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Luzern

Das CO2 aus dem Güsel unter der Erde einlagern: Futuristische Technologie soll auch in Luzern zum Einsatz kommen

Der Kanton Luzern will bis 2050 klimaneutral sein. Um das zu erreichen, plant die Kehrichtverbrennungsanlage Renergia in Perlen, die anfallenden CO2-Emissionen einzufangen und in stillgelegten Öl- oder Gasfeldern im Ausland zu deponieren.
(Quelle: Klimabericht Kanton Luzern)
Das CO2, das beim Verbrennen von Abfall ausgestossen wird, soll künftig herausgefiltert werden. Im Bild: Die alte Kehrichtverbrennungsanlage Ibach in Luzern. (Symbolbild: Pius Amrein)
Renergia-Geschäftsleiter Ruedi Kummer. (Bild: Pius Amrein (Perlen, 26. Juni 2015))
Der Luzerner Klimaexperte Jürgen Ragaller. (Bild: Pius Amrein (Luzern, 9. März 2021) )

Niels Jost

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Es ist ein ambitioniertes Ziel, welches die Schweiz und auch der Kanton Luzern verfolgen. Bis 2050 wollen sie netto null Emissionen aufweisen, also klimaneutral sein. Wie das der Kanton schaffen möchte, hat er kürzlich in seinem Klimaberichtaufgezeigt.

Massnahmen sind unter anderem im Bereich Abfall vorgesehen. Dieser ist für etwa 7 Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich, was 161'000 Tonnen CO2-Äquivalenten entspricht. Zum Vergleich: Am meisten Emissionen verursachen in Luzern der Verkehr (29 Prozent) und die Landwirtschaft (28 Prozent), gefolgt von Gebäuden (19 Prozent) und der Industrie (17 Prozent).

Ziel ist es, die Emissionen beim Abfall bis 2050 um einen Viertel zu reduzieren. Dies, indem die Bevölkerung weniger Güsel produziert und mehr rezykliert. Den CO2-Ausstoss ganz zu senken, ist allerdings nicht möglich – schliesslich wird auch in Zukunft noch Kehricht anfallen, der verbrannt werden muss:

Hier setzt das sogenannte Carbon Capture and Storage an. Zu Deutsch: das Einfangen und Speichern von CO2. Dabei wird das Kohlenstoffdioxid aus den Verbrennungsgasen herausgefiltert. Durch einen chemischen Prozess kann das Gas komprimiert, verflüssigt und somit transportfähig gemacht werden. Ziel ist es, das CO2 in geeigneten Gesteinsschichten tief unter der Erde oder in erschöpften Gas- und Ölfeldern zu lagern (siehe Grafik). Entsprechende Anlagen sind vor allem in Norwegen geplant oder in Bau.

Weil die Methode technisch herausfordernd und kostspielig ist, macht es Sinn, sie dort anzuwenden, wo eine grosse Menge CO2 an einer sogenannten Punktquelle ausgestossen wird, wie bei Kehrichtverbrennungsanlagen (KVA). Ein Pilotprojekt erarbeitet derzeit die KVA Linth im glarnerischen Niederurnen mit dem Verband der Betreiber der Schweizerischen Abfallverwertungsanlagen (VBSA) und der ETH.

Ziel: Mehr CO2 herausfiltern, als ausgestossen wird

In Luzern wird das Vorhaben «mit Interesse» verfolgt, wie Ruedi Kummer, Geschäftsleiter der Renergia Zentralschweiz AG, sagt:

«Es ist eine vielversprechende Methode, dank der die Energie aus dem Abfall noch besser genutzt werden könnte»,

Schon heute produziert die KVA in Perlen mit dem Abfall Strom für rund 28'000 Haushalte und Fernwärme für die ganze Region. Zudem bezieht die benachbarte Perlen Papier AG Dampf für die Trocknung ihrer Papierbahnen, wodurch sie pro Jahr zirka 31'000 Tonnen Erdgas und somit grosse Mengen an CO2 einsparen kann.

