Vielleicht geht es Thomas Müller beim Toreschiessen wie einer Ketchupflasche: Zuerst kommt lange nichts, dann alles auf einmal. Vier Mal hat Deutschland bei dieser EM gespielt und dabei sechs Tore geschossen, Müller aber keines. In den beiden ersten Partien gegen die Ukrainer und Polen war er noch nicht einmal zu Torchancen gekommen, etwas, das bei ihm sonst kaum vorkommt.
Das hat sogar ihm, der Frohnatur, zu denken gegeben. Gegen Nordirland dann ist er zu vier hochkarätigen Möglichkeiten gekommen, aber Latte und Pfosten haben das Erfolgserlebnis verhindert. «Da war auch ein bisschen Pech dabei», hat Müller gesagt. Und im Viertelfinal gegen die Slowakei wieder kein Tor erzielt. «Ich mache mir deswegen keinen Kopf», sagt Müller. Er weiss, wie eine Ketchupflasche funktioniert.
Müller kennt das Metièr
Mit 26 Jahren ist er zwar noch lange kein Senior, doch mit 75 Länderspielen und 229 Bundesligapartien erfahren genug, um zu wissen, wie der Hase läuft. Dass er in 13 WM-Einsätzen 10 Mal getroffen hat, in 9 EM-Partien aber noch kein einziges Mal, beschäftigt ihn nicht. Sagt er zumindest. Und bekommt Unterstützung. «Müller arbeitet eben enorm viel nach hinten», sagt Mats Hummels.
Er muss es wissen, bekommt er es doch als Innenverteidiger sofort zu spüren, wenn die Offensivabteilung ihre Defensivpflichten vernachlässigt. Coach Jogi Löw, der im EM-Halbfinal 2012 gegen Italien seinen bisher vielleicht grössten Fehler gemacht hatte, als er Müller auf die Bank setzte, sagt: «Ich bin maximal zufrieden mit ihm. Seine Laufwege bringen den Gegner in Schwierigkeiten und eröffnen unserer Mannschaft mehrere Optionen. Das macht ihn so wertvoll.»
Aber nicht nur das. Müller ist auch für das Innenleben der Mannschaft von grosser Bedeutung. Alle mögen Müller und Müller kommt mit jedem gut aus. Was nicht bedeutet, er sei mit allen immer nur lieb. Wenn ihm etwas nicht passt, dann spricht er Klartext. Stürmer Mario Gomez hat von Müller lautstark zu hören bekommen, was er anders machen muss. Weil Müller aber alle mögen, gibt es dann auch nie Zoff.
Aber meistens ist Müller fröhlich. «Er ist die lustigste und originellste Tormaschine, die der deutsche Fussball je produziert hat», schrieb die «FAZ» und zitierte Müller mit dem Karl-Valentin-Satz: «Ich freue mich, wenn es regnet, denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch.» Müller sagt, er sei mit seinen Turnierleistungen zufriedener, als viele denken. Viele denken, mein Lebensglück hänge davon ab, wie viele Tore ich schiesse und glauben mir nicht, wenn ich sage, dass dem nicht so ist.» Aber klar sei er noch immer gierig auf Tore.
Ende der Flaute
Es könnte aus deutscher Sicht keinen besseren Zeitpunkt für Müller geben, seine Torflaute zu beenden. Noch nie in acht Turnierspielen hat Deutschland gegen Italien gewonnen, vier Mal gab es ein Unentschieden. «Statistiken interessieren mich nicht», sagt Müller. Er habe die Italiener gegen Belgien nicht so stark gesehen, wie ihre Leistung nachher beschrieben worden sei. Gegen Spanien hätten sie offensiv gut ausgesehen, aber er habe noch nie etwas mit dem Klischee anfangen können, die Italiener könnten nur defensiv spielen.
«Pellè ist vorne ein Fixpunkt und Eder sehr schnell. Aber wir sind reifer und geschlossener als 2012, der Kern der Mannschaft ist ja seit 2010 zusammen», sagt Müller, der von Löw von der Flügelposition wieder ins Zentrum versetzt worden ist. Eine Position, die es ihm leichter macht, wieder einmal zu treffen. In einer Umfrage einer deutschen Sportzeitung haben 64 Prozent darauf getippt, dass Müller Torschützenkönig wird. Das kann er immer noch werden, falls die Ketchupflasche endlich zu flutschen beginnt.
