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Schwing-Rookie

Ich war noch nie an einem «Eidgenössischen » – etwas hat mich beim ersten Mal überrascht

Warum stehen Menschen stundenlang vor dem Gabentempel an? Trinken Schwingfans wirklich so viel, wie man hört? Unsere Autorin warf sich zum ersten Mal ins Schwingfest-Getümmel – und traf nur friedliche Leute an.
«Ohne sie wäre das Esaf nur halb so schön», sagt eine Besucherin über die Ehrendamen am Eidgenössischen Schwing- und Älplerfest.

«Wow, mega schön!» Die Frau zückt das Handy. Der Eröffnungsumzug des Eidgenössischen Schwing- und Älplerfests zieht vorbei, gerade schreiten die Einscheller vom Verein Grosstal Näfels mit ihren ohrenbetäubenden Treicheln Richtung Festgelände. Muskulös, kräftig, Natur pur. Doch die Frau hat nur Augen fürs Panorama: den wolkenumspielten Glärnisch. Es sieht nach Regen aus, doch das stört sie nicht. Der Berg wirkt mystisch, typisch Glarnerland – und die Frau lächelt, als sie das Foto schiesst.

Dieses Lächeln, es soll mir in diesen Stunden, meinen allerersten an einem Schwingfest, noch viele Male begegnen.

Zum Beispiel bei Marianne und André aus Brunegg AG. Sie stossen bei einem der vielen Stände mit Weisswein an. Sie sind nicht die Einzigen. Die Leute trinken, bloss eine Stunde nach der Eröffnung, um 11 Uhr. Drängen sich vor dem Stand von Aigle les Murailles, um wie Marianne und André ein Glas zu ergattern.

Ein erstes Klischee in meinem Kopf bewahrheitet sich: Schwingfans trinken gerne, meistens auch viel. «Deshalb sind wir mit dem Zug angereist, dann ist das kein Problem», sagt Marianne. Zum Schwingen in der Arena seien sie nicht dabei, sie hätten das bereits in Aarau und Frauenfeld erlebt: «Ich war schon an Konzerten von Madonna und Céline Dion, aber das toppt alles, sagenhaft.»

Ihm reiche es, die Stimmung auf dem Gelände zu geniessen, ergänzt André: «Man feiert friedlich mit- und nebeneinander.» Das wird mir Tina Wintle, Mediensprecherin des Esaf, später auch bestätigen: Der erste Tag sei ohne nennenswerte Zwischenfälle über die Bühne gegangen. Alles friedlich, alles okay.

Kriege, Klimawandel, Krisen überall: Die Welt spielt verrückt. Aber das alles, da hat André aus Brunegg schon recht, scheint auf dem Flugplatz in Mollis weit, weit weg. Ein Paralleluniversum, wo die Menschen Ländlermusik als Klingelton haben. Wo man vor dem Gabentempel ohne Murren eine Stunde lang ansteht, um einen Blick auf die vielen Preise, die auf die Schwinger warten, zu erhaschen.

Ellenlange Warteschlange vor dem Gabentempel.

Dass man sich dafür in Geduld übt, erschliesst sich mir als Schwing-Rookie nicht. Ich hätte ja diesen 10'000-Franken-Migros-Gutschein auch gerne, oder diese sündhaft teure Matratze von Riposa. Aber sie sind unerreichbar. Brigitte aus Zug hat eine Erklärung: «Es ist die Neugier, die Preise sind der Wahnsinn. Das will man gesehen haben.»

Spektakulär: Fallschirmaufklärer der Armee liefern den Holzhammer, mit dem das Bierfass zur Eröffnung des Esaf angestochen wird.

Brigitte hält inne, blickt in Richtung Himmel. Die Menschen juchzen, die Fallschirmaufklärer der Armee sind im Landeanflug. So spektakulär, dass auch ich lächeln muss. Im Gepäck: ein Hammer, den sie dem OK-Präsidenten des Esaf, Köbi Kamm, für den Festbieranstich direkt neben Muni Max überreichen werden. «Das ist tatsächlich hammermässig», entfährt es Kamm bei diesem Anblick.

Prost: OK-Präsident Köbi Kamm, links, und Hansruedi Hauser, Präsident Trägerverein Esaf, stossen an zur Eröffnung des Eidgenössischen Schwing- und Älplerfests.

