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FUSSBALL

Früher verboten, jetzt Trendsetter: So bricht der Frauenfussball in England Rekord um Rekord

Frauen war das Fussballspielen in England für 50 Jahre verboten, obwohl sie vorher Stadien füllen konnten. Die jetzige Generation sorgt für einen regelrechten Hype und will diesen nachhaltig weiterziehen.

Bereits auf dem Weg zum Stadion ist die Vorfreude spürbar. Links und rechts ist man von Fans umgeben. Noch vor Anpfiff gibt es Gänsehaut. Die ersten Töne von «North London Forever» ertönen und die Fans singen mit. Während des Spiels hört man die verschiedenen Fangesänge und muss selbst mitsingen und mitfiebern. Gute Aktionen auf dem Platz werden von den Fans auf der Tribüne gelobt und es ist unglaublich laut.

Es ist das diesjährige Saison-Eröffnungsspiel in der Women's Super League (WSL) zwischen Arsenal und Manchester City im Londoner Emirates Stadium, dem Heimstadion der «Gunners». Über 40’000 Fans vor Ort. Sogar noch lauter und besser ist die Stimmung bei den Derbys gegen Chelsea oder Tottenham Hotspur. Hohe Zuschauerzahlen und prickelnde Atmosphäre sind in England auch bei Fussballspielen der Frauen fast schon die Regel und nicht mehr die Ausnahme. Und heben den Frauenfussball hier vom Rest Europas ab.

Volle Ränge bei Spielen in England sind keine Seltenheit mehr.
Bild: Isabel Infantes/EPA

Ja, die Sichtbarkeit des Frauenfussballs in England wurde in den letzten Jahren immer grösser und grösser. Ausschlaggebend dafür waren die Olympischen Spiele in London 2012. Und seit der EM 2022 in England und dem EM-Titel der Engländerinnen werden die Zuschauerrekorde immer wieder gebrochen. Mittlerweile spielen auch die «Lionesses», wie das Frauennationalteam in England genannt wird, regelmässig in einem sehr gut gefüllten Wembley-Stadion.

Dieser Erfolg und Popularität des Nationalteams haben auch dem FC Arsenal geholfen, da mehrere der «Lionesses» dort unter Vertrag stehen. Die Zuschauerzahlen der «Gunners» haben sich innerherhalb der letzten zehn Jahre mehr als verhundertfacht. «Die englische Liga ist momentan der ‹Place to be›. Sie wurde in den letzten paar Jahren immer besser», sagt Lia Wälti, Captain des Schweizer Nationalteams, in einem Interview , das über die sozialen Medien des Vereins ausgestrahlt wurde. «Als ich von der Bundesliga nach England wechselte, war die WSL noch etwas weniger hoch einzustufen», ergänzt Wälti.

Wälti spielt seit der Saison 2018/2019 in London. Somit hat sie die Veränderungen aus erster Hand mitbekommen. «Der Klub unterstützt den Frauenfussball mehr denn je», erzählt Wälti im selben Interview. Bei Arsenal rückten Männer und Frauen immer enger zusammen. Anders als bei vielen Schweizer Spitzenvereinen tritt Arsenal nach innen und aussen als Einheit auf. So benutzen die Frauen beispielsweise dieselben Trainingsplätze und den gleichen Kraftraum wie das Team der Männer.

Nach dem Sieg im Rückspiel des Champions League Viertelfinal gegen Real Madrid feiert Lia Wälti mit Alessia Russo (23).
Bild: Adam Davy/AP

Die Fans werden immer mehr

Aber warum funktioniert Frauenfussball in England so gut? Wer geht an Spiele der Arsenal-Frauen und warum? Was macht die Atmosphäre so speziell? Kathrine Harlow etwa, die seit über 20 Jahren Fan ist, erzählt: «Die Stimmung ist viel entspannter als bei Spielen der Männer. Es ist ein Safe Space.»

Im Allgemeinen, da sind sich die Fans einig, ist die Atmosphäre an den Spielen der Frauen viel entspannter als bei den Männern. Ausserdem gibt es weniger Vorfälle von Rassismus oder Homophobie. Dadurch fühlt man sich als Fan sicher. Es gibt viel weniger Diskriminierungsvorfälle. «Jeder fühlt sich sofort willkommen», erzählt Laura Craft. Sie besucht seit gut einem Jahr Spiele von Arsenal.

Auch Sam Hanlon ist angetan von der positiven Stimmung. «Bei den Frauen «pushed» man die eigenen Spielerinnen. Bei den Männern fühlt es sich so an, als sei das primäre Ziel, die Gegner fertig zu machen.» Hanlon besitzt für beide Teams, Frauen und Männer, eine Saisonkarte. Ähnliche Beobachtungen machen auch ausländische Besucher: Bei den Spielen der Frauen geht es viel mehr darum, das eigene Team anzufeuern.

