Niels Jost
Ambulant und stationär – dieser Grundsatz soll ab dem Jahr 2020 auch für Menschen mit Behinderungen im Kanton Luzern vermehrt gelten. So sehen es die Änderungen des Gesetzes über soziale Einrichtungen (SEG) vor, welche der Regierungsrat kürzlich in die Vernehmlassung geschickt hat. Satte 58 Seiten umfasst die Botschaft, zu der sich nun Parteien, Verbände und soziale Einrichtungen bis am 21. Dezember äussern können.
Mit der Revision will die Luzerner Regierung in erster Linie ambulante Angebote fördern. Grund sind die gesellschaftlichen Veränderungen: Kinder und Jugendliche mit Behinderung werden in der Schule heutzutage integriert unterrichtet. Ihnen wird so ein «normales» Leben ermöglicht. Einmal aus dem Schulalter, fehlen allerdings nötige ambulante Angebote, um in den eigenen vier Wänden ein selbstständiges Leben führen zu können, fern ab einer stationären sozialen Einrichtung. Daraus folgert die Regierung in der Botschaft: «Der Bedarf an selbstbestimmter Lebensführung wird wachsen.»
Um ein solches Leben führen zu können, sollen behinderte Personen künftig auch selber wählen können, auf welches Angebot sie zurückgreifen möchten. Dabei soll den Betroffenen eine neu zu schaffende Fachstelle helfen, den Bedarf an Betreuung, Unterstützung und Begleitung abzuklären.
Anpassung wegen UNO-Konvention
Nötig sind die Gesetzesänderungen, weil das SEG an das neue Kindes- und Erwachsenenschutzrecht angepasst werden muss sowie die Kinderrechtskonvention und die UNO-Behindertenrechtskonvention berücksichtigt werden sollen. Hinzu kommt, dass sich das derzeit noch geltende Gesetz aus dem Jahr 2007 nur auf stationär erbrachte Leistungen beschränkt. Deshalb sollen künftig stationäre und ambulante Leistungen koordiniert geplant und gesteuert sowie «vermehrt ambulante Angebote anerkannt und finanziert werden», schreibt die Regierung.
Einen Wechsel soll es auch in der Finanzierung der Angebote für Erwachsene geben. Bisher haben soziale Einrichtungen mit einem stationären Wohn- und Tagesstrukturangebot einen pauschalen Betrag für ihre erbrachten Leistungen erhalten. Neu soll der individuelle Betreuungsbedarf der Erwachsenen ermittelt und so eine «leistungsorientierte Abgeltung» entrichtet werden. Die Regierung erhofft sich, dass dadurch der individuelle Bedarf der einzelnen Person besser erfasst und Vergleiche zwischen den sozialen Einrichtungen ermöglicht werden. Solche Finanzierungsmodelle kennen bereits Ostschweizer Kantone und der Kanton Zürich. In Luzern gab es im vergangenen Jahr 20 anerkannte Einrichtungen für Erwachsene, die 2445 Plätze betrieben. 17 Institutionen betreuten Kinder und Jugendliche.
Weiter sollen Erwachsene in eigenen Wohnstrukturen, welche künftig ambulante Leistungen im Kanton Luzern selber organisieren, diese direkt vergütet bekommen.
«Herausforderung für die sozialen Einrichtungen»
Die Änderungen haben auch finanzielle Auswirkungen. Zwar erfolge der Systemwechsel für den Kanton und die Gemeinden kostenneutral, da der Kreis der anspruchsberechtigten Personen nicht erweitert, sondern nur eine «langsame Verlagerung» Richtung ambulante Angebote erzielt werde. Einzig die neue Fachstelle würde zu einem Mehraufwand führen. Allerdings schreibt die Regierung: «Die Einführung ambulanter Angebote wird eine Kostenverlagerung zur Folge haben.» Das könnten die anerkannten sozialen Einrichtungen für Erwachsene mit Behinderung zu spüren bekommen: Für sie «kann die Einführung der neuen Finanzierungssysteme zu Beginn eine Herausforderung darstellen».
Die Regierung betont aber, dass die Versorgungssituation durch die Koordination von ambulanten und stationären Angeboten verbessert werde – was eben ein selbstbestimmtes Leben begünstige.
Im Kanton Luzern leben rund 55000 Menschen mit Behinderung oder längerfristigen Beeinträchtigungen. Das entspricht rund 15 Prozent der Bevölkerung. In der Zahl enthalten sind auch rund 20000 Personen im AHV-Alter.