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Mountainbikerin Jolanda Neff – Vom Hörsaal zum WM-Triumph

Zürich Wiedikon, am Fusse des Üetlibergs. Zwischen urbaner Genossenschaftsidylle und rauer Wildnis. Jolanda Neff empfängt im Hotel Atlantis eine handverlesene Gästeschar zum «Weltmeisterin-Zmorge».

Die 24-Jährige ist entspannt und gelöst: «Willkommen – geniesst das wunderbare Frühstücks-Buffet.»

Neff trägt eine dunkle Bluse und eine Brille mit schwarzen Rändern. Ins Auge stechen aber vor allem die goldenen Hosen. Es ist die Farbe der Saison. Vor Monatsfrist gewann sie im australischen Cairns den WM-Titel im Cross-Country. Es war der mit Abstand wichtigste Sieg ihrer Karriere.

«Letztlich ist alles perfekt aufgegangen», erzählt sie. «Aber als es mir im Frühling überhaupt nicht lief, musste ich mich zu Ruhe und Geduld ermahnen.»

Ereignisreiche Monate

Neff blickt auf ereignisreiche Monate zurück. Vor Jahresfrist nahm sie an der Universität Zürich ein Geschichtsstudium (mit Französisch und Englisch im Nebenfach) auf. Einige Monate später wechselte sie als Sportlerin zum Kross-Team aus Polen.

Es waren Schritte, die da und dort auch Skepsis auslösten: Lässt sich ein Studium mit Spitzensport verbinden? Und ist die St. Gallerin bei einem polnischen Arbeitgeber gut aufgehoben?

Zwölf Monate später sind alle Zweifel vom Tisch: «Ich wünschte mir nur, dass ich noch mehr trainieren und noch mehr Zeit an der Universität verbringen könnte», sagt Neff. Sie spricht mit dem lockeren Charme und der Eloquenz einer Geschäftsfrau.

Gleichzeitig vermittelt sie ein freundschaftliches, ja fast familiäres Gefühl: Sie dankt ihren Eltern Sonja und Markus, die auch ihre Trainer sind, für die jahrelange Unterstützung. «Ohne euch wäre das nie möglich geworden.»

Erfrischend normal

Neff legt Wert auf Normalität. Und sie wirkt in der oft überhitzten Welt des Spitzensports erfrischend normal. An der Universität wussten die Mitstudenten anfänglich nicht, wer mit ihnen im Hörsaal sitzt.

«Ich geniesse es, über Alltägliches und Schulisches zu sprechen», erzählt sie. Doch irgendwann wurde die Undercover-Athletin enttarnt: «Eine Kollegin sprach mich plötzlich darauf an, dass ich ja ziemlich intensiv Velo fahre.»

Ziemlich intensiv war zu Beginn der Saison aber nicht intensiv genug. Unter dem Studium litt der Trainingsaufwand – und damit die Form. Neff fuhr den Konkurrentinnen hinterher. Mitte Mai belegte sie im Weltcup abgeschlagen den 18. Platz: «Schlechter war ich nie.»

Es war ein Moment, der sie zweifeln liess: «Es wurde mir klar, dass ein Zweidrittelpensum an der Uni wohl zu viel ist.» Das Studium aufzugeben, war aber nie eine Option: «Ich brauche die Abwechslung und eine Herausforderung. Früher bin ich im Training die Lateinwörtchen durchgegangen, heute denke ich an mein Studium. Das erweitert den Horizont.»

Intensive Trainingsphase

Der Schlüssel zum WM-Titel lag jedoch nicht in der Universität – sondern in einer intensiven Trainingsphase im August. Neff verzichtete auf den Weltcup in Mont-Sainte-Anne und absolvierte stattdessen mit ihrem Vater Sondereinheiten: «Ich konnte so meine Form im wichtigsten Moment und frei von Wettkampfdruck gezielt nochmals aufbauen.»

Die Rechnung ging auf. Im August feierte Neff in Val di Sole ihren ersten Weltcup-Sieg der Saison, im September folgte die weltmeisterliche Krönung in Cairns.

Die sportlichen Leistungen sind umso höher einzustufen, als Neff die Fäden auch geschäftlich in der Hand hält. Auf ein professionelles Management verzichtet sie. Die Verhandlungen mit Sponsoren führt sie selber: «So kann ich vielleicht nicht den optimalen Vertrag herausholen.

Aber der persönliche Kontakt zu den Partnern ist mir sehr wichtig.» Erzählt Neff von ihrer Saison, benutzt sie gerne Sprachbilder, wie man sie sonst vor allem von kanadischen Eishockeytrainern kennt: «Race like a Phoenix» (Fahre wie der Wiedergeborene) sei das Motto der Saison gewesen – und immer habe sie sich dabei gesagt: «Erfolg ist keine Tür, sondern eine Treppe.» Bei der Erklärung verspricht sich Neff und muss über sich selber lachen.

Es sind jene Momente, in denen aus der knallharten Athletin und gewieften Geschäftsfrau eine normale Studentin und WG-Bewohnerin wird. Sie sei froh, dass mit der Snowboarderin Simona Meiler zufälligerweise noch eine andere Spitzensportlerin in derselben Wohnung lebe: «Dann wundert sich niemand, wenn ich auch bei Regen um 7 Uhr joggen gehe.»

Saisonhöhepunkt in der Lenzerheide

Das Training wird Neff schon bald wieder aufnehmen. 2018 findet mit der WM auf der Lenzerheide der Saisonhöhepunkt quasi vor der eigenen Haustüre statt. Neffs Horizont geht aber weiter – zu Tokio 2020:

«Olympische Spiele sind das grösste Ziel», sagt sie, um gleich zu relativieren: «Wenn ich in zwanzig Jahren auf meine Karriere zurückschaue, ist eine Medaille an der Wand sicher schön. Aber noch schöner ist es, Freunde und Freude zu haben». Doch dann muss sie zugeben: «Das beste Mittel, um Freude zu haben, ist es, Rennen zu gewinnen.»

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