Ebenfalls ein Grund, warum Fans zu Spielen der Frauen gehen, ist, dass es bezahlbarer ist als Männerspiele. Je nach Premier-League-Klub hat man bei den Männern als aussenstehende Person fast keine Chance, sich Tickets zu kaufen, da man beim Klub eine Mitgliedschaft haben muss. Bei den Frauen ist das anders, es gibt zwar Saisonkarten, aber man kann auch als neutrale Person ohne Probleme ein Ticket kaufen. Bei den Frauen kostet ein Ticket rund 20 Pfund.

Ausserdem sagen die meisten, es fühle sich super an, ein Teil von etwas Grösserem zu sein und zu sehen, wie sich der Frauen-Fussball in England und in der Welt weiterentwickelt.

Arsenal Women FC als Trendsetter

Arsenal ist immer noch das einzige Team aus England, welches die Champions League gewinnen konnte. In Wältis erster Saison in London gewann Arsenal die WSL, die höchste Spielklasse Englands. Seit diesem Triumph fehlt den «Gunners» jedoch der richtig grosse Titel. Zwar gewannen sie in den Saisons 2022/23 und 2023/24 den Ligacup, aber zogen in den anderen Wettbewerben jeweils den Kürzeren.

Arsenal ist der erfolgreichste Club in England

Einen Auswahl der Titel welche Arsenal über die Jahre gewinnen konnte:
Meistertitel: 1992/93, 1994/95, 1996/97, 2000/01, 2001/02, 2003/04, 2004/05, 2005/06, 2006/07, 2007/08, 2008/09, 2009/10, 2011, 2012, 2018/19 (15x).
Ligacup: 2011, 2012, 2013, 2015, 2017/18, 2022/23, 2023/24 (7x).
FA Cup: 1992/93, 1994/95, 1997/98, 1998/99, 2000/01, 2003/04, 2005/06, 2006/07, 2007/08, 2008/09, 2010/11, 2012/13, 2013/14, 2015/16 (14x).
Champions League (Uefa Womens-Cup): 2006/07 (1x).

Trotz der Titelflaute der letzten Jahre sind die Fans auch bei Auswärtsspielen von Arsenal zahlreich vertreten – sogar im Ausland. Zu sehen zum Beispiel beim Champions-League-Viertelfinal gegen Real Madrid Mitte März. Um die 300 Fans sind unter der Woche nach Madrid gereist, um das Team zu unterstützen. Mit ihren Fangesängen sorgten sie für Arsenal in Madrid für eine Heimspiel-Atmosphäre.

Apropos Fangesang: Jede Spielerin hat mindestens einen Song, welcher nach Toren oder guten Aktionen angestimmt wird. Vor jedem Spiel singen die Fans «North London Forever». Das Lied wird auch bei den Männern jeweils vor dem Spiel gesungen.

Das Emirates als Hauptheimstätte für die Frauen

Die wachsende Popularität hat dafür gesorgt, dass vor Beginn der aktuellen Saison bekannt wurde, dass acht der elf Ligaheimspiele im grossen Emirates Stadium ausgetragen werden. Da Arsenal die Gruppenphase der Champions League überstand und sich für K.-o.-Spiele qualifizieren konnte, finden diese Partien ebenfalls im Emirates Stadium statt. Das zahlt sich aus: Für das Hinspiel des Champions-League-Halbfinals gegen Olympique Lyonnais Féminin vom 19. April wurden in den ersten 24 Stunden bereits mehr als 20'000 Tickets verkauft.

Seit einigen Jahren spielen die Frauen von Arsenal regelmässig im Emirates. Erstmals ausverkauft (60'063) war das Stadion beim Champions-League-Halbfinal gegen Wolfsburg vor zwei Jahren. Und in der WSL war das Emirates erstmals am 17. Februar 2024 ausverkauft, als Arsenal auf Manchester United traf.

Seit diesem Spiel war es immer Mal wieder fast ausverkauft, so zum Beispiel bei Derbys gegen Chelsea oder Tottenham. Damit wurden regelmässig neue Zuschauerrekorde aufgestellt und Arsenal hat mit 36'793
den besten Zuschauerschnitt der WSL. Dies ist höher als Klubs aus der Premier League der Männer. Und noch ein Vergleich innerhalb des Fussballs der Frauen: In der deutschen Bundesliga verfolgen im Durchschnitt 2555 Fans die Spiele, in der Schweiz sind es nur in Ausnahmefällen nicht dreistellige Zahlen.