Später, bei der Fahnenübergabe im Garten des Freulerpalasts in Näfels, wirkt Kamm plötzlich ein wenig wehmütig. Er freue sich, nach 15 Jahren Arbeit sei endlich der Moment gekommen, an dem das Esaf eröffnet werde. «Gleichzeitig ist es auch schade, jetzt geht alles so schnell vorbei.» Kamm sagt, das seien jetzt schon die drei «schönste Dääg» seines Lebens, in Anlehnung wohl an die Basler Fasnacht. Thomas Weber, OK-Präsident des Esaf 2022 in Pratteln BL, der in der Nähe von Kamm steht, lächelt.

Benjamin Mühlemann, FDP-Ständerat aus Mollis.

Während Kamm weitersinniert, entdecke ich Benjamin Mühlemann, der sich diskret im Hintergrund hält. Der FDP-Ständerat ist gerade in aller Munde, er kandidiert zusammen mit Susanne Vincenz-Stauffacher für das Präsidium der FDP. Für den Glarner ist dieser Tag ein ganz besonderer. Vor mehr als 20 Jahren waren wir Kommilitonen in Winterthur, und schon damals hat Mühlemann mir, von Heimweh geplagt, immer wieder ganz stolz gesagt: «Das Glarnerland ist das schönste Fleckchen auf der Erde.»

Ein Symbol für das Miteinander

Ja, heute sei er besonders stolz, es sei ein wahrgewordener Traum, dass das Esaf in seinem Heimatdorf stattfinde, sagt Mühlemann. «Dieses Fest und auch der Muni Max, an dem so viele Unternehmen mitgearbeitet haben, symbolisieren für mich, dass Gutes nur durch ein entschlossenes Miteinander entstehen kann.» Es berühre ihn, dass am Esaf Menschen aller Couleur ein fröhliches, unbeschwertes Fest hätten. «In der heutigen Zeit keine Selbstverständlichkeit mehr und umso wichtiger», sagt Mühlemann.

Nach der Fahnenübergabe zieht die Gesellschaft an uns vorbei, von den Fahnenträgern über die Musikgesellschaft Pratteln, die einen Marsch anstimmt, bis hin zu den Ehrendamen. Ein klischiertes, aufgehübschtes Bild, das sich da auftut. Die Frauen tragen wunderbare Trachten, sie bewegen sich kerzengerade, ihr Lächeln: perfekt. Sie repräsentieren, nichts weiter. Und die Männer packen in der Arena an.

Ein bisschen ärgert mich das. Quatsch, belehrt mich eine Zuschauerin, den Ehrendamen komme eine wichtige Aufgabe am Eidgenössischen zu, «ohne sie wäre ein Schwingfest nur halb so schön». Es sei für den Schwingerkönig jeweils das Grösste, von den Ehrendamen mit dem Eichenkranz gekrönt zu werden. «Die Schwingerwelt ist halt eine andere Welt, und das ist gut so.»

Augenweiden: die Ehrendamen des Esaf 2025. In der Mitte und rechts ist die Neue Glarner Kirchentracht zu sehen.

Und was macht eigentlich Vreni Schneider am Esaf? Als Botschafterin feiert die ehemalige Ski-Legende und Parade-Glarnerin aus Elm an vorderster Front mit, ihre Skischule fährt mit einem Wagen am Festumzug auf. Dort steht sie und lächelt den Menschen zu, winkt rundherum, und dann strahlt sie uns an: «Ich habe dermassen auf diesen Event hingefiebert, und wie das jetzt alles läuft: unglaublich toll. Ein grosser Dank allen Helferinnen und Helfern», sagt sie.

Die Hoffnung von Vreni Schneider

Sie feiere das Esaf, weil hier noch Traditionen, das Einfache, das Gemütliche Platz hätten. Und sie feiere die Anwohner: «Die Gastfreundschaft, das sieht man hier in Mollis ganz stark, wird gelebt. Ich hoffe, alle Besucher registrieren das – und kommen irgendwann ins Glarnerland zurück.»

Vreni Schneider mit Mitgliedern ihrer Skischule.

Sie lächelt wieder auf ihrem Wagen, sie winkt, und sie lächelt. Und kaum kommt das «Goldvreneli» ins Blickfeld, zücken die Menschen ihre Handys – und lächeln mit ihr mit.

An diesem Tag werde ich noch vielen weiteren Menschen begegnen, die knipsen, bis der Speicher voll ist. Ich mache da kräftig mit. Wir alle nehmen die Erinnerungen im Handy mit nach Hause, für die Zeit nach dem Fest. Wenn die verrückte Welt, die Realität, uns wieder einholt.

Autorin Rahel Empl ist Baslerin. Sie zog 2023 ins Glarnerland. Sie dachte sich: Wenn mal an ein Esaf, dann jetzt.

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