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Jugendbewährungshilfe Zug: Arbeiten statt Schulbank drücken

Philipp Suter von der Jugendbewährungshilfe Zug hat die Erfahrung gemacht, dass nicht alle Kinder neun Jahre Schule brauchen. Für manche suchen er und sein Team erfolgreich andere Wege.
Erlebnispädagoge Aurel Bojescu hackt mit Amir im Wald Holz. So hat vor vier Jahren die erste Begegnung zwischen dem damals 15-Jährigen und der Jugendbewährungshilfe Zug stattgefunden.  (Bild: Maria Schmid (Baar, 14. Dezember 2020))
Bei der körperlichen Betätigung entstehen Gespräche. Die Mitarbeiter der Jugendbewährungshilfe Zug erfahren dabei die Ziele und Wünsche des Jugendlichen.  (Bild: Maria Schmid (Baar, 14. Dezember 2020))

Cornelia Bisch

Cornelia Bisch

«Ich war schon früh auffällig in der Schule», erzählt Amir Salih*. «Ich war respektlos gegenüber Lehrpersonen, habe im Unterricht gestört, die Hausaufgaben nicht gemacht und nicht gelernt.» Warum er sich so benommen hat, kann sich der heute 19-Jährige, der eine Lehre im Detailhandel absolviert, nicht erklären. Er sagt:

«Es ist schwer, zu sagen. Ich war einfach faul und ein Rebell.»

Amir verbrachte seine ersten Lebensjahre in Deutschland und zog nach der Trennung seiner Eltern mit seiner Mutter in den Kanton Zug. Ein bisschen mehr Kontakt zu seinem Vater hätte sich der Jugendliche gewünscht. «Aber mein Onkel und meine Mutter waren für mich da.» Ihnen macht Amir keine Vorwürfe. «Abgesehen von normalen Reibereien hatten wir es gut zusammen.» Aber für seine Mutter sei diese Zeit sehr anstrengend gewesen, bedauert er.

Sonderschulsetting ist ein Misserfolg

Amir war 14 Jahre alt, als er für einige Monate in die Time-out-Klasse Alpenblick in Cham eingewiesen wurde, die sich der Begleitung von Schülern mit Schwierigkeiten im Bereich der Lern-, Selbst- und Sozialkompetenz widmet. «Dort kam ich durch Mitschüler zum ersten Mal mit Cannabis in Berührung und begann zu kiffen», erzählt er. Es habe auch Schüler gegeben, die bereits Anzeigen am Hals gehabt hätten. «Mit dem Gesetz bin ich zum Glück nie in Konflikt geraten. Diese Hemmschwelle habe ich nicht überschritten», stellt Amir erleichtert klar. «Aber der Umgang mit den Jugendlichen im Time-out hat mir nicht gutgetan, sondern im Gegenteil meine Situation noch verschlimmert.»

Entscheidende Weichenstellung

Die Schule nahm ihn danach zwar zurück, aber es lief nur kurzzeitig besser. Rektor Peter Meier entschied sich, kein weiteres Sonderschulsetting für Amir zu veranlassen, sondern schaltete Philipp Suter von der Jugendbewährungshilfe Zug ein. Wie sich später herausstellte, war dies die entscheidende Weichenstellung im Leben des rebellischen Jugendlichen. «Mit der Hilfe von Philipp Suter konnte ich viele verschiedene Schnupperlehren und Praktika machen», erzählt Amir. «Das war das Richtige für mich. Wäre ich wieder mit anderen Problem-Jugendlichen zusammen gekommen, wäre ich vermutlich ganz abgestürzt.»

Philipp Suter habe ihm keineswegs alles pfannenfertig geliefert. «Er war extrem hartnäckig. Ich musste mich selbst um die Praktika kümmern, aber er gab mir Adressen und half mir wenn nötig weiter.» Amir probierte vieles aus, auch während des zehnten Schuljahrs, zu dem er sich nach Abschluss der Oberstufe entschloss.

Lehrabschluss in Sicht

Nachdem der junge Mann schliesslich eine Lehre in der Gebäudereinigung begonnen hatte, wurde er nochmals vom Pech verfolgt und musste sie wieder abbrechen. «Aber ich bemühte mich zuerst um eine neue Lehrstelle, bevor ich kündigte», betont er. Ein wichtiger Schritt für den 17-Jährigen, der eingesehen hatte, wie wichtig eine gute Ausbildung für ihn war.