Die Zuschauerzahlen in allen Ligaspielen der WSL übertrafen letzte Saison erstmals die Grenze von einer Million. Die Millionengrenze wurde zu Beginn dieses Jahres auch in Sachen Transfers durchbrochen. Im Januar wechselte Naomi Girma von San Diego Wave aus der amerikanischen Top-Liga für 1,1 Millionen Dollar zu Chelsea in die WSL, nachdem zuvor mehrere Transfers in den letzten Jahren in der Nähe dieser Marke gekommen waren.

Die Entwicklung in England

Um die Nachhaltigkeit im sportlichen Bereich zu sicherzustellen, haben die englischen Topteams bereits Akademien. Bis zu Beginn der nächsten Saison müssen alle Teams in der WSL und der Championship (zweithöchste Liga in England) ein Akademieprogramm haben. Damit will der englische Fussball-Verband den Mädchenfussball in England noch mehr fördern und sicherstellen, dass auch der nächsten Generation die für Entwicklung und Erfolg nötige Infrastruktur zur Verfügung steht.

Diese immer besser werdenden Bedingungen hatten frühere Generationen nicht. Im Jahr 1920 spielten die «Dick, Kerr Ladies» zwar vor über 50’000 Zuschauern, kurz darauf wurde der Frauenfussball in England aber verboten. Der Verband untersagte es Frauen, zwischen 1921 und 1971 Fussball zu spielen. Frauenteams konnten keine Plätze mieten und der Frauenfussball existierte offiziell nicht mehr. Erst auf Nachdruck der Uefa wurde das Verbot aufgehoben.

Danach dauerte es fast 50 Jahre, bis die höchste Liga professionell wurde, sprich alle Spielerinnen den Status von Vollzeitsportlerinnen bekamen. In der Schweiz können laut Schätzung nur rund 20 Spielerinnen vom Fussball leben und in Deutschland ist die Liga semiprofessionell, somit können nicht alle Spielerinnen vom Fussball leben.

Arsenal spielt regelmässig im Emirates Stadium vor zahlreichen Fans.
Bild: Isabel Infantes/EPA

Marketing und Sponsoring

Möglich machen das Vollprofitum der WSL gute TV-, Marketing- und Sponsoringdeals der WSL. Als Titelsponsor der Liga tritt derzeit die Bank Barclays auf. Der aktuelle Deal bezieht sich auf rund 15 Millionen Pfund pro Saison für die nächsten drei Jahre. Insgesamt sind es 45 Millionen bis 2028. Dies ist doppelt so viel wie der Deal, der noch bis Ende dieser Saison gilt.

Ebenfalls hat die Liga im Hinblick auf die neue Saison einen neuen TV-Vertrag mit BBC und Sky Sports abgeschlossen. Beide Verträge laufen bis 2030, insgesamt sind sie zusammen rund 65 Millionen Pfund wert. Der Vertrag bringt der Liga über 80 Prozent mehr Geld ein als der Deal zuvor. Dank des neuen Vertrags können endlich alle Spiele der Liga live übertragen werden. Einzelne Spiele sind exklusiv bei Sky Sports oder BBC zu sehen. Die restlichen Partien können bei Youtube im Stream verfolgt werden.

Einzelne Klubs haben selber einträgliche Partnerschaften mit verschiedenen Grossfirmen. Bei Arsenal zum Beispiel Mastercard, Il Makiage oder Cadbury, welche mit dem Team Werbung machen. Chelsea hat einen Deal mit der britischen Telekommunikationskette Three. Und Manchester City hat vor kurzem einen Vertrag mit der Neobank «Revolut» abgeschlossen.

Im Dezember 2024 erschienen zum zweiten Mal in Folge die offiziellen Panini-Sticker zur WSL. Wie bei den berühmten Panini-Alben bei Welt- und Europameisterschaften der Männer wurden die Spielerinnen aller Teams auf je zwei Doppelseiten abgebildet. Zudem gibt es von Panini dieses Jahr erstmals die «Adrenalyn XL»-Sammelkarten. Wie auch die Sticker sind diese Karten speziell für die WSL.

Doch der Vormarsch im Bereich Marketing endet nicht auf der letzten Seite des Sammelalbums. Arsenal etwas lancierte vor dem internationalen Frauentag dieses Jahr mit «AWFC» ein eigenes Mode-Label. Erstmals wurde eine Kleider-Kollektion speziell für Frauen herausgebracht. Es geht vor allem darum, Spielerinnen, Legenden und Fans zu feiern, die den Frauen-Fussball zu dem machen, was er jetzt ist.

Und last but not least: Letztes Jahr hat Stella McCartney, die Tochter der Beatles-Legende Paul McCartney, ein Trikot speziell für das Frauenteam entworfen. Das Trikot war nach kurzer Zeit ausverkauft. Grossbanken, TV-Giganten und eine Star-Designerin: Sie alle haben das grosse Potenzial von Englands Frauenfussball erkannt und entsprechende erhebliche Investitionen getätigt.

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