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Obwalden

Sprache finden für ein Thema, über das man nicht spricht

An der Kantonsschule Obwalden wurde am Samstag eine Wanderausstellung über Suizid aus der Perspektive der Hinterbliebenen eröffnet.
Um Suizid geht es in der Ausstellung «Leben, was geht!», die am Samstag in der Kantonsschule Obwalden eröffnet wurde. (Bild: Marion Wannemacher (Sarnen, 12. März 2022) )
Martin Steiner hat die Ausstellung «Leben, was geht!» konzipiert. Er hat früher an der Kantonsschule Obwalden unterrichtet. (Bild: Marion Wannemacher (Sarnen, 12. März 2022))
Um Suizid geht es in der Ausstellung «Leben, was geht!», die am Samstag in der Kantonsschule Obwalden eröffnet wurde. Auch Lydia Hümbeli (links) vom Gesundheitsamt Obwalden und Kathinka Duss, zuständig für Gesundheitsförderung und Prävention, waren an der Vernissage. (Bild: Marion Wannemacher (Sarnen, 12. März 2022) )

Marion Wannemacher

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Sprachlosigkeit und Stille ist das, was Menschen begegnet, die einen Angehörigen verlieren, der Suizid begangen hat. «Die Ausstellung soll einen Raum auftun zum Reden und zum Reflektieren», sagt deren Leiter Martin Steiner. Er hat die Ausstellung «Leben, was geht!» konzipiert. Am Samstag wurde sie in der Kantonsschule Obwalden eröffnet. Sie befasst sich mit dem Thema Suizid, das noch immer ein Tabu ist. «Und das, obwohl täglich zwei bis drei Menschen in der Schweiz aus dem Leben scheiden», wie der 45-Jährige zu bedenken gibt.

Steiner, der selbst zehn Jahre in Obwalden an der Kanti unterrichtet hat und nun in Wohlen Geschichte auf Französisch und Englisch lehrt, weiss, wovon er spricht. Als er 27 Jahre alt war, verlor er einen Freund, als er 43 war, nahm sich jemand im Betrieb das Leben. «Der Umgang mit dem Thema war immer noch gleich. Entweder habe ich nichts gelernt oder die Gesellschaft hat sich nicht weiterentwickelt», schlussfolgert er.

In einem Moment änderte sich für den Vater das ganze Leben

Seine Ausstellung ist ein Versuch, sich dem Thema anzunähern. Es verleiht den Hinterbliebenen eine Stimme. 25 Betroffene erzählen über ihre Erfahrungen in sogenannten «Living Books». Per QR-Code können diese mit dem eigenen Handy und Kopfhörern abgespielt werden. Menschen aus dem beruflichen Umfeld äussern sich: ein Psychiater, ein Therapeut, ein Seelsorger, zwei Bestatterinnen oder auch jener Vater, dessen Leben sich in einem einzigen Moment veränderte. Es war der Augenblick, in dem er erfuhr, dass der eigene Sohn Suizid begangen hatte.

«Du verstehst eigentlich gar nichts mehr. Wie kann das sein, dass dein Kind nicht mehr da sein soll», beschreibt er sehr eindrücklich seine Gefühle. Die Familie habe lernen müssen, ohne ihn weiterzuleben. «Wie geht das denn?», hätten er und seine Frau sich damals gefragt.

Die Ausstellung besteht aus einem interaktiven Parcours. Wohnzimmermöbel laden zum gemütlichen Verweilen und dazu, sich auf die Lebensgeschichten einzulassen. Der Besucher erfährt aber auch sachliche Tipps, wie Hinterbliebene behandelt werden möchten. Eine Tafel zeigt deren Bandbreite von Gefühlen – von Schock über Schuldgefühle, Wut, Vorwürfe und Hoffnungslosigkeit. Auch ihre Gedanken kommen zur Sprache: «Ich bin es nicht wert, dass man wegen mir weiterlebt», steht da zu lesen oder: «Ich muss ein schlechter Ehepartner gewesen sein.»

Intervention durch den Bekannten brachte ihn vom Plan ab

Beeindruckend sind auch die Kurzvideos mit authentischen Statements Überlebender. Sie wollten ihrem eigenen Leben ein Ende setzen, liessen dies aber aufgrund einer Intervention sein. «Mach kä Seich», habe ihm der Freund geraten, erzählt ein Mann im mittleren Alter. Tatsächlich habe ihn das von seinem Plan abgebracht.

Die Ausstellung ist öffentlich, an den Wochenenden ist Martin Steiner für die Besucher da. Zwölf Klassen sind bereits angemeldet. Deren Lehrer können mit didaktisch vorbereitetem Material das Thema pädagogisch begleiten. Brigitte Haselböck, Lehrerin für Psychologie und Pädagogik an der KSO, wird die Ausstellung mit drei verschiedenen Klassen besuchen. «In unserer Schwerpunktwoche befassen wir uns mit dem Thema ‹Norm und Wahnsinn›. Dazu gehört auch die Frage, was man machen soll, wenn jemand suizidgefährdet ist.»

Beim Kanton Obwalden nimmt man das Thema sehr ernst. Verschiedene Departements finanzierten die Ausstellung mit. Lydia Hümbeli, Fachverantwortliche Projekte vom Gesundheitsamt, und Kathinka Duss, die für Gesundheitsförderung und Prävention zuständig ist, betonen deren Bedeutung. «Das Thema muss enttabuisiert werden, es ist wichtig, dem Raum zu geben und zu zeigen, dass Krisen zum Leben gehören», so Kathinka Duss. «Wichtig ist der präventive Aspekt, dazu zu motivieren, dass man nicht allein ist und Hilfe holen kann», ergänzt Lydia Hümbeli.

Die Ausstellung ist bis 27. März zu sehen. Das eigene Handy und Kopfhörer mitbringen. Filme am 18. März und am 25. März, je 18 Uhr, in Anwesenheit der Regisseure. Öffnungszeiten leben-was-geht.ch/ausstellung

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