Pascal Studer
Pascal Studer
Bob Weingartner nippt in der Kafi-Bar Taburettli an seinem Moretti. Es ist kurz nach 8.30 Uhr. Hinter dem Tresen köchelt in einer Bratpfanne Rindfleisch – «Ghackets und Hörnli» soll es geben. «Es riecht gut hier», sagt Weingartner, frisch rasiert. Wie fast immer trägt er seinen langen Ledermantel, der tief ausgeschnitten ist. Sein Tattoo auf der Brust – ein rudimentäres Herz – ist jederzeit sichtbar.
Seine Kleidung verrät mehr über Weingartner, als man anfänglich annehmen könnte. Rechts an seinem Mantel ist der Stoff auf Schulterhöhe zerrissen. «Vor etwa zwei Jahren wurde ich angefahren», erklärt er und fügt an:
«Ich war auf Koks.»
Eine Sucht ist eine Krankheit
Gemäss einer aktuellen Studie der Forschungsstelle Polynomics sind in der Schweiz im Jahr 2017 durch Sucht Kosten in der Höhe von 7,7 Milliarden Franken entstanden. Auf die Bevölkerung heruntergebrochen macht dies 901 Franken pro Kopf. Die vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) in Auftrag gegebene Studie zeigt aber auch: Der Grossteil davon, nämlich 6,7 Milliarden Franken, fallen wegen Tabak- und Alkoholkonsum an. Anderer Drogenkonsum, wie etwa Cannabis, Opioide oder Kokain, verursacht derweil noch Kosten von 0,9 Milliarden Franken.
Was noch immer oft vergessen wird: Eine Sucht ist keine Charakterschwäche, sondern eine Krankheit. Dies ist unter Medizinerinnen und Gesundheitsexperten weitgehend unbestritten, wie etwa aus dem Bundespapier «Nationale Strategie Sucht 2017–2024» hervorgeht. Auf diesem Standpunkt fusst auch ein Leitentscheid des Bundesgerichts vom Juli 2019, wobei das oberste Schweizer Gericht festhält, dass Suchterkrankungen wie psychische Krankheiten zu behandeln sind.
Durch die Messingpfeife in den Körper
Bob Weingartner streicht sein Haar zurück. Er konsumiert eine Droge, die seit einigen Jahren in Luzern auf dem Vormarsch ist: Base – also Kokain in rauchbarer Form, oft auch Crack genannt, weil beim Rauchen der Substanz ein Geräusch entsteht, das einem «Krachen» gleicht. «Ich rauche seit viereinhalb Jahren Base», erzählt Weingartner.
Was er dazu benötigt: Ammoniak oder Natriumbikarbonat – Weingartner nimmt Letzteres, kauft es jeweils in einem Lebensmittelgeschäft in der Backwarenabteilung – sowie etwas Wasser und Kokain. «Dann erhitze ich das auf einem Löffel, um es wieder abkühlen zu lassen», fährt er fort. Einmal kalt, zerstückelt er die Masse in «kleine Kieselsteinchen», ehe er sie auf seiner Messingpfeife platziert, wieder erhitzt und schliesslich inhaliert. Alles geht sehr schnell: Innert Sekunden ist der Stoff im Körper.
Und dann? «Wenn der Stoff gut ist, bekomme ich einen biomechanischen Flash», sagt Weingartner. Dies bedeutet: Er fühlt sich dann sehr leistungsfähig, kann beispielsweise «auf den Bus rennen, ohne körperliche Anstrengungen zu spüren». Manchmal löse der Schub aber auch ein grosses Entspannungsgefühl aus. Pro Tag gebe er zwischen 10 und 100 Franken für den Stoff aus. «Durchschnittlich sind's 50», schätzt er. Das mache drei «Zwänzger» – also drei Schübe. Dennoch sagt er: «Ich bin nicht abhängig.» Aber er kenne Leute, die es seien. Das sei «wirklich nicht lustig».
Base hat grosses Suchtpotenzial
Dass Weingartner vor viereinhalb Jahren mit dem Konsum von Base begonnen hatte, ist kein Zufall. Wie Franziska Reist, Geschäftsleiterin des Vereins Kirchliche Gassenarbeit sagt, habe sich der Stoff vor rund sechs bis sieben Jahren in der Luzerner Drogenszene etabliert. «Wir haben das vor allem in unseren Gebrauchsräumen gemerkt», erklärt sie. Dort sei Base die Droge, die am meisten konsumiert werde. Grund dafür könnte sein, dass der Gebrauch eher unkompliziert sei.
