Die Nachricht ist ein Schock für Lara Gut-Behrami und die Ski-Schweiz. Die schlimmsten Befürchtungen nach ihrem Trainingssturz von letzter Woche in den USA haben sich bestätigt. Ihr linkes Knie erleidet einen Totalschaden. Kreuzbandriss, Innenbandriss, Meniskusriss.
Am Mittwochabend erhält Gut-Behrami die niederschmetternde Diagnose. Damit ist klar: Sie wird in der kompletten Saison 2025/26 keine Rennen mehr fahren können. Und vor allem: Sie verpasst die Olympischen Spiele 2026 im nächsten Februar in Mailand/Cortina. Diese waren ihr letztes grosses Karriereziel.

Wie geht die 34-jährige Tessinerin damit um? In einer ersten Reaktion lässt sie verlauten: «Ich hatte mir die nächsten Monate ganz anders vorgestellt und mich sehr auf die weitere Skisaison gefreut.» Daraus wird nun nichts. Aber, so bitter die Verletzung für sie auch ist, Gut-Behrami mag nicht klagen, sondern fügt an: «Wir haben in letzter Zeit dramatische Ereignisse erlebt in unserem Sport, tödliche Unfälle junger Athletinnen und Athleten. Ich bin der Meinung, dass eine Knieverletzung, so komplex sie auch sein mag, nicht als Tragödie betrachtet werden kann.»
Seit dem Sturz lautet die grosse Frage: Bedeutet die Verletzung auch das Ende der Karriere? Schliesslich stellte Gut-Behrami bereits vor der WM 2025 klar: Diese Saison ist die letzte. Allerdings betonte sie auch bereits mehrfach, dass sie nicht fremdbestimmt – also wegen einer Verletzung – aufhören will.

Gut-Behrami mag diesen Entscheid noch nicht fällen. Sie sagt: «Mein Ziel ist, mich vollständig von dieser Verletzung zu erholen und wieder meine volle Leistungsfähigkeit zu erreichen. Erst dann werde ich wissen, was die Zukunft für mich bereithält.» Einen etwas detaillierteren Einblick in ihre Gedanken gibt Lara Gut-Behrami am Freitagmittag.
Dann tritt Gut-Behrami im Rahmen einer Veranstaltung der Schweizer Firma Ka-ex auf. Sie wird online zugeschaltet und über ihre Situation sprechen. Fragen von Medienschaffenden sind allerdings nicht erwünscht. Nur die von der Firma engagierte Moderatorin ist befugt dazu – schliesslich soll die PR nicht allzu sehr von Gesundheitsfragen verdrängt werden.
Bei Ka-ex hat sich Gut-Behrami in diesem Frühling als Investorin eingekauft. Und ist als strategische Beraterin tätig. Die Firma wurde bekannt dank ihrem Getränk, das dem Körper hilft bei der Regeneration nach Alkoholgenuss – oder auch: nach sportlichen Höchstleistungen.
Mit dem Engagement hat Gut-Behrami ihre Karriere nach dem Sport aufgegleist. Doch nun steht die Genesung ihres Körpers an erster Stelle. Sie wird in der nächsten Woche operiert. Die Rehabilitation danach dauert mindestens sechs Monate. Je nach Verlauf auch neun Monate.
Zweiter Kreuzbandriss in ihrer Karriere
Es ist der zweite Kreuzbandriss in Gut-Behramis Karriere. 2017 zog sie sich die Verletzung beim Einfahren für den Kombinationsslalom an der Heim-WM zu. Auch damals war das linke Knie betroffen. Seither blieb Gut-Behrami von schweren Stürzen verschont.
Es wäre eine schöne Pointe, wenn nun die nächste Weltmeisterschaft in der Schweiz, 2027 in Crans Montana, zehn Jahre nach St.Moritz, für Gut-Behrami eine Motivation darstellt, um ihre Karriere doch noch einmal zu verlängern. Wobei solche Überlegungen derzeit völlig verfrüht sind. Indem sie sich den Entscheid über ihre Zukunft offenlässt, gewinnt Gut-Behrami aber Zeit. Das ist richtig und clever. Wer weiss schon, wie sich die eigenen Gedanken während einer Verletzungspause entwickeln.

