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Fussball, WM22, Interview

Am 24. November startet die Schweizer Nationalmannschaft gegen Kamerun zur umstrittenen Fussball-WM in Katar. Das Team wähnt sich in Topform und gibt sich entsprechend selbstbewusst - ganz im Sinne von Nationaltrainer Murat Yakin, der sagt: "Ich bremse niemanden mit hohen Erwartungen. Ich trage diese gerne mit. Wir sind auch gut genug, um Brasilien zu schlagen."

Am 24. November startet die Schweizer Nationalmannschaft gegen Kamerun zur umstrittenen Fussball-WM in Katar. Das Team wähnt sich in Topform und gibt sich entsprechend selbstbewusst - ganz im Sinne von Nationaltrainer Murat Yakin, der sagt: "Ich bremse niemanden mit hohen Erwartungen. Ich trage diese gerne mit. Wir sind auch gut genug, um Brasilien zu schlagen."

Die Nebengeräusche aufgrund der gekauften WM und missachteten Menschenrechte gehen auch an Yakin nicht vorbei. Doch der Nationalcoach will sich auf seine sportlichen Aufgaben fokussieren. "Je mehr wir uns über dieses Thema äussern, desto mehr lenkt es uns ab", sagt er im Interview.

Murat Yakin, was braucht es, damit Sie nach der WM von einem zufriedenstellenden Turnier sprechen werden? Ist der Achtelfinal genug angesichts der schwierigen Gruppe mit Brasilien als WM-Topfavorit und einem starken Serbien?

"Man darf nie vergessen, dass sich auch die Gegner ernsthaft Gedanken über uns machen. Wir haben uns mittlerweile ein Standing erarbeitet, wo sich auch eine Mannschaft wie Brasilien intensiv mit uns befasst. Trotzdem freut es mich, dass unsere Spieler eine Vision haben. Ich bremse niemanden mit hohen Erwartungen. Ich trage diese gerne mit. Wir sind auch gut genug, um Brasilien zu schlagen."

Von aussen betrachtet hat das Nationalteam genau zum richtigen Zeitpunkt seine Topform erreicht und präsentiert sich als verschworene Einheit. Was für ein Plan steckte dahinter?

"Nach der erfolgreichen WM vor meiner Übernahme herrschte eine Euphorie. Mein Job war es in erster Linie, den Schwung mitzunehmen und den rollenden Zug mit kleinen Elementen weiter zu beschleunigen."

Wie gelang es?

"Es ging mir darum, die Mannschaft weiter zu stärken, insbesondere für solche Spiele, die auf der Kippe sind. In solchen Momenten musst du dich sicher fühlen. Dabei helfen die vorher gemachten Erfahrungen. Wenn du weisst, dass du solche Spiele in der Vergangenheit gewonnen hast und du dich zu hundert Prozent auf deine Mitspieler verlassen kannst, gibt dir das ungemein viel Ruhe und Sicherheit in solchen Phasen. Die Siege gegen Spanien und Portugal in der Nations League sowie gegen Frankreich an der EM sind dabei lauter Puzzlestücke. Wie auch die Erfahrungen aus dem Penaltyschiessen gegen Spanien im EM-Viertelfinal. Gleichzeitig ist mir bewusst, dass die WM noch einmal ein anderes Paar Schuhe ist. Da hat man es mit ganz anderen Begebenheiten zu tun."

Im letzten Gruppenspiel trifft die Schweiz wie 2018 auf Serbien - eine sehr emotionale Angelegenheit für Granit Xhaka und Xherdan Shaqiri, die kosovo-albanische Wurzeln haben und deren Familien durch den Krieg zwischen Serbien und Kosovo geprägt sind. Vor vier Jahren in Russland gipfelte die Begegnung wegen des Schweizer Torjubels in der sogenannten "Doppeladler-Affäre". Wie gehen Sie das heikle Thema an?

