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Ski-WM

Weltmeisterin Jasmine Flury: «Ich bin stolz auf meinen Weg – ich hatte diesen jugendlichen Leichtsinn, ihn zu wählen»

Seit Samstag ist Jasmine Flury Weltmeisterin. Im Interview erzählt sie, warum sie einst fast am Perfektionismus zerbrochen wäre und wieso sie gewissen Skifahrerinnen nicht mehr auf Instagram folgen kann.

Jasmine Flury küsst ihre WM-Goldmedaille.
Bild: Guillaume Horcajuelo / EPA

Es ist Sonntagmorgen. Geschlafen hat Jasmine Flury kaum. «Dafür habe ich bereits gepackt», sagt sie. «Ich hatte ja Zeit, wenn ich schon nicht schlafen kann.» Seit Samstag ist die 29-jährige Bündnerin Weltmeisterin in der Abfahrt. Darum schwirrt einiges in ihrem Kopf herum. Als sie die Lobby des Hotels in Méribel betritt, bestellt sie darum zuerst einen Kaffee.

Trinken Sie den Kaffee koffeinfrei?

Jasmine Flury: Nein, besser nicht, ich glaube, man sieht es mir an.

Jasmine Flury, Weltmeisterin, wie klingt das am Tag danach?

Gleich wie am Samstag. Für mich ist das immer noch ungewohnt.

Konnte das Ganze schon irgendwie sacken?

Bis jetzt nicht. Ich habe zwar gefeiert, schlief aber nicht deshalb so wenig. Ich weiss nicht, ob ich auf eine Stunde kam. Ich lag wach im Bett, ging noch einmal alles durch, was war und schaute Videos. Dominique Pittet, mein ehemaliger Trainer, schickte mir ein Video von der Zeremonie. Ich hörte, wie er dabei weinte und schluchzte, so etwas wirkt schon, das ist emotional.

Swiss-Ski-Präsident Urs Lehmann sagte an der Ehrung im House of Switzerland, mit diesem Titel würde sich Ihr Leben verändern. Hoffen Sie auf Veränderungen?

Ich habe am Samstag noch lange mit Patrick Küng geredet (Abfahrts-Weltmeister 2015; die Red.), und er sagte, wir seien ja beide nicht diejenigen, die ein Rennen nach dem anderen gewinnen. Deshalb soll ich es wirklich geniessen und mir keinen Druck machen. Diesen Titel kann mir keiner mehr nehmen, und das ist so.

Als Ihrer Freundin Corinne Suter in Are der Durchbruch gelang, machten Sie Vitamin-Tabletten und Brötchen für sie bereit. Nun gewann Suter am Samstag Bronze und konnte kaum das Gleiche für Sie tun.

Nein, dafür war es enorm emotional. Wir konnten das super geniessen zusammen.

Sie stehen nicht gerne im Mittelpunkt. War es einfacher, weil Sie gemeinsam mit Suter unterwegs sein konnten und zum Beispiel gemeinsam das House of Switzerland besuchten?

Ja sehr. Zu Beginn war ich ziemlich überfordert. Ich habe gemerkt, dass ich müde bin. Und ich hatte Kopfweh. Ein Glas Weisswein hat dann aber geholfen zu entspannen. Dass Corinne dabei war, hat es aber einfacher gemacht.

Jasmine Flury beim Empfang im House of Switzerland in Méribel.
Bild: Jean-Christophe Bott / KEYSTONE

Vor zwei Jahren wurde Suter Abfahrtsweltmeisterin, Sie wurden nicht für das Rennen aufgeboten. Wie war das für Sie?

Richtig schwierig. Ich reiste nach Hause, schaltete das Handy aus für drei Tage und sah nicht einmal, dass Corinne Gold gewonnen hatte. Meine Schwester sagte es mir. Und ich schrieb Corinne vom Handy meiner Schwester. Als ich meines wieder einschaltete, hatte Corinne schon dreimal versucht, mich anzurufen. Das zeigt, was für ein toller Mensch sie ist.

Sie erzählten, dass Sie nach Ihrem ersten Weltcupsieg 2017 in St.Moritz überfordert waren. Wie äussert sich das?

Weil es ein Rennen mit Unterbrüchen und Wind war, hatte ich das Gefühl, das zählt nicht so richtig und habe mir danach extrem Druck gemacht. Ich hatte das Gefühl, ich müsse es nochmals beweisen. Daraus werde ich sicher die Lehren ziehen und es anders machen.

Nach der WM findet in Crans-Montana gleich ein Heimweltcup statt. Besteht da die Gefahr, dass Sie sich versteifen, weil alle sagen, jetzt kommt die Weltmeisterin?

Ja sicher. Darauf darf und muss ich mich aber auch einstellen. Ich habe damals nach dem Sieg in St.Moritz nicht realisiert, dass der Rummel auch etwas Schönes sein kann. Für mich war er Druck, etwas Negatives. Ich habe gar nicht wahrgenommen, wie schön das alles ist, das Drumherum, wie viele sich freuten. Ich versuche, das jetzt zu geniessen.

Nochmals zurück zum Rennen: Spürten Sie, dass es eine gute Fahrt war?

Während der Fahrt nicht, überhaupt nicht. Im Ziel kommen mir meist zuerst jene Dinge in den Sinn, die nicht so gut waren. Da ist bei mir immer so.

Es heisst, Sie haben die Tendenz, immer auf jene Kurve zurückzuschauen, die nicht gut war und weniger auf jene 18, die sehr gut gelungen sind.

Das ist definitiv so. Aber ich habe in diesem Jahr sehr daran gearbeitet, dass ich nicht an dem einen Schwung hängen bleibe, der nicht so gut war. Dass ich mich mehr auf dem Positiven aufbaue. Weil meist macht man ja nicht so viel falsch.

