Wer kennt sie nicht, die Skulpturen von Jean Tinguely oder Bernhard Luginbühl, die die Betrachtenden mit ihren eigentümlichen Formen, verspielten Bestandteilen, überraschenden Bewegungen wie ulkig schlenkernden Teilen und damit verbundenen Geräuschen in ihren Bann ziehen? Sie faszinieren besonders auch aufgrund ihrer Grösse.
Einem ähnlichen Objekt begegnen wir im Bilderbuch «Die blaue Maschine». Wir sind im tiefen Wald, es ist Nacht, vereinzelt sind Geräusche aus der Natur zu hören. Wie aus dem Nichts steht plötzlich dieses rätselhafte, Tinguely- oder Luginbühl-anmutende Ungetüm da, mit farbigen Rädern, Blinklichtern, Kurbeln. Rasch bildet sich ein Grüppchen von neugierigen Tieren vor diesem waldfremden Objekt.
Der Hirsch, der sich als Erster nahe an dieses gigantische Etwas wagt, erkennt eine Funktion: Die vielen bunten Bürsten, die sich hier drehen, so ist er überzeugt, sollen dazu dienen, sein Hirschgeweih zu schrubben. Da geht ein Gezänk los. Igel, Wildschwein, Fuchs und Hase sehen das anders. Ein Marienkäfer hört sie streiten: Igelstachel-Poliermaschine, Wildschweinborsten-Scheuermaschine, Fuchsschwanz-Streichelmaschine, Hasenohren-Kraulmaschine – jedes Tier ist überzeugt davon, dass die Maschine exakt die Funktion hat, die auf seine Bedürfnisse zugeschnitten ist. Der Marienkäfer verweist die streitende Gruppe an das Tier, das er als den Experten in Sachen Maschinen erachtet, an den Biber. Es stellt sich heraus, dass er es war, der dieses Objekt in Auftrag gegeben hatte. Eine Maschine mit der Funktion, seine Zähne zu putzen und zu schärfen, wünschte er sich. Denn Biberzähne sind nicht irgendwelche Zähne, sondern Zähne, die sehr viel leisten müssen. Und daher auch besonderer Pflege bedürfen.
Das Bilderbuch der niedersächsischen Autorin und Illustratorin Heike Ellermann ist in klangvoller Sprache und verspieltem Ton geschrieben. Der Hirsch kurbelt an der Kurbel, hebelt an den Hebeln. Dazu passt der Zahnputz-Rap am Ende der Geschichte, in dem es um Schneidezähne, Eckzähne, Backenzähne geht. Aber auch um Gammelzähne. Für die Kleinen, für die das Zähneputzen noch keine selbstverständliche Routine ist, wird diese Pflicht des Alltags mit dem Rap zum Vergnügen. Und so gibt es bestimmt keine Gammelzähne.
Die Originalausgabe von «Die blaue Maschine» erschien 2001. 2022 wurde es in einer zweisprachigen Ausgabe auf Deutsch-Ukrainisch herausgegeben. Diese Ausgabe entstand mit Fördermitteln von zwei norddeutschen Stiftungen. Die über 1000 produzierten Exemplare wurden an Bibliotheken und öffentliche Institutionen verschenkt.
Die zeitlose, originelle Geschichte und die kraftvoll gestalteten Bilder des Buches sind auch für Kinder von heute, mehr als zwanzig Jahre nach der Erstveröffentlichung, eine Freude. Weder das Zähneputzen noch moralische Werte werden mit erhobenem Zeigefinger thematisiert, wie es sonst oft in Bilderbüchern vorkommt. Das Thema «Integration» bzw. das Miteinander trotz Verschiedenheit ist in der Neuausgabe von «Die blaue Maschine» Konzept des Buches. Es kann deutsch- und ukrainischsprachigen Kindern gleichzeitig erzählt werden. Der ukrainische Text ist in Kyrillisch und nicht in lateinischer Schrift geschrieben, was die Bilderbuchbetrachter und -betrachterinnen mit deutscher Muttersprache für die andere Sprache sensibilisiert. Vielleicht wissen am Schluss alle, dass «зуби» (zuby) Zähne heisst.
Im Internet stehen Dateien für eine digitale Bilderbuchpräsentation sowie eine Aufnahme des Zahnputz-Raps (leider nur in Deutsch) über eine Cloud zum Download bereit . Die Mediothek der PH Zug verfügt sowohl über die nur deutsche als auch über die zweisprachige Ausgabe des Bilderbuches.
Ellermann, Heike: Die blaue Maschine = Blakytna mašyna. 2022 (Erstausgabe in Deutsch 2001).
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