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Entwicklungshilfe

Schweizer hilft Sexsklavinnen via Fussball zurück in normales Leben

Der Schweizer Sam Schweingruber hilft jungen Frauen zurück in ein normales Leben. Nebenbei kickt der Thurgauer als kopfballstarker Verteidiger in Kambodschas Premier League.

Der Shuttle für die Mädchen ist früh unterwegs. Kurz vor sechs setzt sich Sina, der Fahrer, mit seinem alten Pick-up in Bewegung. Eine lange Tour wartet. Sie führt uns quer durch Battambang. Zu Kinderheimen und Waisenhäusern, auch weit hinaus zu den Holzhütten, wo die Strassen vom Dauerregen aufgeweicht und nur mit viel Geduld und kluger Routenwahl zu befahren sind.

Wenn er anhält, warten die Mädchen in gelben Shirts mit der Aufschrift SALT Academy, die Fussballschuhe bereits geschnürt, und springen auf den Shuttle, der bald schon bedrohlich überladen ist und noch schneller erfüllt ist vom lebhaften Geplapper der jungen Spielerinnen.

Sie reden in einem unverständlichen Kauderwelsch, das Khmer heisst, und als der Bus kurz vor acht mit seinen 25 Passagieren zur Übungseinheit auf den Trainingsplatz am Institute of Technology einfährt, ist auch der Morgenmuffel auf dem Beifahrersitz von der fröhlichen Stimmung angesteckt.

Wenige leben noch zu Hause

Es ist Regenzeit in Kambodscha und Schulferienzeit. Die Mädchen nehmen an einem Pilotprojekt der SALT Academy teil. Fast alle kommen aus Heimen und Organisationen, die obdachlose Kinder beherbergen, junge Menschen ohne Familien, ohne Zuhause. Nur wenige der Mädchen im Team leben noch bei ihren Familien, zwei, drei oder vier vielleicht. Es ist die Norm. Die Anzahl von Waisen und Strassenkindern, die in extrem instabilem Umfeld aufwachsen, ist in Kambodscha so hoch wie nirgends.

Battambang ist keine Ausnahme. Die Stadt, mit 250000 Einwohnern die zweitgrösste im Land, liegt im Westen Kambodschas, gut 300 Kilometer nordwestlich der Hauptstadt Phnom Penh. Die gleichnamige Provinz gilt als Reiskorb Kambodschas, dank den fruchtbaren Böden erzielen die Bauern teilweise zwei Ernten im Jahr. Das Einkommen in der Provinz Battambang liegt dadurch ein wenig höher als in anderen Regionen, an den gesamthaft miserablen Lebensbedingungen ändert dies wenig.

Mit 50 Rappen pro Tag auskommen

Nach jahrelangem Bürgerkrieg gilt Kambodscha nach wie vor als eines der ärmsten Länder der Welt. Obwohl die politische Lage nach 23-jähriger Herrschaft der Kambodschanischen Volkspartei von Ministerpräsident Hun Sen als stabil bezeichnet werden kann, präsentiert sich die Lage für die Masse der 14,3 Millionen Kambodschaner alles andere als rosig. Während für eine kleine Schicht von Neureichen an Phnom Penhs Peripherie Satellitenstädte entstehen, deren Bau Milliarden verschlingt, muss der Mann von der Strasse mit 1800 Riel am Tag auskommen. Das entspricht knapp 50 Rappen.

Die des Terror-Regimes sind noch immer da

Neben den schlimmsten Konsequenzen des Regimes der Roten Khmer, dem Tod von über zwei Millionen Menschen, gibt es heute noch eine Reihe von Spätfolgen, die den Alltag prägen. Soziale Institutionen, Schulen wurden zerstört, Dorfgemeinschaften und Familien. Bei einer Opferrate von zwanzig Prozent der Gesamtbevölkerung musste jeder einzelne Kambodschaner den Verlust von Verwandten hinnehmen. In Extremfällen wurden ganze Familien ausgelöscht.

Senioren über 65 Jahre gibt es kaum, sie machen 3,6 Prozent der Landesbevölkerung aus. Kambodschas Altersdurchschnitt beträgt 22 Jahre. Ein Drittel der Bevölkerung ist unter 14, mehr als 50 Prozent unter 21 Jahre alt.

Mädchen werden kaum gefördert

Vor allem die Bildung für Mädchen wird kaum gefördert. Weil es nie genügend Arbeit gibt und die Eltern grösste Mühe haben, den Unterhalt der Familien zu sichern, ist es selbstverständlich, dass Kinder fürs Geldverdienen zuständig sind. Sie werden auf die Strasse geschickt.