Base ist gemäss Reist vor allem in einer Hinsicht problematisch: Es macht psychisch stark abhängig. Weiter führt es zu Realitätsverlust. Reist fügt an:
«Insbesondere wenn die Qualität des Stoffs schlecht ist, muss man schnell nachladen.»
Dies bedeutet: Der «biomechanische Flash», wie ihn Weingartner nennt, hält nicht lange an. Deshalb sei Base auch eine «unruhige Konsumform», erklärt Reist: «Die Süchtigen sind dann immer auf der Suche nach Stoff, vergessen teilweise sogar zu essen.» Das habe wiederum Auswirkungen auf das Immunsystem. Ein Problem, das sich vor allem während der kalten Jahreszeiten akzentuiere.
Die Luzerner Polizei stellt sehr selten Base sicher – anders als bei Kokain. Gemäss Christian Bertschi, Kommunikationschef der Luzerner Polizei, haben die Behörden letztes Jahr 6,3 Kilogramm davon beschlagnahmt. Während es im Jahr 2018 knapp über 7 Kilogramm waren, betrug die Menge 2017 rund 1,5 Kilogramm. Bertschi sagt jedoch: «Die Zahlen schwanken massiv, eine Tendenz kann nicht angegeben werden.» So werde die Statistik stark beeinflusst, wenn die Polizei einen Dealer ermittelt, bei dem sie auf einen Schlag eine grössere Menge wie etwa 2 Kilogramm Kokain sicherstellt. Aus der polizeilichen Kriminalstatistik von 2019 geht allerdings hervor, dass Kokain nach Marihuana die Substanz ist, welche die Behörden am meisten beschlagnahmen.
Appell für eine liberalere Drogenpolitik
Der Konsum von Base ist wie derjenige von vielen anderen Drogen illegal. Dies stösst bei Franziska Reist auf Unverständnis. Sie stellt klar: «Wir müssen damit leben, dass konsumiert wird.» Auch wenn sie das Gefühl hat, dass diesbezüglich die Entwicklung in die richtige Richtung geht, sieht sie nach wie vor Handlungsbedarf. Daher setzt sie sich für eine liberalere Drogenpolitik ein. Es werde nämlich nach wie vor zu stark stigmatisiert. Reist sagt:
«Es ist für mich unerklärlich, dass Cannabis nach wie vor verboten ist, auch wenn es im Vergleich zu Alkohol einfach weniger schädlich ist.»
Für Reist ist es daher augenfällig, dass es klare Spielregeln braucht. Auch bei Base. «Würden wir Drogen entkriminalisieren und regulieren, gäbe es vor allem Vorteile.» So wüsste man, was die Substanzen beinhalten. Man könnte zudem die Preise steuern und effektiver gegen den Schwarzmarkt vorgehen. Reist betont:
«Alles, was reglementiert ist, funktioniert in der Regel besser.»
Die Vaterliebe hält ewig
Vor dem Taburettli an der Hirschmattstrasse nieselt es noch immer. Weingartner spricht nun nicht mehr über Drogen, sondern das Leben: «Ich habe ein Kind.» Sein Sohn sei bereits dreizehn gewesen, als Weingartner von seiner Vaterschaft erfahren habe, erinnert er sich. Nun macht sich Wehmut breit, die Stimmung kippt. «Ich war immer so nervös, als ich ihn sah», sagt er. So griff er nach den Treffen mit seinem Sohn jeweils zur Flasche, betäubte seine Gefühle mit Alkohol. Nur so konnte er einschlafen. Einen Vaterschaftstest hat er nie durchgeführt.
Vor fünf Jahren hat er seinen Sohn zum letzten Mal gesehen. Das tue nach wie vor weh, sagt er. Denn nichts im Leben könne ihm seine Vaterliebe nehmen. Er sagt:
«Mein Sohn ist ein Wunder.»
Und seine eigene Kindheit? «Die war gut», erwidert er. Wären da nicht die Stimmen gewesen. «Sie waren in meinem Bauch – und wollten raus.» Zur Erklärung: Weingartner wurde mit zwanzig Jahren eine Schizophrenie diagnostiziert. Die Krankheit sollte im Verlauf seines Lebens immer wiederkehren. Doch derzeit höre er die Stimmen nicht. «Sie schweigen», sagt er.
Das Bier hat Weingartner inzwischen ausgetrunken. Nun gibt es eine Morgenzigarette, dann geht er in die Gassenküche: Zum Mittagessen soll es Toast Hawaii geben. Ob er heute noch Base konsumiert? «Wenn ich das Geld auftreiben kann: Warum nicht?»
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