"Wir machen unsere Hausaufgaben, sehr proaktiv und mit individueller Vorbereitung. Es soll in diesem Spiel einzig und allein um Sport gehen und nicht um Politik. Und ich wünsche mir, dass dies alle Beteiligten so sehen."

Das ist leicht gesagt.

"Ja. In einem Spiel, in dem die Emotionen noch geladener sind als ohnehin auf dem Platz, lassen sich Ängste und Gefühle schwer aufhalten. Leute, die das selbst nicht erleben, können das nur schwer nachvollziehen."

Normalerweise werden Emotionen vor Spielen bewusst geschürt. Wie handhaben Sie es in diesem Fall?

"Wenn ich in der Vorbereitung zu stark auf einen Spieler einwirke, laufe ich Gefahr, ihn auszubremsen. Das Wichtigste ist, dass wir uns alle auf unsere sportliche Aufgabe fokussieren mit dem Ziel, dieses Spiel zu gewinnen. Ich erwarte von jedem Vollgas, genauso wie sonst in jedem Spiel."

Ist es allein die Erfahrung, die einen für solche und andere grosse Spiele gewappnet macht? Oder lässt sich manches antrainieren?

"Einiges haben wir uns sicher antrainiert. Die Intensität zum Beispiel, die es auf diesem Level braucht. Das konnten wir uns von anderen Mannschaften abschauen. Auch wurde die Mannschaft durch die Transfers der Spieler reifer. Jeder Transfer zu einem Topklub stärkt das Selbstvertrauen. Ein Manuel Akanji, der zu Manchester City wechselt und dort viel spielt, kann unserer Mannschaft noch mehr geben. Ein Granit Xhaka in Topform bei Arsenal ebenso, wie ein formstarker Breel Embolo bei Monaco, ein Yann Sommer in dieser Verfassung oder, was oft ein bisschen untergeht, ein Djibril Sow als Europa-League-Sieger mit Frankfurt. Hinzu kommen Silvan Widmer und Ricardo Rodriguez als Captains bei Mainz und Torino und Fabian Schär mit einer tollen Saison in Newcastle. Das alles gibt Selbstvertrauen und steigert die Erwartungen auch innerhalb der Mannschaft. Ich sehe diese Konstellation als glückliche Fügung."

Früher gab es im Nationalteam den Röstigraben, dann die von den Medien als "Balkangraben" betitelte Spaltung zwischen Secondos und sogenannten "richtigen Schweizern". Und jetzt?

"Früher war das tatsächlich so, das habe ich ja selber erlebt. Heute sehe ich nichts mehr dergleichen. Die Nationalspieler respektieren sich jetzt alle und gönnen sich den Erfolg gegenseitig. Ich glaube, die aktuelle Generation kennt so etwas gar nicht mehr. Das Thema sollte deshalb nicht immer wieder neu aufgerollt werden."

Wie stehen Sie dazu, dass die Weltmeisterschaft in einem Land wie Katar stattfindet, in dem elementare westliche Grundwerte nicht gelten, Wanderarbeiter ausgebeutet werden und Homosexualität verboten ist?

"Für Beteiligte, die sich zu hundert Prozent auf den Sport fokussieren sollten, ist es extrem schwierig, sich politisch dazu zu äussern. Erstens haben wir uns den Austragungsort nicht selber ausgesucht, und zweitens ist es so, dass je mehr wir uns über dieses Thema äussern, desto mehr es uns ablenkt. Der Schweizerische Fussballverband hat sich bei der Angelegenheit klar positioniert und geht sehr proaktiv vor. Er hat sich seit mehr als zwei Jahren für Verbesserungen vor Ort eingesetzt und ein Statement verfasst, hinter dem wir voll und ganz stehen. Den Spielern und mir als Trainer steht es frei, sich direkt einzubringen oder sich allein auf den Sport zu fokussieren. Ich entscheide mich jetzt aufgrund meiner Aufgabe für das Zweite." (sda)

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