Fünf Spiele, fünf Siege – die Schweiz ist souveräner Leader. Ist die Qualifikation für die WM in Kanada Formsache?
Lara Dickenmann: Wir haben noch einen Joker. Aber ich denke sicher nicht daran, was jetzt alles schieflaufen müsste, dass wir noch scheitern.
Schweizer Fussball-Frauen an einer WM, das gab es noch nie. Welche Bedeutung hätte diese Premiere?
Eine sehr grosse, speziell für mich. Ich bin jetzt dann zwölf Jahre dabei, erlebte eine grosse Entwicklung. Die WM-Qualifikation wäre ein schöner Abschluss. Also nicht gerade mein Karrieren-Abschluss, aber es geht ja schon allmählich in diese Richtung.
WM-Qualifikation
Die Schweizer Frauen-Nati trifft heute im Aarauer Brügglifeld (19 Uhr) in der WM-Qualifikation auf Dänemark. Derzeit liegt sie in der Qualifikationsgruppe 3 deutlich auf ersten Platz.
Beschreiben Sie diese Wandlung!
Früher starteten wir in eine WM-Qualifikation und wussten von Anfang an: Wir haben sowieso keine Chance. Es war eine gewisse Resignation von Beginn an zu spüren, auch weil wir mit Deutschland und Schweden häufig zwei der stärksten Gegner überhaupt in der Gruppe hatten. Über die Jahre hat sich auch jede einzelne Spielerin ein grösseres Selbstvertrauen antrainiert. Das ist ein Verdienst unserer Trainerin. Ich bringe meinen Mitspielerinnen heute grössere Wertschätzung entgegen als früher. Obwohl sie dieselben sind.
Wird die Schweiz irgendwann einmal Weltmeister?
Die Frage ist wohl verfrüht, wir konzentrieren uns jetzt darauf, überhaupt einmal an eine WM zu kommen. Wir können die Besten an einem guten Tag ärgern. Wenn ich an meine französischen Kolleginnen bei meinem Klub in Lyon denke, dann sind es eher sie, die sich langsam Gedanken machen müssen, wie sie es fertigbringen, den Titel zu holen.
In der «Schweizer Illustrierten» erschien letzthin ein Interview mit Ramona Bachmann, Ana Maria Crnogorcevic und Ihnen, überschrieben war es mit: «Der schöne Fussball.» Nervt es Sie, dass Frauenfussball häufig auf Schönheit reduziert wird?
Ja. Wenn jemand nicht dem typischen Schönheitsideal entspricht, aber gut Fussball spielen kann, interessieren sich die Leute weniger für diese Person. Das ist schade. Beim Männerfussball ist es nicht so. Franck Ribéry ist auch nicht der Schönste, aber er ist halt einfach gut. Und dann sieht man nur seine Leistung. Wir sind doch keine Models! Wenn sich eine Spielerin für das Spiel schminken will, dann ist das in Ordnung, aber es sollte sich niemand dazu gezwungen fühlen, damit mehr Zuschauer kommen. Auch in Frankreich spüre ich das Credo «Hauptsache, sie sieht gut aus.»
In welchen Situationen?
Dem Verein ist es wichtig. Manchmal habe ich das Gefühl, jemand müsse auch noch gut aussehen, damit er in Lyon spielen darf. Wir haben ja schon gute Spielerinnen bei uns. Aber wenn zwei gleich gute zur Wahl stehen, wird sicher die schönere unter Vertrag genommen.
Würden Sie gerne Ihr FussballerLeben mit jenem von Xherdan Shaqiri tauschen?
Nein, lieber nicht. Mir gefällt mein Leben so, wie es ist. Natürlich ist es genial, was er in München erlebt. Jedes Wochenende vor so vielen Zuschauern spielen. Es hat Vor- und Nachteile.
Wünschen Sie sich nie, ein Knabe zu sein, mit all denselben Talenten, die Sie haben?
Eigentlich nicht. Sicher ist es toll, so viel Geld zu haben. Aber dann ist auch das Privatleben weg. Überdies finde ich, der Kommerz und das viele Geld machen den Fussball kaputt. Früher hat man noch mit Herz für eine Mannschaft gespielt, sich mit dem Verein identifiziert. Wenn man heute sechs Monate hier spielt, dann wieder ein Jahr dort, zwei Jahre später wieder woanders, geht diese Leidenschaft für seine Wurzeln verloren.
Wie kam Ihre Karriere ins Rollen? Als Kind gingen Sie ins Ballett, dann wurden Sie Fussballerin.
Ins Ballett ging ich hauptsächlich wegen einer Kollegin. Ich war auch mal im Schwimmen. Aber da war ich sehr klein (lacht). Ich wechselte zum Fussball, weil es in der Schule ein ständiges Thema war. Mein Bruder und meine Nachbarn gingen in den FC, also wollte ich auch dabei sein . . .
. . . und spielten nur mit Jungs?
Ja. Es gab noch ein anderes Mädchen, aber das hat ziemlich schnell aufgehört.