Haben Sie sich Hilfe geholt?

Ich arbeite schon länger im mentalen Bereich. Jetzt habe ich noch etwas Neues versucht, um die Selbstzweifel aufzuarbeiten. Im Kopf kann man sich schnell einmal sagen, es ist gut, ich kann das. Aber es muss ja auch im ganzen Körper zu spüren sein. Und an dieser Verbindung arbeite ich.

Als Sie in den Weltcup kamen, hatte man das Gefühl, dass Sie ziemlich unbeschwert fahren. Kamen die Selbstzweifel erst später?

Früher war ich definitiv viel unbeschwerter, ich glaube in allem, was ich gemacht habe. Und so bin ich auch Ski gefahren. Ich habe nicht immer gross überlegt, sondern bin einfach los gefahren und habe dann geschaut, was rauskommt. Aber das war nicht nur im Rennen so. Ich hatte auch sonst mega Plausch am Skifahren.

Und dann?

Danach wird alles professioneller, was ja auch gut ist und es braucht. Vielleicht habe ich mich da aber etwas zu sehr versteift, um alles immer perfekt machen zu wollen. Sei es im Konditionstraining, bei der Ernährung oder im mentalen Bereich. Überall strebte ich nach Perfektion, was nicht per se falsch ist, aber ein bisschen too much.

Sie setzten einzig auf den Skisport. Von anderen Athletinnen hört man, dass es ihnen Lockerheit gäbe, zu wissen, dass sie einen Plan B haben. Wie war das bei Ihnen?

Irgendwann hatte ich wirklich das Gefühl, jetzt muss ich noch etwas anderes machen. Früher war ich einfach unbeschwert. Ich hatte diesen jugendlichen Leichtsinn, diesen Weg zu wählen. Aber ich bin extrem stolz, dass ich ihn gegangen bin. Auch wenn es nicht immer einfach war. Trotzdem bin ich heute da, wo ich bin.

Setzte es Sie nicht zusätzlich unter Druck, keine Alternative zu haben?

Zu Beginn schon. Aber wenn man mal im Weltcup vorne dabei ist, wusste ich, dass ist das, was ich machen will. Es ist das, was ich jetzt machen kann. Und wenn ich es mache, dann will ich es richtig und mit 100 Prozent machen. Ich wollte alles dafür tun, dass ich meinen Traum leben kann.

Jasmine Flury (l.) und Corinne Suter präsentieren ihre WM-Medaillen.
Bild: Jean-Christophe Bott / KEYSTONE

Manche finden den Ausgleich zum Sport in einer Ausbildung. Wo finden Sie Ablenkung?

Zuhause. Bei der Familie, bei Freunden. Draussen in der Natur. Und jetzt bin ich ja dreifache Tante.

Ist also alles gut gegangen? Sie erzählten am Samstag, dass Ihre Schwester in den Wehen liege. Ist Ihr Neffe noch am gleichen Tag auf die Welt gekommen, wie Sie Weltmeisterin wurden?

Knapp nicht. Aber es ist alles gut gegangen.

Sie haben über Ernährung und Perfektionismus gesprochen. Haben Sie es da zu weit getrieben?

In gewissen Phasen sicher. Ich wollte alles genau richtig machen, weil ich das Gefühl hatte, ich musste das machen. Ich habe immer darauf geschaut, was ich esse, ob ich mir auch einmal was gönnen kann. Ich nahm das eine Zeit lang sehr, sehr genau. Vielleicht brauchte es das in diesem Moment auch. Aber man wird älter und reifer und weiss dann auch, wie man gesund damit umgehen kann.

Die Perfektion ist Teil des Spitzensports.

Ja, auf jeden Fall. Es wird auch nicht einfacher mit all den Social-Media-Möglichkeiten, wo immer alles zu sehen ist. Man sieht, wie alles gut und perfekt ist, wie alle am trainieren sind. Dann haben sie Ferien und sind wieder unterwegs, das sieht immer nach Glamour aus. Das macht es sicher nicht einfacher.

Haben Sie sich auch beeindrucken lassen?

Ja, und jedes Mal, wenn ich das Gefühl hatte, es war genug, dann folgte ich nicht mehr – oder nur noch den Kanälen, die mich inspirierten. Es gibt mega coole Dinge, die man rausnehmen kann, das verfolge ich immer noch.

Wie ist Ihre Social-Media-Strategie?

Es gibt immer Phasen, in denen ich das Gefühl habe, es ist super cool. Dann gibt es Phase, in denen ich denke: lieber nicht. Es schwankt jeweils ein wenig. Ich probiere, eine gute Balance zu finden zwischen dem, was man für die Sponsoren machen muss, schaue aber auch, dass es nicht nur das ist.

Sind Sie gut im Nein sagen?

Nein. Aber ich weiss, dass ich Unterstützung habe und da bin ich extrem froh. Wenn zum Beispiel kleine Kinder kommen und ich an ihnen vorbei laufen muss wie am Samstag, weil ich irgendwo hin muss, ist das nicht einfach und ich bin froh, wenn jemand dabei ist, der mich leitet.

Es ist aber auch schwierig, als Skifahrerin bewegen Sie sich extrem in den Leuten.

Das ist ja auch etwas Schönes. Aber es gibt gewisse Leute, die sich nicht mehr spüren, das musste ich am Samstag auch feststellen. Wenn jemand normal auf mich zukommt, werde ich auch in Zukunft nicht Nein sagen. Aber sonst muss ich mich vielleicht auch etwas abgrenzen.

War es am Samstag auch unangenehm?

Unangenehm, ich weiss nicht… Bei gewissen Menschen fehlt zum Teil einfach das Gespür, wie man solche Dinge angehen oder einfach normal fragen kann.

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