Der Prophet gilt nichts im eigenen Land. Dieser weise Spruch aus dem Buch der Bücher könnte man auf die Fussballerkarriere von Graziano Pellè beziehen. Den 1985 unweit von Lecce geborenen Apulier hatte bis vor kurzem in seiner Heimat niemand auf dem Radar. Wie auch, wenn einer in der Serie-A bisher ein einziges Tor geschossen hat?
Zu Beginn der Karriere verdient sich Pellè sein Salär mehrheitlich in der Provinz bei Lecce, Catania, Crotone oder Cesena. Italienische Serie-B mit wenig Medienaufmerksamkeit, wo die knüppelharten Verteidiger meist ungestraft ihre Blutgrätschen auspacken. Die glückliche Fügung will es, dass Pellè 2007 bei der U21-EM in Holland einem gewissem Louis van Gaal auffällt. Dieser holt den Schlacks 2007 zum AZ Alkmaar in die holländische Ehrendivision, und damit in die Heimat von Pellès Jugendidol Marco van Basten.
Kein Transfer ins Rampenlicht, aber unter dem harten Schleifer lernt Pellè einiges mehr als in den Niederungen der zweiten italienischen Liga. 2009 wird der Provinzverein überraschend holländischer Meister. Doch nach dem Abgang des «Generals» zu Bayern München verliert Pellè seinen Stammplatz. Er kehrt nach Italien zurück, wird jedoch weder bei Parma noch bei Sampdoria Genua glücklich.
Von Prandelli trotz 57 Toren verschmäht
Zum grossen Sprungbrett wird 2012 wieder ein Transfer in die Niederlande. Bei Feyenoord Rotterdam kommen die physischen Fähigkeiten des 1,95 Meter grossen Mittelstürmers erst richtig zur Geltung. Pellè wird zum Publikumsliebling und schiesst in zwei Saisons 57 Tore. Offensichtlich reicht das immer noch nicht. Italiens Nationaltrainer Cesare Prandelli verzichtet sowohl an der EM 2012 als auch an der WM 2014 auf Pellè – ja bietet ihn nicht mal für ein Testländerspiel auf.
Als Feyenoords Trainer Ronald Koeman 2014 zu Southampton wechselt, nimmt er seinen Torjäger mit. Ins Scheinwerferlicht der «Premier League» gerückt, erinnert man sich in Italien endlich an den verlorenen Sohn. Der neue «Commissario tecnico» Antonio Conte sieht im physisch robusten Pellè den idealen Spielertyp für sein schnelles Umschaltspiel, in welchem der Zentrumsstürmer die langen, hohen Pässe herunterholen und auf die aufgerückten Mitspieler verteilen soll. In der Ära Conte ist Pellè Stammspieler und mit einer Bilanz von 7 Toren in 16 Einsätzen äusserst effizient.
Kongeniales Duo mit Eder
Dank seinen zwei EM-Toren stürzen sich nun alle auf ihn. Der römischen Tageszeitung «Repubblica» erzählte sein Vater stolz, wie der Sohnemann einst mit 11 Jahren einen lokalen Tanzwettbewerb im Salento gewann. Dies sei der Grund, warum sich Pellè trotz imposanter Länge so grazil auf dem Platz bewege. In einer anderen Episode erzählt Signor Roberto, dass im Elternhaus des Öfteren mal eine Vase oder eine Scheibe zu Bruch ging, weil Klein-Graziano mit Zitronen, Orangen oder Äpfeln jonglierte und die Möbel als Zielscheibe verwendete.
Für die Boulevardmedien ist der «Bello» sowieso ein gefundenes Fressen. Seine ungarische Freundin Viktoria, die im Stadion mit einer Plastikpuppe ihres «Fidanzato» posiert, lernte er über Facebook kennen. Bisher hatte die Blondine und mit ihr alle Tifosi nur Grund zum Jubeln. Pellè und der eingebürgerte Brasilianer Eder bilden beim vierfachen Weltmeister ein kongeniales Sturmduo. Vor vier Jahren hiess Italiens Traumpaar Cassano und Balotelli, welches im EM-Halbfinal für den 2:1-Sieg gegen Deutschland verantwortlich war. Gut möglich, dass es dank Pellè und Eder auch heute Abend gleich herauskommt.
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