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50 Jahre Kanti Alpenquai: Revolution im Klassenzimmer

Vor 50 Jahren wurde die Kantonsschule Luzern Alpenquai eröffnet. Ehemalige Schülerinnen, Schüler und Lehrer erinnern sich - an Pyjama-Proteste, veraltete Kleidervorschriften und nicht «MeToo»-taugliche Übernamen.
Die Kantonsschule am Alpenquai während der Bauarbeiten: Die Hauptgebäude sind fertig erstellt, bei der Aula (Mitte hinten) stehen erst die Grundmauern. Vorne das später abgerissene Kühlhaus Luzern. (Bild: Stadtarchiv Luzern)
Kurt Koch
Eleonara Schnyder von Wartensee-Fellmann als Teenager.
Die damalige Schülerin heute.
Jung heute.
Beat Jung als Kantischüler.
Ein Klassenfoto Ende der 60-er-Jahre. Kurt Bieder, damals mit langen Haaren, sitzt in der hinteren Reihe und hält einen Schirm (3. Schirmträger von links).
Der ehemalige Stadtrat Kurt Bieder 2012.
Louis Schelbert als Schüler.
Schelbert heute.
Lehrer August Keller. Sein Spielerpass vom «Schweizerischen Handballausschuss».
Das Lehrerkollegium des Kanti-Untergymnasiums im April 1967 mit seinem Rektor Hans Marfurt (vordere Reihe, 5. von links). (Privates Archivbild)
Rosmarie Caduff-Joos
Urs W. Studer als Teenager.

1967 zügelte die Kantonsschule Luzern vom Hirschengraben an den Alpenquai. Wir baten ehemalige Schüler und Lehrer um Eindrücke und Anekdoten von damals. Sie erzählen etwa von den schwierigen Pfählungsarbeiten im sumpfigen Untergrund und wie die revolutionären 1968-Ereignisse ihre Schatten damals auch nach Luzern warfen.


Kurt Koch

Damals Schüler, heute Kardinal

«Nach den Jahren in der alten Kaserne und im Hirschengraben war es erfrischend, das Gymnasium in einem völlig neuen Gebäude weiterführen zu können. Gerne erinnere ich mich an die guten Lehrer, die uns Freude an den verschiedenen Fächern vermittelten. Besonders schöne und bleibende Erinnerungen habe ich an die Lehrer in Physik und Biologie. Dankbar bin ich für den guten Geist in der damaligen Schulklasse.»


Maya Weber

Damals Turnlehrerin

«Der Turnhallentrakt war in den ersten Monaten noch nicht ganz fertig gestellt. Das Töchterturnen fand deshalb im Freien oder in der Eingangshalle des damaligen Oberstufentrakts statt. Unter anderem benützten wir die verschiedenen Stockwerke für Verfolgungsjagden, Sprints und Pendelläufe; die Treppen sorgten für müde Beine. Ein Volleyballnetz und einige Matten gehörten auch noch zur Ausstattung. Der Bezug der neuen, bestens ausgerüsteten Turnhalle freute mich dann natürlich sehr.»


Eleonora Schnyder
von Wartensee-Fellmann

Damals Schülerin, langjährige Bibliothekarin Hochschule Wirtschaft Luzern. Vorstandsmitglied Verein Alumni Kantonsschule Alpenquai

