Sophie Küsterling
Sophie Küsterling
Sophie Küsterling
Sophie Küsterling
Sophie Küsterling
Sophie Küsterling
Im Raum hinter der grasgrünen Tür an der Bruchstrasse 31 wird gehämmert. Lenny Kravitz schallt aus dem Radio, es riecht nach frischer Farbe. Wir befinden uns in der «Wärchstatt» des Vereins Jobdach. Hier können Suchtkranke, die keiner herkömmlichen Arbeit mehr nachgehen können, sich einen Teil ihrer Sozialhilfe selbst verdienen. Um eine Arbeitsintegration handle es sich aber nicht, wie Heinz Spichtig, Geschäftsleiter von Jobdach, erklärt.
«Wir geben Personen, die durch das soziale Netz gefallen sind, eine Tages- und Beschäftigungsstruktur. Dadurch bekommen sie wieder Wertschätzung und Anerkennung.»
So verrichten die Programmteilnehmenden unter Anleitung von Fachpersonen Werkstattarbeiten wie Auftrags-, Restaurations- und Montagearbeiten, stellen Dekorationsartikel her oder führen Wohnungsräumungen und Gartenarbeit aus. 40 Personen sind derzeit über 36 Halbtage verteilt in der «Wärchstatt» beschäftigt – einige seit mehreren Jahren.
Parallel dazu helfen die Programmteilnehmenden derzeit an einem grösseren Projekt mit: dem Umbau der Werkstatt. Die in die Jahre gekommene Infrastruktur soll verbessert, der Arbeitsschutz besser gewährleistet, Küche und Aufenthaltsraum getrennt, der Sanitärbereich ausgebaut und das aufgestockte Hygieneschutzkonzept dauerhaft übernommen werden.
Die Umbauarbeiten übernehmen die Teilnehmenden zum grössten Teil selbst. «Uns ist wichtig, dass wir möglichst viel mit eigenen Ressourcen schaffen», sagt Stephan Renggli, stellvertretender Leiter der «Wärchstatt», «denn wir haben hier Personen, die in ihrem vorherigen Berufsleben Schreiner, Gipser oder Elektriker waren.» Dass ihre Fähigkeiten für den Umbau gebraucht werden, gebe den Teilnehmenden Selbstvertrauen. «Wir entdecken immer wieder neu, wie viel Potenzial in ihnen steckt», so Renggli.
Soziale Kontakte und Tagesstruktur sind überlebenswichtig
Einer der Programmteilnehmer ist Reto. Er arbeitet seit zwei Jahren in der «Wärchstatt». Obwohl er bereits fünf Halbtage pro Woche – das Maximum – arbeitet, würde er gern den ganzen Tag in der «Wärchstatt» verbringen. Das Programm gebe ihm eine Struktur, die Leute hier seien super, und die Teamleiter seien für ihn da, auch wenn es ihm mal nicht so gut gehe, sagt Reto. Der gelernte Plattenleger hat die Malerei unter sich, ist zuständig für die Tische und hilft beim Umbau. «Umbau habe ich auch in meinem früheren Leben viel gemacht. Es ist super, dass ich meine frühere Tätigkeit einbringen darf», erzählt Reto. «Ich habe eine Riesenfreude.»
Heinz Spichtig berichtet, dass wegen der Pandemie die Dankbarkeit für das Programm deutlich angestiegen ist. «Die Schliessung im Frühling hat gezeigt, dass die Leute sehr froh sind, dass wir offen haben. Im Oktober hatten sie Angst, wir müssten wieder wie im Frühling schliessen», so Spichtig. Dass die Tagesstruktur offenbleibt, ist nicht nur wichtig wegen der sozialen Kontakte und der Wertschätzung, welche die Suchtkranken erfahren. Eine sinnvolle Beschäftigung und Tagesstruktur helfen auch, Abstürze zu vermeiden.
Geldspenden helfen, im Pandemiejahr zu überleben
Der Shutdown hat nicht nur den Suchtkranken zugesetzt, sondern auch den Vereinsfinanzen. Denn einen grossen Teil erwirtschaftet die «Wärchstatt» durch Arbeitsleistungen selbst. Wegen der Schliessung des «Wärchstatt»-Ladens und des Ausfalls des jährlichen Flohmarktes fielen einige Einnahmequellen aus. Dass der Verein Jobdach, der auch die Notschlafstelle und betreutes Wohnen betreibt, 2020 nicht mehr als 18'000 Franken Defizit geschrieben hat, ist vor allem Spenden zu verdanken.
Obwohl für den Umbau vieles aus eigener Kraft gestemmt wird, geht es nicht ganz ohne Hilfe. Die neue Küche ist eine Spende, die Garderoben stammen aus einem zum Abriss freigegebenen Haus. Um den Umbau finanzieren zu können, sammelt der Verein 47'000 Franken – knapp 30'000 Franken sind bereits beisammen (Stand 9. Februar). Doch Geldspenden stehen für Stephan Renggli nicht im Vordergrund, denn die schönste Wertschätzung sei es, wenn die «Wärchstatt» Kundenaufträge erhalte. Der Arbeitsagoge sagt: «Spendengelder zu erhalten ist zwar grossartig, das braucht der Verein natürlich. Schöner ist es aber, eine sinnvolle Arbeit zu haben.» Dieser Meinung ist auch Reto und sagt mit einem Lachen: «Bringt eure Tische vorbei, ich bin parat!»