Es ist fast eine Astrid-Lindgren-Idylle. Blauer Himmel, goldene Waldstücke und farbige Blockhäuser. Als Schwedens Nationalteam Anfang Woche sein Trainingscamp in Lidingö aufnimmt, zeigt sich der schwedische Herbst von seiner schönsten Seite. Hier draussen vor den Toren der Hauptstadt Stockholm, wo der Schärengarten beginnt, scheint auf den ersten Blick alles in bester Ordnung.

Doch die Idylle täuscht. Denn die Atmosphäre bei Schwedens Fussballern erinnert weniger an Astrid Lindgrens fröhliche Jugendbücher, dafür mehr an Krimiautor Henning Mankells grimmigen Inspektor Kurt Wallander. Oder: Garstiger Nieselregen statt blauer Himmel. Es ist das Klima, das vorherrschen kann, wenn man gerade dabei ist, die Ziele zu verspielen. Einen Punkt aus zwei Partien holte Schweden im September zum Start in die WM-Qualifikation.
Vor allem das 0:2 im zweiten Spiel auswärts gegen den Kosovo hat die Volksseele zum Kochen gebracht. Wenige Monate nach dem «Traumlos» in einer vermeintlich machbaren Gruppe wurde der Start in die Kampagne zum Albtraum. Die Boulevardzeitung «Expressen» schrieb nach der Niederlage in Pristina: «Die Leistung war ein Verrat.» Und «Svenska Dagbladet» bezeichnete das Spiel sogar als «historisches Debakel».
Der schnelle Abgang des Stammkeepers
So richtig aufgeschreckt wurde Schwedens Fussball-Gemeinde wenige Tage später. Der langjährige Stammkeeper Robin Olsen erklärte per sofort seinen Nati-Rücktritt. «Unter Nationaltrainer Jon Dahl Tomasson spiele ich nicht mehr», sagte er. Olsen, der auch im WM-Achtelfinal 2018 gegen die Schweiz im Tor stand und insgesamt 78 Länderspiele bestritt, warf dem dänischen Trainer Führungsschwäche vor.
Die Anschuldigungen Olsens an die Adresse Tomassons waren insofern brisant, weil der Torhüter selbst nach den Spielen gegen Slowenien und Kosovo massiv in der Kritik gestanden hatte. Tomasson warfen die Medien vor, am 35-jährigen Olsen festzuhalten. Tatsächlich hatte Olsen beim 2:2 in Slowenien bei einem Gegentreffer fürchterlich schlecht ausgesehen. Aber eben: Tomasson liess Olsen auch drei Tage später in Kosovo nochmals auflaufen. Jetzt allerdings drohte Tomasson Olsen mit der Bank. Das stinkte dem Keeper gewaltig.
Trotz Olsens Fehler in Slowenien war aber nicht die Torhüterposition das Problem der Schweden. Da wäre die Defensive um Isak Hien von Atalanta Bergamo, der gegen die Schweiz wegen einer Oberschenkelzerrung womöglich fehlt. Sie wurde im Kosovo mal um mal ausgekontert. Oder der «Jahrhundertsturm» mit Viktor Gyökeres, Anthony Elanga und Alexander Isak, der gegen Kosovo ohne Einfluss blieb.
270-Millionen-Sturm mit wenig Einfluss
Das Trio unterschrieb im Sommer bei Arsenal (Gyökeres), Newcastle United (Elanga) und Liverpool (Isak) Millionenverträge und wechselte für insgesamt rund 270 Millionen Euro den Verein. Nie zuvor hat der gesamte Sturm eines Nationalteams in einem Sommer einen solchen Wert generiert. Wenn solche Spitzen dann gegen die Nummer 91 im Fifa-Ranking stumpf bleiben, bläst plötzlich ein kräftiger Wirbelwind.
Im Auge dieses schwedischen Hurrikans steht nun der Nationaltrainer. Wenn die Medien von einem «Systemfehler» (Aftonbladet) und von einem taktischen «Debakel» (Svenska Dagbladet) schreiben, dann heisst der Adressat der Kritik Jon Dahl Tomasson.

Immerhin steht Nationlmannschaftsdirektor Kim Källström noch hinter Tomasson. Der frühere GC-Professional stärkte vor wenigen Tagen dem angezählten Trainer den Rücken. Das Vertrauen sei «völlig intakt», sagte Källström gegenüber «Expressen». «Bevor wir Jon eingestellt haben, durchliefen wir einen gründlichen Prozess, bei dem wir sowohl ihn als Führungskraft als auch seine Spielprinzipien beobachteten.»
Tomasson, als Stürmer vor über 20 Jahren Champions-League-Sieger mit Milan, war in Schweden kein unbekannter Trainer, bevor er im Februar 2024 zum Nationaltrainer ernannt wurde. 2020 und 2021 führte er Malmö zweimal zum Meistertitel – mit attraktivem Offensivspiel. Doch wenn man dann vom Kosovo ausgekontert wird, ist diese Spielphilosophie auf dem medialen Boulevard eher früher als später nicht mehr attraktiv, sondern «narzisstisch» und «naiv».
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