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Luzern

Nach 35 Jahren verabschiedet sich der Dorfarzt von Aesch: «Es gab Zeiten, da hatten wir täglich zehn Stunden lang Sprechstunde»

Dass Hausärzte heutzutage auch in den Praxen ausgebildet werden, begrüsst Jakob Bieri (68). Der Aescher Dorfarzt ging selber mit gutem Beispiel voran. Nun geht er in Pension.
Dorfarzt Jakob Bieri beendet nach 35 Jahren seine Tätigkeit und tritt in den Ruhestand. (Bild: Nadia Schärli (Aesch, 16. März 2021))

Reto Bieri

Richtig begreifen kann er es noch nicht, doch nach 35 Jahren als Aescher Dorfarzt ist Ende März Schluss. «In den letzten Wochen sind einige Leute extra gekommen, um sich zu verabschieden. Das berührt mich.» In der Anfangszeit hatte der junge Arzt allerdings wenig zu tun. Grund: Bieri war, als die Praxis 1986 im neu erbauten Gemeindehaus eröffnete, nach einem jahrzehntelangen Unterbruch der erste Dorfarzt. «Erst als die Bevölkerung Vertrauen entwickelt hatte, konnten wir die Sprechstunden nach und nach ausweiten», sagt Bieri. Die Administration erledigte seine Frau Marianne, die ihm den Rücken freihielt und sich zusätzlich um die drei Töchter kümmerte.

In den ersten Jahren arbeitete Bieri mit nur einer Arztgehilfin. Mit der Zahl der Patientinnen und Patienten stieg auch jene der Praxisassistentinnen. Bieri erinnert sich:

«Es gab Zeiten, da hatten wir täglich zehn Stunden lang Sprechstunde, alle 15 Minuten einen Patienten.»

Das habe funktioniert, weil die Leute früher auf die Meinung des Arztes vertrauten, die Konsultationen seien kürzer gewesen. «Heute rechnen wir pro Patient mit einer halben Stunde. Sie kommen mit mehr Vorwissen, wir diskutieren mehr», so Bieri.

Patienten und Krankenkassen hinterfragen mehr

Die Patientinnen und Patienten erwarten zudem, dass der Arzt bald einmal eine Laboranalyse anordne, ein Röntgenbild mache oder einen Spezialisten beiziehe. Auch die Krankenkassen verlangten mehr Details. «Heute umfasst eine Arztrechnung mehrere Seiten, die der Patient oft gar nicht versteht. Jede Minute und jedes Medikament muss gerechtfertigt werden.»Grundsätzlich findet es Bieri in Ordnung, dass Patienten und Krankenkassen mehr hinterfragen. «Aber es bedeutet einen deutlichen administrativen Mehraufwand.»

Eine Arbeitserleichterung sei vor rund zwölf Jahren die Einführung von elektronischen Patientendossiers gewesen. Das Internet lernte Bieri dank einer jungen Ärztin im Hausarztpraktikum kennen und nutzen. Bieri:

«Mit ein paar Klicks gelange ich während der Sprechstunden an Infos, das ist schon toll. Manchmal schaue ich mit den Patienten ein Filmchen an, zum Beispiel wie ein Knie funktioniert.»

Der gebürtige Hochdorfer war mehrere Jahre im Vorstand der Vereinigung Luzerner Hausärzte, davon zwei Jahre als Präsident. Bieri engagierte sich einige Jahre lang auch für das kantonale Institut für Hausarztmedizin. Die Ausbildung zum Hausarzt habe sich in den vergangenen vier Jahrzehnten verändert. Er selber hat sich, wie damals üblich, nach dem Staatsexamen 1979 in Bern an diversen Spitälern weitergebildet: Chirurgie, Psychiatrie, Gynäkologie und Geburtshilfe, Innere Medizin und Pädiatrie.

Heute finde die Ausbildung zum Teil in den Hausarztpraxen statt. «Dafür habe ich mich immer engagiert und meine Praxis für Studenten und junge Ärzte in Weiterbildung geöffnet.» Dass angehende Hausärzte ihr Handwerk vor Ort lernen, sei eine gute Entwicklung. «Wir mussten früher das im Spital erlernte selber für die Grundversorgung adaptieren.»

Telefonanrufe mitten in der Nacht

Jakob Bieri war früher fast Tag und Nacht erreichbar. «Manchmal riefen besorgte Eltern mitten in der Nacht an, weil ihr Kind Ohrenschmerzen hatte.» Mehr Freizeit gibt es für die Hausärzte, seit der Notfalldienst neu organisiert wurde. Statt wie früher fast rund um die Uhr, leistet Bieri seit rund zehn Jahren vier bis fünf Mal pro Monat abends oder am Wochenende Dienst in der ärztlichen Notfallpraxis beim Spital Muri.

«Das ist ein riesiger Vorteil, denn es ermöglicht jungen Ärztinnen und Ärzten, Teilzeit zu arbeiten und Job und Familie zu vereinbaren, ohne dass die medizinische Versorgung der Bevölkerung leidet.»

Teilzeit arbeitet auch seine Nachfolgerin Aurelia Herzog. Die Schongauerin ist seit fünf Jahren in der Aescher Praxis tätig und leitet sie seit zwei Jahren. Um sie zu unterstützen, hat Bieri, der dieses Jahr 69 wird, in einem Teilpensum weitergearbeitet. Nun kann er beruhigt in Pension gehen: Seit Ende Februar kümmert sich mit Christiane Maier-Weiterschan eine zweite Ärztin um die Bevölkerung.

Im Einsatz als Impfarzt

Ganz kehrt Bieri der Medizin vorerst nicht den Rücken. Seit Anfang Jahr ist er freitags als Impfarzt in der Messe Luzern engagiert. Bieri lobt: «Es ist alles sehr gut organisiert - ausser dass leider ein Impfstoffmangel besteht.» Sobald ein Impfstoff zur Verfügung steht, der sich für den Einsatz in Hausarztpraxen eigne, solle man diese aber in die Impfstrategie miteinbeziehen.

Künftig werden Jakob und Marianne Bieri in der Stadt Luzern wohnen, wo sie sich vor einigen Jahren eine Wohnung gekauft haben. Bieri freut sich nun auf noch mehr Zeit für die vier Grosskinder, auf den Besuch von kulturellen Veranstaltungen und aufs Reisen mit dem Campingbus.

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