Jonas Vingegaard hat schon vieles überstanden: einen Bruch von Schlüsselbein und Rippen, einen kollabierten Lungenflügel, zahlreiche Tage auf der Intensivstation nach einem schweren Sturz im Baskenland.
Doch was ihn derzeit bei der Tour de France 2025 aus dem Gleichgewicht bringt, ist kein Sturz, nicht sein Rivale Tadej Pogacar und auch nicht Remco Evenepoel, der Dritte des Vorjahres.
Vingegaards Frau mit scharfer Kritik
Es ist seine Frau. Trine Marie Hansen hat sich mit ein paar Sätzen in die Schlagzeilen und das Innenleben des Teams Visma Lease a Bike katapultiert.
Kurz vor dem Start der Rundfahrt hatte sie in dänischen Medien moniert, ihr Mann stehe unter enormem Druck, das Team nehme zu wenig Rücksicht auf ihr Familienleben, schütze ihn zu wenig, weder physisch noch mental.
«Countdown zum Karriereende läuft»
«Ich fürchte, Jonas fackelt die Kerze an beiden Enden ab», sagte sie der Zeitung «Politiken». Manchmal gehe vergessen, dass Athleten Menschen seien – und wie man das Beste aus ihnen heraushole.
Mit der Geburt des ersten Kindes im Herbst 2020 habe «der Countdown zum Ende seiner Karriere» begonnen, sagte Vingegaard Hansen, elf Jahre älter als er. Ihrem Mann, ist sie überzeugt, fehle das Familienleben und die Zeit zu Hause.
Vingegaard glättet die Wogen
Darauf angesprochen, versuchte der zweifache Tour-de-France-Sieger (2022 und 2023), die Wogen zu glätten. Die Aussagen seien wohl aus dem Kontext gerissen worden, und er verfolge den medialen Diskurs nicht, während er Rennen fahre. Er wisse, dass seine Frau voll hinter ihm stehe, «und dass sie alles unternimmt, um mich zu unterstützen.»
Zugleich räumte der 28-Jährige ein, dass die vielen Trainingslager «hart für das Familienleben» seien. Und fügte an: «Ich fahre immer noch, also hatte ich zumindest noch kein Burnout.»
Team Visma spricht Klartext
Im Team schlug die Kritik ein wie ein Donnerschlag. «Wir haben eine enge Verbindung zu Jonas und planen jeden Schritt gemeinsam, auch mit Trine», sagte Sportdirektor Grischa Niermann. Aber: «Um das grösste Radrennen der Welt zu gewinnen, muss man Opfer bringen», sprach der Deutsche Klartext.
Ungeachtet der Störfeuer verläuft die Tour de France für Vingegaard bisher durchzogen. Zwar wirkte er in den ersten Etappen explosiver als in den Vorjahren, zeigte sich aktiv im welligen Gelände, parierte Pogacars Attacken.
Böse Schlappe im Zeitfahren
Doch im flachen Einzelzeitfahren büsst er über eine Minute auf Pogacar ein, sogar 1:21 auf Remco Evenepoel. In der Gesamtwertung liegt er nach der siebten Etappe nur auf dem fünften Rang, 1:13 Minuten hinter seinem Rivalen Pogacar.
Noch beim Critérium du Dauphiné hatte er Pogacar im Zeitfahren noch deutlich distanziert. Umso ernüchternder ist nun der Rückschlag. Dazu kam das Mitleid der Konkurrenz. Vingegaards tieferes Gewicht sei im Kampf gegen die Uhr auf dieser Strecke ein Nachteil gewesen, erklärten Pogacar und Evenepoel.
Vingegaard fährt wie verwandelt
Andere Beobachter erklärten den Rückstand mit der ungewohnt aktiven Fahrweise Vingegaards in den Etappen zuvor. Auf den klassikerähnlichen Strecken konterte er nicht nur Pogacars Schmetterantritte, sondern fuhr immer wieder selber Attacken. Zahlte er dafür im Zeitfahren seinen Preis?
Noch im vergangenen Jahr hatte ihm Remco Evenepoel wegen der defensiven Fahrweise vorgeworfen, «keine Eier» zu haben. Nun attackierte Vingegaard auf einem Terrain, das ihm bislang weniger lag als seinen beiden schärfsten Rivalen.
Hoffnungen liegen in den Bergen
Es sei ein sehr schmaler Grat zwischen explosiver sein und zugleich gut die langen Berge hochzufahren, sagte Visma-Sportdirektor Niermann. Man glaube, einen guten Mittelweg gefunden zu haben. Dass Vingegaard im Zeitfahren viel eingebüsst hat, bezeichnete er zwar als Rückschlag. Doch noch sei die Tour nicht entschieden. Unerschütterlich glaubt Vingegaard an seinen Plan.
Seine Hoffnungen liegen in den Bergen. In den langen Anstiegen der Alpen und Pyrenäen war er in der Vergangenheit der Stärkere. Doch was, wenn Pogacar bewusst an Explosivität eingebüsst hat, um Vingegaard in diesem Sommer dort zu distanzieren, wo bisher der Däne favorisiert war? Durchaus denkbar.
Quatorze Juillet als Tag der Wahrheit
Am Montag, 14. Juli, am französischen Nationalfeiertag, steht die erste echte Bergetappe an. Sieben Anstiege, 4400 Höhenmeter. Spätestens dann muss Vingegaard seine Karten auf den Tisch legen. Und zeigen, dass die Niederlage im Zeitfahren tatsächlich nur der schlechten Tagesform geschuldet war.
Denn eines ist klar: Um Tadej Pogacar zu bezwingen, braucht es mehr als Kraft in den Beinen. Es braucht einen klaren Kopf, ein ruhiges Herz – und den Mut, den Lärm um sich herum auszublenden.
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