Heute ist Amir glücklich und ausgeglichen, freut sich auf seinen Lehrabschluss im Sommer und will danach weiter studieren. In seiner Freizeit unterstützt er drei Jungen im Auftrag der Jugendbewährungshilfe Zug, denen es ähnlich ergeht, wie ihm selbst vor einigen Jahren.

Die schwierige Suche nach dem richtigen Weg

Schicksale wie jenes von Amir kennt Philipp Suter, Leiter und Gründer der Jugendbewährungshilfe Zug, viele. Auch er selbst erlebte keine glückliche Schulzeit und fand erst über Umwege zu seiner heutigen Berufung. «Ich ging ohne Selbstvertrauen durchs Leben und konnte in der Oberstufe nie richtig Fuss fassen.» Suter war lange auf der Suche, absolvierte diverse Praktika und lernte die Pädagogen Werner Hegglin und Hartmut von Hentig kennen, die ihm beratend zur Seite standen. Suter absolvierte unter anderem ein Studium der Religionspädagogik und gründete vor 20 Jahren gemeinsam mit Hegglin die Jugendbewährungshilfe Zug.

«Für schätzungsweise 95 Prozent der Kinder und Jugendlichen ist unser Schulsystem dank der engagierten, kompetenten Lehrpersonen sehr gut geeignet», ist er überzeugt. «Aber für die übrigen fünf Prozent sollten wir eine ergänzende Lösung finden. Jugendliche brauchen eine Aufgabe, die ihnen Freude macht.» Diese für jeden einzelnen von ihnen zu suchen, ist Ziel der vernetzten Jugend- und Elternbildungsarbeit.

Erst mal geht er Holzhacken

«Wenn mir ein Schüler von einem Schulleiter überwiesen wird, lade ich ihn ein, mit mir im Wald Holz zu hacken», erzählt der 49-jährige, vierfache Vater. «Dabei entstehen oft gute Gespräche, und wir finden heraus, was den Jungen interessiert, was er gerne arbeiten würde.» Danach suchen die beiden gemeinsam einen entsprechenden Praktikumsplatz für den Schüler, beispielsweise bei einem lokalen Handwerker. Dieses kann er neben und teilweise an Stelle des Schulprogramms absolvieren. Der jüngste von Suters Schützlingen ist erst elf Jahre alt, der älteste bereits 30.

Je nach Aufwand werden die Handwerker für ihre Arbeit mit den Jugendlichen bezahlt. «Das kostet jedoch massiv weniger, als ein Sonderschulsetting», betont Suter. Zudem sei der Einfluss anderer dissozialer Jugendlicher bei gewissen Sonderschulsettings wie etwa der Time-out-Klasse für labile Jugendliche schlecht. «Dort stürzen sie manchmal erst richtig ab.»

90 Prozent seiner Schützlinge sind Jungen mit Migrationshintergrund, die mit ihren alleinerziehenden Müttern zusammenleben. Manche Migranten seien nicht vertraut mit dem schweizerischen Vereine-System, sodass eine sinnvolle Freizeitgestaltung fehle. Auch die für Buben besonders wichtige männliche Bezugsperson sei manchmal nicht präsent genug. «Eltern, die ihr Kind immer in Schutz nehmen oder nur noch auf ihm herumhacken, sind oft mit ein Grund für die Probleme», führt Suter aus.

Jugendliche ermutigen

«Bei Amir war das zum Glück nicht der Fall. Seine Mutter und der Onkel haben super mitgearbeitet.» Denn er und sein Team arbeiten nicht nur mit den Jugendlichen, sondern auch mit den Eltern. «Wenn diese alles verweigern – was sehr selten vorkommt – können auch wir wenig bewegen.» Für zirka 60 Prozent der Schüler, die ihm von Schulen und Gemeinden anvertraut werden, finden er und seine Mitarbeiter eine Lösung. «Wir sind keine Wunderheiler. Aber wir versuchen, die Talente und Interessen der Jugendlichen in den Vordergrund zu rücken», betont Philipp Suter.

*Name von der Redaktion geändert.

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