Dieser Artikel ist Teil der Serie «Zuger Skandale» .
Mit dem Aufstieg des Nationalsozialismus stieg der Druck auf die Juden in ganz Europa. In Deutschland und in den von Deutschland besetzten Gebieten waren sie ihres Lebens nicht mehr sicher. Das hatte Folgen bis nach Menzingen – und führte im März 1939, also noch vor Kriegsbeginn, zu einem bemerkenswerten Eklat im Klosterdorf.
Gemäss «Zuger Volksblatt» kam es zu «Aufsehenerregenden Rücktritten»: Alois Hegglin-Elsener, der Gemeindepräsident, und Karl Schön-Nussbaumer, der Gemeindeschreiber, Kirchenschreiber und Zivilstandsbeamter, demissionierten von einem auf den anderen Tag und gaben alle ihre Ämter per sofort ab.
Denn die beiden altgedienten Politiker wurden nämlich, was aufhorchen liess, der passiven Bestechung und der Urkundenfälschung bezichtigt! Illegale Verfehlungen von verdienten Menzingern? Hegglin war damals 50-jährig, seit 17 Jahren Gemeinderat und seit 8 Jahren Gemeindepräsident, dazu war er auch noch Kantonsrat und Bauer in Brettigen; Schön vom Restaurant Schwanen war damals 69-jährig, seit 31 Jahren als Gemeindeschreiber und seit 53 Jahren als Kirchenschreiber im Einsatz.
Eine strafrechtliche Untersuchung gegen die etablierten Behördenmitglieder kam in Gang. Dort hiess es, Hegglin und Schön seien in eine «Affäre eines deutschen Emigranten und eines Winkelagenten» aus Zürich verwickelt, es solle sich um eine Devisenangelegenheit handeln.
Aber es ging um viel mehr als um Devisengeschichten; es ging nämlich um Schmiergeld: «Die beiden Behördenmitglieder sollen gegen eine Bestechungssumme von Fr. 1000 eine den Tatsachen nicht entsprechende Domizilsbescheinigung für einen Emigranten ausgestellt haben. Der Vorfall hat in Menzingen begreiflicherweise beträchtliches Aufsehen erregt.» In die Untersuchung einbezogen waren auch Personen ausserhalb des Kantons.
Viel Geld und die Bestechung
Daraufhin musste das Strafgericht des Kantons Zug die Menzinger Affäre beurteilen, wobei die unappetitlichen Details ans Tageslicht kamen: Ein zweifelhafter Vermittler aus Zürich namens Erwin Vogel hatte sich an reiche jüdische Emigranten herangemacht, deren Notlage ausgenützt und ihnen gegen Unsummen die Niederlassung und Einbürgerung in der Schweiz versprochen.
So hatte er im September 1938 tatsächlich dem Emigranten Albert Flegenheimer aus Mailand eine Niederlassungsbescheinigung von Menzingen besorgt. Dazu hatte er den Beklagten Menzingern Schön und Hegglin je 200 Franken gegeben und weitere 1000 Franken für die Bescheinigung in Aussicht gestellt.
Vogel selber hatte sich fürstlich entlöhnt und von Flegenheimer unverschämte 6000 Franken entgegengenommen. Vogel gab gegenüber Flegenheimer an, schon zuvor Dagobert Landauer und Familie in Menzingen eingebürgert zu haben. Zudem behauptete er, wenn man die Steuern für fünf Jahre retour bezahle, könne man umgehend eingebürgert werden.
Gemeindepräsident Hegglin setzte sich darauf für den Einbürgerungswilligen ein. Er reiste extra für die Aufenthaltsbewilligung Flegenheimers nach Bern zu Philipp Etter, dem Bundespräsidenten aus Menzingen. Vogel prahlte damit, Flegenheimer versteuere ein Vermögen von mindestens 180’000 Franken, zahle für verfallene Steuern 3000 Franken, leiste Beiträge an gemeindliche Fonds, baue in Menzingen eine Villa und werde dort wohnen.
Daraufhin liessen Schön und Hegglin verlauten, ein so reicher Mann wie Flegenheimer könne ihr Entgegenkommen schon mit 1000 Franken entlöhnen. Vogel habe jeweils mit Schön und Hegglin im «Schwanen» ziemlich getrunken und geraucht, so zum Beispiel am 2. September 1938 sechs bis acht Halbliter Jeninser-Wein und dazu etwa zehn Zigarren geraucht. Die befragte Serviertochter Sophie Zehnder hatte gemerkt, «dass Vogel die Herren Hegglin und Schön habe ‹einseifen› wollen».
Viele Schuldige und die Urteile
Das Strafgericht fand zu einem Urteil: Alle drei Beschuldigten waren straffällig geworden. Erwin Vogel erhielt sechs Monate Arbeitshaus unbedingt für die Anstiftung zur fremdenpolizeilichen Urkundenfälschung mit aktiver Beamtenbestechung; Karl Schön und Alois Hegglin hatten sich der fremdenpolizeilichen Urkundenfälschung und passiver Beamtenbestechung schuldig gemacht.
Schön erhielt dafür 2 Monate Gefängnis, bedingt erlassen auf drei Jahre, plus eine Busse von 100 Franken; Hegglin wurde zu 1,5 Monaten Gefängnis verurteilt, bedingt erlassen auf 3 Jahre, plus eine Busse von 50 Franken. Der Staatsanwalt hatte 3 Monate für beide gefordert.
Vogel zog das Urteil zuerst an das Strafobergericht, dann an das Bundesgericht weiter. Dort bekam er teilweise Recht. Also musste das Strafobergericht die Sache neu beurteilen. Das Urteil wurde revidiert; statt 6 Monate bekam Vogel nun 5 Monate Gefängnis, wieder unbedingt.
Die Nachfolger der beiden korrupten Menzinger wurden in stillen Wahlen am 23. April 1939 Franz Josef Zürcher als Gemeindepräsident und Ernst Ricklin als Gemeindeschreiber. Die Amtsübergabe an den neuen Gemeindeschreiber wurde von einer dreiköpfigen Kommission begleitet. Karl Schön-Nussbaumer wurde knapp 83 Jahre alt und starb 1953. Ein Jahr später starb auch Alois Hegglin-Elsener, er im Alter von 64 Jahren.
Staatsarchiv Zug, Strafgerichtsprotokolle, darin Urteil des Strafgerichts, 10.7./ 8. 11.1940; Staatsarchiv Zug, Strafobergerichtsprotokolle, darin Urteile des Strafobergerichts, 1./ 8.7.1941 und 20.10.1942; Staatsarchiv Zug, Regierungsratsprotokoll 20.5.1939; Urteil des Kassationshofes vom 15.7.1942 i. S. Vogel gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zug; Zuger Volksblatt, 27/03.3.1939.




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