Doch weil auch auf der Strasse wenig zu holen ist, gehen sie auf der Suche nach einem Weg aus der Armut noch viel grössere Risiken ein. Sie verschachern ihre Kinder an zwielichtige Arbeitsvermittler. Das macht die jungen Frauen zur leichten Beute. Der Handel mit Mädchen und Arbeitskräften gehört zu den profitabelsten Geschäften – weltweit beläuft er sich auf jährliche Profite in Milliardenhöhe. Kambodscha ist eines der Ausgangs- und Zielländer.

Menschenhändler haben leichtes Spiel

Oft überlassen Eltern ihre Töchter den Menschenhändlern im guten Glauben, dass sie Tätigkeiten als Hausangestellte ausüben oder im Gastgewerbe arbeiten und mit ihrem Lohn die Familien unterstützen können. Manche Mädchen lassen sich freiwillig mit diesen Vermittlern und Schleppern ein, sie glauben, die Unterstützung der Eltern sei ihre Pflicht. Nicht wenige werden von ihren Eltern verkauft – die 16-jährige Sophak in Battambang landete so in einem Nachtclub, weil ihre spielsüchtige Mutter ihre Spielschulden nicht decken konnte.

Der Weg führt direkt in die Sklaverei. Im neuen Leben erwartet die Kinder Ausbeutung und Unterdrückung, ein trauriges Dasein als billige Hilfskraft im Haushalt oder im Gastgewerbe. Tausende landen nach wenigen Wochen in der Zwangsprostitution. Sie werden von Schleppern über die Grenze verfrachtet und enden in den Bordellen von Thailand und Vietnam, wo die Nachfrage nach jungen Frauen am grössten ist. Keine drei Monate leben sie nun am selben Ort. Um den Sextouristen Abwechslung zu bieten, werden sie regelmässig weitergereicht, die Familien verlieren von ihren Töchtern jede Spur.

Wenige der Mädchen, die sich einmal in den Fängen der Menschenhändler begeben haben, finden einen Ausweg aus ihrem Elend. Wenige finden die Kraft, davonzulaufen – die Angst, nach Hause zurückzukehren, ist gross, aus Scham, versagt zu haben, oder weil sie fürchten, noch einmal verkauft zu werden. Letzte Zuflucht bieten die Hilfsorganisationen, welche Opfer des Menschenhandels in ihren Zentren aufnehmen und versuchen, die oft schwer traumatisierten jungen Frauen behutsam wieder ins Leben einzugliedern.

In Thailand ausgebeutet

Von den Mädchen, die an diesem Morgen auf dem Trainingsfeld mit dem Schweizer Trainer einfache Balltechnik und Spielformen trainieren, leben mehrere in diesen Heimen – auch die Schwestern Nin und Vesna, die sich als blutjunge Teenager einem Arbeitsvermittler anvertrauten und nach Thailand gingen, um als Haushalthilfen Geld zu verdienen. Ausgebeutet und missbraucht, fassten Nin und Vesna den Mut zur Flucht und landeten im Rapha-Haus und bei SALT, im Hilfsprojekt von Sam Schweingruber.

Für kambodschanische Verhältnisse ein guter Fussballer

Der 32-jährige Sam Schweingruber aus Pfyn am Bodensee ist gelernter Primarlehrer und besitzt ein B-Trainerdiplom. Als er vor rund sieben Jahren im Auftrag einer Organisation für Entwicklungshilfe erstmals nach Kambodscha reist, betreut er Freiwillige einer Hilfsorganisation. Nebenbei kickt der Thurgauer als kopfballstarker Verteidiger in Kambodschas Premier League. «Anfangs, im Sommer 2003, für Mild Seven», erzählt er verschmitzt, «genau, die Zigaretten. Das Unternehmen war der Klubsponsor.» Ein Jahr darauf folgt ein Wechsel zum Navy-Team, der Militärmannschaft. «Für kambodschanische Verhältnisse war ich ein guter Fussballer, und natürlich war ich bald als Spielertrainer engagiert.»

Immer knapp bei Kasse

An einer Strassenecke unweit des Olympiastadions, auf dem Heimweg vom Training, gründet Schweingruber eines Abends im Juni 2004 seine erste Mannschaft mit Strassenkids. 2006 gründet er die SALT Academy – die vier Buchstaben stehen für «Sport and Leadership Training». Er beginnt, eine Wochenend-Liga aufzubauen: Fussball für Strassenkinder, Obdachlose und Heimkinder.

Mittlerweile sind es über 1500 Spieler und Spielerinnen in annähernd 100 Mannschaften. «Der Stellenwert der Frauen in der Gesellschaft ist nach wie vor gering – vielen Frauen wird immer noch das Recht verwehrt, sich frei zu entfalten und ihren eigenen Weg im Leben zu gehen, so wie wir das kennen», erklärt Schweingruber sein Engagement für den kambodschanischen Mädchenfussball. Allein, seine finanziellen Mittel sind immer knapp.

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