Mit dem Carbon Capture and Storage könnte die Renergia klimanegativ werden. Das heisst: Sie könnte unter dem Strich mehr CO2 einfangen, als sie produziert. Denn pro Tonne Abfall wird ungefähr eine Tonne Kohlendioxid ausgestossen. Die Renergia verbrannte 2019 rund 256'000 Tonnen Abfall aus allen Zentralschweizer Kantonen. Dieser besteht zum einen aus fossilen Materialien wie Kunststoffen, zum anderen aus biogenen Materialien wie Essensresten oder Holzabfällen.

Die Verbrennung Letzterer gilt als klimaneutral, weil sie natürlichen Ursprungs sind. Könnte deren frei werdendes CO2 eingefangen werden, resultieren in einer Gesamtbetrachtung negativ Emissionen. Damit könnten die Treibhausgasemissionen aus anderen Bereichen kompensiert werden, beispielsweise in der Landwirtschaft.

Negativemissionen wichtig für Klimaziele

Für das Erreichen von netto null bis 2050 sind Methoden wie das Carbon Capture and Storage daher sehr wichtig, wie Jürgen Ragaller, Klimaexperte des Kantons Luzern, sagt:

«Ohne solche Negativemissionstechnologien können wir unsere Klimaziele nicht erreichen.»

Wie viel CO2 die Renergia dereinst abscheiden kann, ist gemäss Ruedi Kummer noch unklar. Je nach Fortschritt der weltweiten Entwicklung und des Pilotprojekts der KVA Linth – die Machbarkeitsstudie soll im Sommer abgeschlossen sein – wird die Renergia noch in diesem Jahr ein erstes Konzept ausarbeiten und analysieren, ob Carbon Capture in Perlen Sinn macht, und wie es in den Betrieb integriert werden kann. Kummer:

«Es gibt wesentliche Punkte, die noch unklar sind. Wer nimmt uns das CO2 ab? Wie gelangt es dorthin?»

Lagerung von CO2 gilt als sicher

Zu den offenen Fragen gehört der Transport des flüssigen CO2. Stand jetzt werden gemäss Angaben der KVA Linth und des VBSA drei Optionen geprüft: Güterzug, Schiff und Pipelines, wobei Letztere aufgrund der erwarteten Mengen aus ganz Europa wohl am günstigsten sein werden. Auch bezüglich der Lagerung ist noch unklar, wer die grossen Mengen CO2 einlagern kann. Hier werden Lösungen mit Partnerländern wie Norwegen angestrebt.

Grundsätzlich gilt die Speicherung von CO2 in geologischen Formationen in 800 bis 3000 Metern Tiefe aber als relativ sicher. Dies wurde von Staaten wie Norwegen, Kanada oder den USA teils über 20 Jahre getestet; Wiederfreisetzungen wurden keine festgestellt. Im Laufe der Jahrhunderte sollen sich die unerwünschten Reststoffe sogar in Salzwasser des Speichergesteins auflösen oder durch chemische Reaktionen in Mineralien umwandeln.

Endlagerung in der Schweiz noch Zukunftsmusik

Ob es auch in der Schweiz Orte gibt, um CO2 sicher zu lagern, muss gemäss Jürgen Ragaller noch systematisch analysiert werden. Potenzielle Lagerorte müssten zunächst in Langzeittests untersucht werden. In den nächsten 10 bis 20 Jahre ist die Deponierung in der Schweiz daher unwahrscheinlich.

Auch bis das Carbon Capture in hiesigen KVA angewandt werden kann, wird es noch dauern. Das Pilotprojekt in Glarus soll ungefähr im Zeitraum von 2028 bis 2030 in Betrieb gehen. Gemäss Klimaexperte Ragaller ist es dennoch wichtig, solch futuristisch anmutenden Vorhaben jetzt anzugehen.

«Das Jahr 2050 scheint weit weg zu sein. Bedenkt man aber die lange Vorlaufzeit für solche Projekte und die Dringlichkeit der Massnahmen gegen den Klimawandel, dann ist es zwingend nötig, jetzt mit der Planung zu beginnen.»

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