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Fussball-Nati

Lucas Blondel: Der Neuling aus der Pralinéschachtel kriegt Saures, wenn er nach einer Niederlage sein Haus verlässt

Die fussballerische Heimat von Lucas Blondel ist der populärste Klub in Südamerika. Vor seinem Heimdebüt im Schweizer Natitrikot gewährt der Aussenverteidiger einen Einblick in den täglichen Wahnsinn in Buenos Aires.
Lucas Blondel ist mit 28 Jahren Schweizer Nationalspieler geworden.
Bild: Toto Marti/Freshfocus

Von Argentinien in die Schweiz. Vom wilden Fussballstil in Südamerika zum taktisch und technisch geprägten in Europa. Lucas Blondel macht in diesen Tagen auf mehreren Ebenen einen Kulturschock durch.

Am Dienstagabend, wenn er als Nationalspieler erstmals ein Schweizer Stadion betritt, dürfte ihm dieser nochmals bewusst werden: 7600 Tickets hat der Verband im Vorfeld für das Testspiel in St.Gallen gegen Luxemburg abgesetzt, es kündigt sich die tiefste Zuschauerzahl für ein Nati-Heimspiel seit November 2018 an, als etwas über 4000 Menschen in Lugano die Partie gegen Katar verfolgten.

Pelé hat über La Bombonera gesagt: «Ich habe in allen Stadien der Welt gespielt. Aber nur in diesem Stadion war mir, als würde die Erde beben.»
Bild: epa

Ob 7600, 8000 oder doch 9000, ist aus Blondels Sicht egal, der Kybunpark in St.Gallen könnte sogar bis auf den letzten Platz besetzt sein: Auch dann würde sich der 28-Jährige vorkommen wie an einem Kindergeburtstag. Seine Messlatte für eine eindrückliche Stadionkulisse könnte höher kaum liegen. Er ist zwei Jahre nach seinem Wechsel mittlerweile Stammspieler beim argentinischen Traditionsklub Boca Juniors.

Und dessen Heimstadion ist das legendäre «La Bombonera», auf Deutsch die Pralinéschachtel, im Hafenviertel von Buenos Aires. Alle zwei Wochen machen 54’000 Menschen aus jedem Heimspiel von Maradonas Heimatklub ein Ereignis. Der grosse Pelé hat einst gesagt: «Ich habe in allen Stadien der Welt gespielt. Aber nur in diesem Stadion war mir, als würde die Erde beben.»

«Kommen Sie nach Argentinien und erleben Sie es selber»: Lucas Blondel kann die Atmosphäre im Boca-Heimstadion nicht in Worte fassen.
Bild: Juan Roncoroni/epa

Auf die Frage, wie er selber denn die Atmosphäre im «La Bombonera» beschreiben würde, sagt Blondel: «Das kann ich nicht in Worte fassen. Kommen Sie nach Buenos Aires und erleben Sie es selber.»

Alles andere als ein typischer Nati-Neuling

Lucas Blondel ist kein typischer Nati-Neuling. Da ist sein Alter: Schon 28 ist er, obwohl er viel jünger wirkt. Da ist sein Aufwachsen: nur eine kurze Zeit nach der Geburt in der Schweiz, danach in Argentinien, wohin die Familie ausgewandert ist. Und da ist sein Arbeitgeber: Wenn wir Granit Xhaka oder Manuel Akanji, die zurzeit abwesenden Nati-Häuptlinge, als Schweizer Botschafter auf der Fussball-Weltbühne bezeichnen, müssen wir ab sofort auch Blondel in dieser Kategorie listen.

Das vielleicht berühmteste Stadion der Welt: die Boca-Heimstätte «La Bombonera» hat eine unvergleichliche Form.
Bild: Daniel Jayo/ap

Denn Boca ist nichts anderes als eine Weltmarke: Rund 320'000 Mitglieder, nur drei Vereine auf dem Globus haben mehr. Davide Callà, der neue Assistenztrainer im Nationalteam, wurde gefragt, inwiefern sich Blondel anpassen müsse an den europäischen Fussballstil – seine Antwort war: «Ich glaube nicht, dass Blondel sich uns anpassen muss, sondern wir ihm. Er kommt von einem der grössten Klubs der Welt.»

Als sich Blondel am vorletzten Sonntag direkt im Anschluss an ein Heimspiel mit Boca auf den Weg zur Schweizer Nati machte, filmte eine lokale TV-Anstalt, wie er auf der Rolltreppe zum Gate fuhr. Blondel winkte schüchtern in die Kamera. Fast so, als würde er sich entschuldigen dafür, den Kosmos «Boca» für einige Tage zu verlassen.

Seit 2023 steht Lucas Blondel bei Boca Juniors unter Vertrag.
Bild: Juan Manuel Baez/Imago Images

Heisses Pflaster Buenos Aires

Das ist natürlich Quatsch, im Gegenteil: Laut Blondel gehe für ihn mit dem Aufgebot für die Schweizer Nationalmannschaft ein seit langem heimlich gehegter Traum in Erfüllung. Der sanfte Blick und die ruhige Stimme sind Ausdruck seines ruhigen Charakters. Eine Unaufgeregtheit, die ihm im Alltag zugutekommen dürfte.

Er erzählt: «Für die meisten Menschen in Argentinien gibt es nur Fussball, sie denken 100 Prozent ihrer Zeit daran. Die Fans von Boca sind überall im Land, wo wir an Spiele reisen. In Buenos Aires kann ich nicht durch die Stadt spazieren, nicht mal mein Haus verlassen. Es ist sehr schwierig mit der Privatsphäre. Nach einer Niederlage kann es draussen sogar gefährlich werden für mich.»

Dazu passt auch Blondels Antwort auf die Frage eines welschen Reporters, ob er Blondel in Buenos Aires besuchen könne: «Du kannst schon kommen. Aber wenn wir verloren haben, kann ich dir kein Interview geben. Das würden die argentinischen Medien nicht akzeptieren.»

Maradona im Boca-Leibchen: Die verstorbene Fussballlegende startete und beendete seine Karriere in «La Bombonera».
Bild: Cezaro De Luca/epa

Im Vorfeld seines Nati-Debüts am Freitag in Nordirland (1:1) wollten wir von Blondel auch wissen, ob er als Fussballer irgendwann nach Europa wechseln möchte, vielleicht sogar in die Schweiz, wo sein Vater, ein Tennislehrer aus Neuenburg, mittlerweile wohnt.

Blondel ist sichtlich überrascht von der Frage – und sagt: «Ich bin bei Boca, ich kann nicht an andere Klubs denken. Für Boca zu spielen, ist ein Privileg, aber genauso eine Verpflichtung. Als vor zwei Jahren der Anruf kam, schloss ich die Augen und musste tief durchatmen. Boca – c’est la folie!»

Bevor er am Mittwoch wieder eintaucht in den Boca-Kosmos, will er sich bei Murat Yakin für weitere Nati-Aufgebote empfehlen. Diese dürften ihm sicher sein, zeigt er gegen Luxemburg den Offensivdrang und die Zweikampfhärte, die ihm einen Vertrag beim Weltklub aus Buenos Aires beschert haben.

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