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Kolumne

«Ich meinti»: Kann man in Jogginghosen träumen?

Kolumnist Christian Hug macht sich Gedanken über unterschiedliche Gedenktage.

Also damit das grad klar ist: Ich werde nicht über Donald Trump diskutieren. Sie können also beruhigt weiterlesen, weil ich auf etwas ganz anderes hinauswill.

Kolumnist Christian Hug.
Bild: zvg

Der Tag, an dem Donald Trump zum Präsidenten vereidigt wurde, war der 20. Januar. Interessanterweise feierte US-Amerika an diesem Datum gleichzeitig den Martin-Luther-King-Gedenktag, in den USA ist das ein Feiertag mit schulfrei. Sie erinnern sich an den schwarzen Bürgerrechtler Martin Luther King, das war der Pastor mit dem grossen Traum der Rassengleichheit, der 1968 erschossen wurde. Donald Trump zitierte bei seiner Antrittsrede wohlwollend Martin Luther King, obwohl im über 2000 Menschen zählenden Publikum weniger als eine Handvoll Schwarze an der Zeremonie mitmachen durften. Für mich war das ein sicheres Zeichen, dass Kings Traum zumindest in den nächsten vier Jahren nicht in Erfüllung gehen wird.

Aber weiter in der Zeitgeschichte: Einen Tag später, am 21. Januar, feierte die Welt den internationalen Tag der Jogginghose. Ja, genau: die schlabbrig-schludrige Jogginghose, das Manifest der zivilisatorischen Bequemlichkeit, salonfähig an der Uni genauso wie am Arbeitsplatz.

Diese zwei Gedenktage haben eigentlich nichts miteinander zu tun, aber in ihrer Reihenfolge zeigen sie recht anschaulich, wie weit es unsere sogenannte westliche Gesellschaft in den letzten paar Jahrzehnten gebracht hat: nämlich von einem engagierten Kampf für soziale Gerechtigkeit zur sofatauglichen Bequemhose. Der Modeschöpfer Karl Lagerfeld hat schon 2012 erkannt: «Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.» Mehr als zehn Jahre später müssen wir leider befürchten, dass Lagerfeld wahrscheinlich recht hatte: Die Jogginghose ist zum Sinnbild geworden für eine fatale Interessiert-mich-alles-überhaupt-nicht-Geisteshaltung. Und wenn sich zu viele Leute für gar nichts mehr interessieren, haben wir am Ende eben die Welt, wie sie jetzt gerade ist. Haben Sie übrigens gewusst, dass laut einer neuen Umfrage unglaubliche 46 Prozent aller Schweizerinnen und Schweizer keine Zeitung mehr lesen, keine Nachrichten mehr schauen und kein Radio mehr hören? Das ist knapp die Hälfte der Bevölkerung. Da erstaunt es mich nicht mehr, dass chinesische Schrott-Versandhäuser wie Temu und Shein massenweise Jogginghosen in die Schweiz schicken.

Noch mehr erstaunt es mich allerdings, dass wir überhaupt 1 von 365 Tagen im Jahr hergeben, um weltweit ein banales Stück Stretch-Stoff zu feiern. Aber immerhin: Optimistisch betrachtet bleiben uns noch 364 Gedenktage, an denen wir uns auf die wirklich wichtigen Dinge im Leben konzentrieren können. Und vielleicht wird einer dieser Tage einmal der Tag, an dem Martin Luther Kings Traum tatsächlich wahr wird.

Und dies noch zum Schluss zu meiner letzten Kolumne: Danke Frau Coletta und Frau Blumati für die tollen Wandkalender! Die hängen jetzt alle im Treppenhaus!

Christian Hug, Journalist aus Stans, äussert sich an dieser Stelle abwechselnd mit anderen Autoren zu einem selbst gewählten Thema. Seine gesammelten Kolumnen «Ich meinti» sind in Buchform erhältlich unter www.christian-hug.ch .

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