen. Entzündet hat sich ein Streit an der im Frühjahr 2020 erschienenen Biografie über den ersten Zuger Bundesrat Philipp Etter (1891–1977). Der Autor der umfassenden und von der Universität Zürich ausgezeichneten Studie, der Zuger Historiker Thomas Zaugg, konnte dabei erstmals auf Quellenmaterial Etters zurückgreifen, welches Nachfahren dem Staatsarchiv Zug vermachten und seit 2014 öffentlich zugänglich ist. Die umfangreiche Biografie liest sich gut, die genannten Quellen sind jederzeit belegt. Alles in allem bekommt der Leser ein Bild von Philipp Etter und seinem Denken.

Die in vielen Zeitungen und Magazinen seither erschienenen Besprechungen über die Doktorarbeit von Thomas Zaugg decken ein breites Spektrum ab, wobei die Fundamentalkritiker am lautesten sind. Um den Zuger Bundesrat einordnen zu können, hilft ein Blick in das Historische Lexikon der Schweiz (HLS). Dort steht unter anderem: «Etters politisches Wirken war geprägt durch seine Innerschweizer Heimat und sein katholisch-konservatives Weltbild, das unter anderem auch von antijudaistischen und antisemitischen Klischees durchsetzt war.» Das Thema Juden im Kontext unter anderem des Zweiten Weltkriegs sorgte in der Vergangenheit schon oft für Verwerfungen, weshalb sich Zaugg in mehreren Kapiteln dieser Problematik widmet. Das HLS schliesst Etters Beitrag mit der Bemerkung, der Zuger gehöre «zu den bedeutendsten und profiliertesten Figuren der Schweiz im 20. Jahrhundert». Der ehemalige SVP-Nationalrat Christoph Mörgeli verweigert in einer Buchbesprechung in der «Weltwoche» dem ersten Zuger Bundesrat dieses Prädikat. Immerhin bemerkt Mörgeli, dass bislang kein Bundesrat eine «so sorgfältige wissenschaftliche Würdigung erfahren» habe.

Der Historiker Georg Kreis besprach in der «Neuen Zürcher Zeitung» Thomas Zauggs Buch wohlwollend-kritisch und räumte teilweise eigene Irrtümer ein. Zaugg habe mit «bemerkenswerter Systematik» gearbeitet und ermögliche mit Quellentexten «in reicher Fülle» eine neue Meinungsbildung. Derweil beklagte Daniel Di Falco, Redaktor von «NZZ Geschichte», die Vorgehensweise des Autors: «Wo es keine belastbaren Fakten gibt, die für Etter sprechen, springt Zaugg in die Bresche – nicht wie ein Historiker, sondern wie ein Anwalt.» Di Falco hält weiter fest, dass Etter kein Nazi gewesen sei, jedoch habe er «für die Juden keinen Platz im Abend- und im Vaterland» gesehen.

Einer spannt die Etter-Biografie unter den Dampfhammer

Zur Fundamentalkritik an Thomas Zauggs Biografie fühlt sich der Historiker und ehemalige Zuger Nationalrat Josef Lang berufen. Auf etwas mehr als vier Zeilen lässt Lang den Dampfhammer in der «Wochenzeitung» wiederholt fallen. Der «Wälzer» lese sich wie das «akribische Plädoyer eines versierten Verteidigers». Es würden im Werk allzu wortreich «unzutreffende Vorwürfe an Etter berichtigt»: «Kritisches, das sich nicht verschweigen lässt, wird verharmlost, Fragwürdiges, das unbekannt scheint, übergangen.» Verharmlosend findet Lang, der kürzlich ein Buch über die Demokratie der Schweiz herausgegeben hat, etwa die Passagen zur Grenzschliessung vom August 1942. Etter unterschrieb als Bundespräsident damals die Verfügung zur Grenzschliessung. Als geübter Etter-Kritiker lässt Lang in seinem Demokratie-Buch die zentralen Verantwortlichen der Flüchtlingspolitik, Bundesrat von Steiger und Fremdenpolizeichef Rothmund, im Haupttext fast unerwähnt und rückt Etters Verantwortung ins Zentrum.

Etter und das Zuger Holdingsteuerprivileg

Der emeritierte Geschichtsprofessor Jakob Tanner schreibt in einem weiteren Beitrag für die «Wochenzeitung», Zauggs Biografie von Philipp Etter sei «Geschichtsverdrängung». Tanner kritisiert beispielsweise, dass in der Etter-Biografie das Werden des Finanzplatzes Zug nicht gewürdigt werde. Tanner dürfte entgangen sein, dass die Reformen der Zuger Steuergesetze der damalige Finanzdirektor Otto Henggeler (1877–1946/FDP) geprägt hat. Zu den zwischen 1921 und 1946 lancierten Neuerungen gehörte auch das Holdingsteuerprivileg. Zweifelsohne legte der Kanton mit diesen Gesetzesrevisionen den Grundstein zum Zuger Steuerparadies nach dem Zweiten Weltkrieg. Thomas Zaugg erwähnt in seinem Buch Etters Unbehagen an der tieferen Besteuerung kantonsfremder Unternehmer, jedoch auch die Anpassung an die in Zug bereits früh einflussreichen Zürcher Finanzmächte. Den verbalen Tiefschlag versuchte Jakob Tanner durch den Einwurf, es irritiere ihn, dass Zauggs Arbeit die «Qualifikationsziele» der Universität Zürich erreicht habe.

Die absolute Wahrheit ist ein Unding

Die Durchsicht der vorerwähnten Zeugnisse zum Wirken von Philipp Etter zeigen, dass es eine Wahrheit kaum geben kann. Thomas Zaugg hat mittlerweile gegenüber seinen schärfsten Kritikern in der Onlineausgabe der Zeitschrift «Schweizer Monat» (schweizermonat.ch) eine Widerrede gehalten und sein Forschungsergebnis verteidigt. Die Kritiker seiner Etter-Biografie, so äussert sich Zaugg, bedienten sich äusserst harter Mittel. Das Verständnis der Vergangenheit dürfe und müsse in der Geschichtswissenschaft «ständig neu beurteilt werden». Zaugg schlägt Annäherungen vor, die mittels der zur Verfügung stehenden Quellen zu gewinnen seien. Von seinen Kritikern erwartet er, dass sie nicht hinter den Stand neu belegter Forschungsresultate zurückfallen.

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