Beat Tschuor, der Cheftrainer der Schweizer Frauen, erzählt, dass Gut-Behrami die Situation «angenommen» habe und mit jedem Tag «gefasster» wirkt (siehe Interview unten). Gut-Behrami hat mehrfach dargelegt, wie glücklich sie über ihre bisherige Karriere ist. Sie hat ihre eigenen Erwartungen längst übertroffen. 48 Weltcup-Siege, neun WM-Medaillen (2x Gold), drei Olympia-Medaillen (1x Gold) und dazu zwei Siege im Gesamtweltcup sind eine eindrückliche Bilanz. Darum braucht sie nicht um jeden Preis einen märchenhaften Abschluss ihrer Karriere. Sie schaut und hört auf sich selbst – etwas beweisen muss und will sie niemandem mehr.
An einem ändert das nichts: Sie hinterlässt im Frauen-Team in dieser Saison eine riesige Lücke. Sie schulterte den Druck, für Spitzenplatzierungen besorgt zu sein, stets mühelos. Im Schatten ihrer Top-Resultate fielen manch andere enttäuschende Leistungen etwas weniger auf. Dieser Schatten ist nun weg.
Die Karriere von Lara Gut-Behrami in Bildern:
Interview mit Frauen-Cheftrainer Beat Tschuor über die Verletzung von Lara Gut-Behrami
Der Cheftrainer der Schweizer Frauen, Beat Tschuor, flog am Donnerstag von Zürich nach Denver. Im nahen Copper Mountain finden in diesen Tagen Skirennen statt. Kurz vor Boarding spricht Tschuor in einer virtuellen Medienrunde über die Verletzung von Lara Gut-Behrami.
Wie haben Sie Lara Gut-Behrami in den letzten Tagen erlebt?
Beat Tschuor: «Wir haben uns regelmässig ausgetauscht per Telefon. Mit jedem Tag hat sie gefasster gewirkt. Sie hat die Situation angenommen, wie sie ist.»
Können Sie sich vorstellen, dass Lara Gut-Behrami ihre Karriere tatsächlich fortsetzen wird?
«Das Allerwichtigste ist, dass Lara ihren Körper wieder in einen gesunden Zustand bringt. Wie es danach weitergeht, ist ein persönlicher, privater Entscheid. Dass sie die Türe für eine Rückkehr offenlässt, werte ich als positives Zeichen. Ich bin keineswegs überrascht davon. Ihr Mindset ist seit jeher nach vorne orientiert. Sie hat in den vergangenen Monaten auch viel über die Gesundheit gesprochen, respektive dass sie ihre Karriere gesund beenden will.
Wie hat das Team die Verletzung von Lara Gut-Behrami aufgenommen?
«Es hat ein gewisser Schockzustand geherrscht. Das ist logisch. Vor allem unmittelbar, als der Unfall passierte. So etwas geht nie spurlos an einem vorbei. Der Sport kann gnadenlos sein. Es passieren Dinge, die nicht vorhersehbar sind. Gleichzeitig müssen wir auch vorwärts schauen. Wir werden Lara auf dem Weg zurück eng begleiten. Und gleichzeitig versuchen, als Team den Unfall schnellstmöglich hinter uns zu lassen.
Was fehlt, wenn Lara Gut-Behrami ausfällt?
«Sie fehlt nicht nur als Athletin, sondern auch als Mensch. Sie ist eine Leaderin. Ein Vorbild für alle. Insbesondere die Jungen können sich so viel von ihr abschauen. Es reicht, ihr einfach zuzuschauen, um zu lernen. Ein paar Beispiele: Wie organisiere ich mich perfekt? Wie nutze ich die Tage effizient? Wann erhole ich mich? Wie pflege ich den Körper? Ihre extreme Professionalität hat alle weitergebracht.»

Kommentare
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien, die Kommentare werden von uns moderiert.
Zu diesem Thema wurden noch keine Kommentare geschrieben.