Was brauchte es, um sich gegen die Jungs durchzusetzen?
Vor allem die Unterstützung meiner Eltern. Sie mussten sich viel anhören von anderen Eltern. Viele wollten nicht, dass ein Mädchen mitspielt, sagten, ich nehme einem Buben den Platz weg. Sie haben aber bald gesehen, dass ich dasselbe Niveau habe.
Ist es auch heute noch der richtige Weg, Mädchen möglichst lange mit Jungs zusammenspielen zu lassen?
Auf jeden Fall. Es ist genial. Die Jungs haben ein höheres Niveau. Das Spiel ist schneller. Der Lerneffekt grösser. Bei mir wurde es erst mit 13 oder 14 langsam schwierig. Die Jungs sind viel schneller gewachsen und der Trainer hat mich auch etwas sanfter behandelt als die anderen – das wollte ich nicht. Danach wechselte ich in ein Frauen-Team.
In welcher Schweizer Männerliga könnten Sie heute mithalten?
Ich weiss es nicht. Technisch und taktisch könnte ich in höheren Ligen mithalten, physisch aber kaum.
Sie haben internationale Wirtschaft und Politologie studiert. Was sagen Sie dazu, dass bloss 17 Prozent der 18- bis 29-Jährigen bei der Masseneinwanderungsinitiative abstimmen gingen?
Es hatte sicher einen Einfluss, dass die Kampagnen kaum auf den sozialen Netzwerken geführt wurden. Vielleicht ist es aber auch allgemeines Desinteresse.
Verfolgen Sie in Lyon die Schweizer Politik und gehen auch wählen?
Ich bin zwar beim Konsulat eingeschrieben, habe aber trotzdem keine Unterlagen zur Abstimmung erhalten. Ich gehöre also auch zu den «Schuldigen». Ich hoffe, dass es das nächste Mal klappt.
Interessieren sich junge Menschen zu wenig für Politik?
Im Fussball ist es sicher so. Aber ich weiss nicht, ob man das auf die Allgemeinheit ummünzen kann.
Wie ist es bei Ihnen im Team?
Da sprechen wir selten über Politik. Die meisten sind gar nicht informiert. Ich war total entrüstet, als die Affäre von François Hollande ans Tageslicht kam. Denen war das einfach egal. Schon etwas komisch, aber das ist eben auch Frankreich (lacht).
Können Sie vom Fussball leben?
In Lyon haben wir gute Verträge, ich kann mich nicht beklagen. Ich kann sogar etwas auf die Seite legen. Allerdings gibt es grosse Unterschiede zwischen den Spielerinnen. Die Verträge gehen von 1500 Euro bis zu 15 000 Euro im Monat. Ich liege irgendwo dazwischen. Wahrscheinlich könnte ich schon noch ein wenig mehr herausholen, aber das ist nicht mein Ding. Ich gehe lieber selbst mit dem Rechtsanwalt von Lyon verhandeln, als dass ich dafür einen Agenten beauftragen würde.
Wie sieht Ihr Verhältnis zwischen Lohn und Werbeeinnahmen aus?
Ich glaube, der Lohn macht 99 Prozent aus (lacht). Ich bin nicht so auf Werbung aus. Ich habe einen Nike-Vertrag, die stellen mir Kleidung und Fussballschuhe bis zu einem gewissen Betrag zu Verfügung, das finde ich super, weil ich mich auch mit der Marke identifizieren kann. Aber Fotoshootings mache ich selten. Da bin ich nicht so wild drauf.
Apropos Geld: Kürzlich wurde bekannt, dass YB sein Frauen-Team abschieben möchte. Was sagen Sie dazu?
Das finde ich traurig. Es wäre ein riesiger Schritt rückwärts. Ich weiss nicht genau, was YB in den letzten Jahren alles mit seinen Millionen angestellt hat, aber allzu clever ist das Geld ja offensichtlich nicht investiert. Und dann als Erstes bei den Frauen sparen? So viel kostet ein Frauen-Team ja auch wieder nicht. Sogar Kriens kann sich ausländische Spielerinnen leisten. Es ist nur eine Frage des Interesses. Vielleicht müsste die Liga ein Zeichen setzen und bei Super-League-Teams ein Obligatorium für Frauenteams einführen.
Unterstützen Sie eigentlich das Männerteam von Lyon auch?
Ja sicher. Ich gehe sehr gerne ins Stadion. Also ich bin nicht fanatisch, aber ich freue mich, wenn es ihnen gut läuft.
Wie ist es umgekehrt? Schauen die Männer auch Frauen-Spiele?
Der eine oder andere kommt manchmal. Und einmal mussten sie alle! Plötzlich sass die ganze Mannschaft gleichzeitig auf der Tribüne. Das fand ich süss (lacht).
Im Juni steht die WM der Männer an. Welche Prognosen stellen Sie den Schweizern?
Es liegt sicher etwas drin! Aber eigentlich ist für mich nur eines wichtig: dass die Schweiz Frankreich schlägt.
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