Gerade waren wir bei der Lehrabschlussfeier unseres Sohnes. Es war schön. Die jungen Menschen aus der Zentralschweiz erhielten ihr Diplom, jeder und jede einzeln. Mütter und Väter spendeten Applaus für alle, es machte keinen Unterschied, ob man das eigene Kind beklatschte oder die vielen anderen, die man noch nie gesehen hatte. Das ist Demokratie, dachte ich unwillkürlich und freute mich.
Zu Hause holte einen das Weltgeschehen wieder ein. Was macht der Krieg in der Ukraine, was der Krieg in Gaza? Und: Hat der deutsche Verteidigungsminister mal wieder für Kriegstüchtigkeit plädiert? All die Teenager bei der Feier vor Augen, rund 19 Jahre alt, unschuldig, gesund, glücklich, hoffnungsvoll, wirkt das Kriegsgerede des Boris Pistorius noch verantwortungsloser, als es eh schon ist.
Ich war Kind im Süddeutschland der Siebzigerjahre, und den guten Geist eines Willy Brandt mit seiner Annäherung an den Osten, seinem Kniefall in Warschau und seinem Einsatz für Frieden und Abrüstung spürte ich selbst im Kindergarten. In den Wohnzimmern älterer Menschen hingen damals mitunter gerahmte Porträts junger Männer. Das waren die Söhne, die im Zweiten Weltkrieg gefallen waren. Als Kind dachte man: Das ist dunkelste Vergangenheit, heute sind die Menschen klüger, heute ist Krieg Vergangenheit. Heute haben wir so kluge Politiker wie Willy Brandt.
Den Pazifismus habe ich mit der Muttermilch aufgesogen, den Siebzigern sei Dank. Aus meiner heutigen Sicht als Mutter empfinde ich ihn als alternativlos. Ich habe meinen Sohn zur Welt gebracht, gestillt und behütet, gegen Pest, Cholera und Masern impfen lassen. Sechs halbe Jahre lang in Schwimmkurse investiert, dann kam der Musikunterricht, dann der Fussballverein. Schule, Lehre, und immer Liebe. Denken Sie wirklich, Herr Pistorius, ich gäbe meinen Sohn für Volk, Vaterland und, reden wir doch Klartext: die Rüstungsindustrie? Ich sag es Ihnen mit Liedermacher Reinhard Mey, Herr Pistorius: Nein, meinen Sohn, den geb ich nicht.
Am Freitag äussern sich jeweils Gastkolumnisten und Redaktorinnen unserer Zeitung zu einem frei gewählten Thema.
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