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Obwalden

Maturaarbeit zu Magersucht: Fast die Hälfte aller befragten Sportlerinnen hat ein gestörtes Körpergefühl

Ausdauersportlerinnen sind offenbar anfälliger für Magersucht als andere. Sarah Ehrat hat für ihre Maturaarbeit Sportvereine aus Ob-, Nidwalden und Luzern dazu befragt.
Sarah Ehrat, Maturandin aus Engelberg.
(Bild: PD)
Sarah Ehrat sagt, mit der Zeit habe sie gelernt, dass es so viel Wichtigeres gibt als sich immer wieder auf die Waage zu stellen. 
(Bild: PD)

Marion Wannemacher

Marion Wannemacher

Der Auslöser war eine Diskussion beim Abendessen. Sarah Ehrat war auf der Suche nach einem Thema für ihre Maturaarbeit. «Ich war mir sicher, dass ich gern ein medizinisches Thema bearbeiten würde, möglicherweise Magersucht», erzählt Ehrat, deren Vater in Engelberg Arzt ist. Schnell sei das Gespräch auf den Druck gekommen, unter dem heute junge Mädchen im Ausdauersport stünden, erinnert sich die Engelbergerin.

«Meine Schwester erzählte dagegen von ihr bekannten Eishockey-Spielerinnen, die wohl eher keine Probleme mit ihrem Essverhalten hätten.»

So bestimmte sie zum Thema ihrer englischsprachige Maturaarbeit: «Sind Ausdauersportlerinnen anfälliger für Magersucht im Vergleich zu Mannschaftssportlerinnen?» Das Thema Magersucht betraf die 18-jährige Absolventin der Engelberger Stiftsschule persönlich. «Jemand aus der Verwandtschaft war magersüchtig. Auch nach der Heilung blieb das Thema präsent.» Seitdem hat Sarah darüber im Internet recherchiert, Bücher gelesen und war gleichermassen «betroffen wie fasziniert von dieser Krankheit.»

Für ihre Arbeit entwickelte sie eine Umfrage, bei der den Befragten nicht von vornherein klar war, dass es um das Thema Essstörungen ging. Sie schrieb Sportvereine, Clubs und Mannschaften aus Ob- und Nidwalden sowie Luzern an. Darunter waren der Basketball Club Sarnen, der FC Sarnen, die LA Nidwalden Leichtathletik, die Langlaufabteilung der Sportschule Engelberg, den Engelberger SC, der Eishockeyclub GCK/ZSC Lions Girls, das Swim Team Lucerne und der Triathlon-Club Hergiswil. Bei ihrer Arbeit fokussierte sich die Maturandin von vornherein auf junge Frauen mit einem höheren Risiko für Magersucht.

Antworten liessen zunächst auf sich warten

Als Herausforderung habe sich zunächst die Beteiligung an ihrer Umfrage erwiesen. «Zuerst habe ich keine Antworten bekommen.» Schliesslich beteiligten sich dann aber doch 114 Sportlerinnen mit einem durchschnittlichen Alter von etwa 15 Jahren an der Umfrage. Ideal für Ehrat: Sie stammten je zur Hälfte aus beiden zu untersuchenden Bereichen, dem Mannschaftssport und dem Ausdauersport. Ehrat zeigt sich mit diesem Resultat zufrieden: «Das ist ein guter Rücklauf.»

Für ihre Umfrage liess sie sich von Fragebögen aus Kliniken inspirieren, die eine klare Diagnose erbringen sollen, ob eine Patientin an Magersucht leidet. Auch fügte sie eigene Fragen hinzu. Sie richtete eine Website ein, um die Anonymität zu gewährleisten und die Hemmschwelle für eine Teilnahme herabzusetzen.

Ihre Fragen drehten sich um den Zusammenhang des ausgeübten Sports und der etwaigen Verpflichtung, das eigene Gewicht zu kontrollieren oder sogar zu reduzieren. Auch wollte die Maturandin von den teilnehmenden Sportlerinnen der Region Einzelheiten zu ihrer eigenen Körperwahrnehmung und ihrem Wohlbefinden erfahren.

Vier Prozent der befragten Ausdauersportlerinnen erbrechen regelmässig

Mit manchen Antworten hatte Sarah Ehrat gerechnet. So befanden fast die Hälfte aller Befragten, ihre Beine und ihr Bauch seien zu dick. Andere Resultate der Umfrage lösten bei ihr Betroffenheit aus.

«Am meisten hat mich überrascht, wie viele Mädchen sich sogar mehrmals am Tag wägen.»

Vier Prozent der Ausdauersportlerinnen hatten dies angegeben und drei Prozent der Mannschaftssportlerinnen. Noch erschreckender fiel die Antwort auf die Frage aus, ob die Sportlerinnen bereits einmal nach dem Essen erbrochen hätten. Vier Prozent der Ausdauersportlerinnen und zwei Prozent der Mannschaftssportlerinnen gaben an, dass sie dies nach jedem Essen tun würden. «Auch das hat mich überrascht.»

Insgesamt sieht sie ihre Hypothese durch die Umfrage bestätigt. Ausdauersportlerinnen fühlen sich demnach verpflichtet, ihr Gewicht zu halten oder sich mindestens um Kalorien und Ernährung zu kümmern. 81 Prozent von ihnen haben Angst, zuzunehmen oder sie versuchen, ihr Gewicht zu halten – im Vergleich zu 73 Prozent bei den Teamsportlerinnen. Bei nahezu der Hälfte aller befragten Sportlerinnen ist das Körpergefühl gestört: Sie fühlen sich in ihrem Körper nicht zu Hause. Ihre Angaben lauteten von «etwas beeinträchtigt» bis zu «sehr unwohl».

Gruppendruck unter jungen Frauen durch Social Media

Sarah Ehrat stellt in ihrer Arbeit nicht nur einen Zusammenhang zum ausgeübten Sport, sondern auch zum Konsumverhalten vieler junger Frauen her. «Sicher sind Social Media ein sehr grosser Faktor», sagt sie. «Man sieht durch Photoshop bearbeitete Bilder oder Darstellungen von Models, eben unrealistische Bilder von Frauen und vergleicht sich unterbewusst mit ihnen.» Und noch eins ist der Engelbergerin mittlerweile bewusst geworden:

«Mir fällt heute viel eher auf, dass Frauen ihr Aussehen kritisieren.»

Als Konsequenz richtet die junge Frau einen Appell an Lehrer, Trainer, Eltern und Kollegenkreise: «Es darf keinen Kommentar geben über das Aussehen. Es geht niemanden etwas an, wie jemand aussieht. Allein, was das auslöst, wenn man einer jungen Frau sagt: ‹Du siehst zu dick aus›.» Sarah Ehrat steht dazu: Früher hat sie sich selber regelmässig auf die Waage gestellt.

«Mit der Zeit habe ich gelernt, dass es so viel Wichtigeres gibt.»

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