Nichts deutet darauf hin, dass ein Hockey-Drama von antiker Grösse am Laufen ist. Der SC Bern übt am Karfreitag so wie immer. Zur gleichen Zeit. Nach gleichem Programm. Unter gleicher Leitung. Nach dem Motto: Wir stehen im Playoff-Final und haben grad zweimal verloren – na und?
So war es auch am Vorabend in Zug gewesen. Unmittelbar nach der zweiten Verlängerungs-Niederlage hintereinander. Eigentlich ein Grund für tiefste Beunruhigung. Jede Mannschaft, die bisher im Final zweimal in der Verlängerung gewonnen hat, ist auch Meister geworden.
Tatort: der Kabinengang der Zuger Arena am Donnerstagabend nach dem Spiel. Wenn die Engel die siebte Posaune der Apokalypse blasen und den Untergang der Welt vollenden, dann wird Kari Jalonen ein Bier bestellen. Und seine einzige Sorge wird sein, ob es auch ein richtig gekühltes ist. Der finnische SCB-Trainer ist unerschütterlich. Nach einem der aufregendsten Spiele der Saison, dem er in leitender Position beigewohnt hat, wirkt er ruhig, als sei er gerade aus einem siebenwöchigen Yoga-Kurs in den Bergen von Bhutan zurückgekehrt. Dabei müsste Aufregung und Bestürzung gross sein. Zum ersten Mal in der Geschichte der Playoffs (seit 1986) hat der SCB zweimal hintereinander in der Verlängerung verloren. Alles, was die Berner seit dem letzten Sommer üben, hatte sich soeben in Luft aufgelöst. Das mächtige SCB-Bollwerk ist eingestürzt wie einst die Mauern von Jericho beim Schall der Posaunen.
Ein Dialog mit Kultcharakter
Die Nationalverteidiger Eric Blum und Ramon Untersander können die Scheibe und die Situation nicht kontrollieren. Nationaltorhüter Leonardo Genoni eilt zu spät aus seinem Kasten und Fabian Schnyder trifft in der Verlängerung zum 3:2. Der Stürmer hat gleich zwei SCB-Hexenmeister des Verteidigungsspiels schachmatt gesetzt.
Die Geschichte des Finals muss neu geschrieben werden. Und der neutrale Chronist fragt sich: Werden Blum und Untersander zu stark forciert? Blum hatte wieder am meisten Eiszeit von allen SCB-Titanen (23:20 Min.) und Untersander war fast ebenso fleissig (21:45 Min.). Beide standen bei allen drei Gegentreffern im Einsatz.
Noch ist der Respekt vor Kari Jalonen grösser als die Lust zur Polemik und der Mut zu Schmähungen. Zwei Chronisten befragen eine Viertelstunde nach dem Match den SCB-Trainer. In der Hoffnung, Worte zu vernehmen, die der Dramatik der Situation angemessen sind. Der Dialog hat Kultcharakter.
Kari, hat jetzt das Momentum gewechselt?
Kari Jalonen: Momentum?
Ja, Momentum. Zug hat zweimal gewonnen, das Momentum ist jetzt bei Zug, oder?
Ich glaube nicht an solche Sachen wie ein Momentum. Ich glaube nur an Fakten.
Was sind die Fakten?
Es steht 2:2.
Ist die Situation nicht gefährlich?
Gefährlich?
Ja, es ist doch gefährlich. Zug hat zweimal gewonnen.
Ich verstehe nicht, was Sie mit gefährlich meinen?
Zug hat jetzt zweimal gewonnen!
Also ich sehe keine Gefahr. Da war soeben ein Hockeyspiel und am Samstag ist wieder eines. Was soll daran gefährlich sein?
Kari Jalonen sagt dann noch, seine Jungs seien im ersten Drittel wohl noch im Bus gewesen. Aber bevor diese Kritik zur Polemik erweitert werden kann, stellt er klar: «Aber unser Comeback im zweiten Drittel war ein grosses Charaktercomeback».
Bern ist also nicht beunruhigt. Alle sind ruhig. Nach der Niederlage wird im Kabinengang nicht geflucht. Keine Türe wird zugeknallt. Kein Stock zertrümmert. Kein lautes Wort fällt. SCB-König Marc Lüthi schreitet ruhig, gemessenen Schrittes durch den Kabinengang, grüsst freundlich und geht nicht in die Kabine. Er sucht nicht einmal nach einem Notausgang um sich durch Rauchen beruhigen zu können.
Ist das alles bloss Arroganz? Die gespielte Ruhe vor dem Untergang? Oder ist es die Zuversicht eines wahren Champions aus der unerschütterlichen Gewissheit, dass Eishockey ist, wenn der SCB am Ende doch gewinnt?
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