«Ende 1967 wagte es die erste Schülerin aus unserer Mädchenklasse, mit trendigen Jeans aus dem eben eröffneten ‹Twen-Shop› in der Kanti zu erscheinen. Solche Hosen konnte ein Girl damals nur dort kaufen – sündhaft teuer. Eine Kanti-Schülerin in Hosen! Dies kam dem damaligen Rektor des Untergymnasiums und Englischlehrer, Hans Marfurt, sehr schnell zu Ohren. Er reagierte augenblicklich und erschien in unserem Klassenzimmer. Die betroffene Schülerin wurde nach Hause beordert, sie solle sich ‹anständig› anziehen. Der Rektor kontrollierte künftig vor jeder Lektion, ob Fingernägel lackiert, Lippen bemalt oder Wimpern getuscht waren. Wer erwischt wurde, musste die ‹Verschönerung› in der Toilette entfernen. Bald darauf kam es zu den Pariser Studentenprotesten im Mai 1968, die vieles veränderten und verbesserten. Als die Studentenproteste in Paris in vollem Gange waren, wurde in einer anderen Alpenquai-Klasse in der Pause ein Sack Gipfeli verteilt. In der folgenden Lateinstunde blies ein Schüler in der hintersten Reihe den leeren Papiersack auf und brachte ihn zum Platzen. Es gab diesen typischen heftigen Knall, worauf Lateinlehrer Josef Schacher aus dem Zimmer rannte. Er ging schnurstracks zum Rektor und meldete, in seinem Klassenzimmer sei die Revolution ausgebrochen. An die Sanktionen kann ich mich leider nicht mehr erinnern.»


Beat Jung

Damals Schüler, bis 2015 Luzerner Stadtpfarrer

«Die erste Philosophie-Stunde bei Professor Joseph Rüttimann vergesse ich nie. Er war Präfekt der Jesuitenkirche und hatte wegen seiner näselnden Stimme und seinem rundlichen Mund den Spitznamen «Schnäbi» – undenkbar in der heutigen «MeToo»-Zeit! In einer Tour d’horizon kam er von der aristotelischen Logik über den Kategorischen Imperativ bei Kant bis zur Ontologischen Differenz zwischen dem Sein und dem Seienden bei Heidegger. Am Ende der Stunde waren wir alle erschlagen von Philosophie! Später habe ich am «Institut Supérieur de Philosophie» in Löwen in Belgien studiert. Dort stellte ich tatsächlich eine ontologische Differenz zu meinen Studienkollegen, die von der Uni in Kanada kamen, fest. Mit der Matura an der Kanti Alpenquai war ich für das Philosophie-Studium definitiv besser vorbereitet als sie!»


Kurt Bieder

Damals Schüler, von 2000 bis 2012 Stadtrat Luzern

«Alles war neu und modern, auch die Wandtafeln. Wir hatten einen Mathematiklehrer (Herr Burgherr), der diese Möglichkeiten voll ausschöpfte. Er konnte beidhändig – also gleichzeitig links- und rechtshändig – Gleichungen, Ableitungen und derartige Sachen auf die Wandtafel zaubern. Ich war in naturwissenschaftlichen Fächern mit suboptimalem Talent ausgestattet; deshalb ging mir das häufig zu schnell. Ich war deshalb froh, mich in den Pausen in den wunderbaren Aussenanlagen der Schule ‹auslüften› zu können.»


Louis Schelbert

Damals Schüler. Bis 2018 Nationalrat der Grünen

«1966 zügelte ich als Drittklässler mit dem Untergymnasium aus der alten Kaserne am Kasernenplatz in den topmodernen Neubau am Alpenquai. Die Köpfe mancher Lehrpersonen orientierten sich aber noch am Kasernen-Drill. Schüler mit längeren Haaren? ‹Geh sofort zum Coiffeur!› Blue-Jeans? ‹Ich will niemanden mit Arbeitshosen im Schulzimmer!› Beat-Musik etwa von den Rolling Stones am Klassenfest? ‹Aufhören mit dem organisierten Krach!› Wer es als ‹Professor› wollte, konnte sich noch stur und autoritär gebärden und wurde darin von der Schulleitung gestützt. Es gab aber auch und sogar immer mehr andere, der Umbruch war im Gang. Das Schulhaus Alpenquai symbolisierte ihn: Grosse Teile der Anlage waren 1966 noch im Bau. In den folgenden Jahren luftete es gehörig.»


August Keller

Damals Turn-, Latein- und Geschichtslehrer sowie Mitglied der Kommission, die den Bau der Kanti Alpenquai überwachte.

«Am früheren Standort der Kantonsschule am Hirschengraben wurde der Turnunterricht auf dem Hinterhof hinter dem Regierungsgebäude durchgeführt – dort, wo heute Autoparkplätze sind. Handball und Kugelstossen fanden somit unter den Augen der Sekretärinnen und Regierungsräte statt, die aus ihren Fenstern den Hof überblickten. Es gab auch eine Turnhalle. Diese war aber so klein, dass man nicht einmal ein Volleyballnetz aufhängen konnte. Als wir 1967/68 die neuen Turnanlagen am Alpenquai beziehen konnten, war das für uns das Paradies. Vom Hirschengraben mussten die Schüler an Prozessionen und Messen in der Jesuitenkirche gehen. Drei Viertel der Schüler waren ja katholisch. Das Untergymnasium war vor 1967 in der alten Kaserne im Bereich des heutigen Naturmuseums untergebracht. Als Geschichtslehrer sass ich da auf einer Kanzel, zu der die 24 bis 25 Schüler hinaufblicken mussten! Die Schüler mussten damals viel braver sein als heute. Als Strafen gabs Nachsitzen am freien Nachmittag. Das kam am Laufmeter vor. Gut erinnern kann ich mich an den Beginn der Bauarbeiten, als auf dem alten Kickers-Platz die Fundationspfähle in den Boden gerammt wurden. Zunächst nahm man 10 Meter lange Betonpfähle. Die versanken aber schon beim ersten Schlag vollständig im sumpfigen Boden. Nachher hat man riesige, 30 Meter lange Tannen-Stämme verwendet. Sie reichten zwar nicht ganz bis zum felsigen Untergrund hinunter, sind aber dennoch fest verankert. Die ganze Kanti steht heute auf 1400 bis 1500 Tannenbäumen. Die Kanti Alpenquai war für 1400 Schüler konzipiert. Es waren dann aber bald mehr als 2000. Damals gingen ja auch Schüler aus Beromünster, Willisau, Sursee und dem Seetal nach Luzern an die Kantonsschule. 1978 gab es Pläne, statt einer fünften Turnhalle ein 25-Meter-Schwimmbecken zu bauen. Der Grossrat lehnte das aber mit 5 Stimmen Mehrheit ab. Die Grossräte vom Land argumentierten: ‹Ihr habt ja den See!› Man sagte auch: ‹Wenn ihr jetzt auf das 25-Meter-Becken verzichtet, erhält die Stadt später ein 50-Meter-Becken.› Auch das hat die Stadt heute nicht.»


Rosmarie Caduff-Joos

Damals Schülerin, bis 2017 praktizierende Ärztin

«Die Doppelstunde in Mathematik am Samstagmorgen von 10 bis 12 versüsste sich die hinterste Viererbank wöchentlich mit einer Tafel Schokolade. Das Rascheln störte einmal dermassen, dass Professor Weber mit seinem verschmitzten Lächeln daran erinnerte, dass er zwar Weber heisse, aber Felix und nicht Franz Carl. Er war nicht nur ein sehr guter Mathematiklehrer, sondern hatte auch pädagogisches Geschick, das die Schoggi zum Verschwinden brachte.»

Urs W. Studer

Damals Schüler, von 1996 bis 2012 der Stadtpräsident von Luzern

«Wir hatten einen Aushilfs-Turnlehrer, Bert Späni. Er war Generalstäbler und – so weit ich mich erinnere – Berufsmilitär. Wir waren ihm zu wenig Zack-Zack. Zur Strafe bat er uns einmal schon um 7.15 Uhr zum Turnunterricht auf. Wir erschienen alle im Pyjama – einige in langärmligen Plüsch-Nachthemden. Herr Späni hat es akzeptiert und danach wieder zu normalen Zeiten unterrichtet.»

Hinweis Das Jubiläumsfest findet am Freitag, 28. September am Alpenquai statt. Tickets gibt es nur im Vorverkauf unter www.ksalpenquai.lu.ch/ksa50.

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