Nach dem ersten Kräftemessen in den Bergen klatschten sie ab, dann gingen sie beide ihres Weges: Herausforderer Jonas Vingegaard und Vorjahressieger Tadej Pogacar, der im Zentralmassiv das Maillot jaune erneut abgeben musste, diesmal an den Iren Ben Healy.
Gross zu kümmern, ob er das begehrte Textil einen Tag mehr oder weniger trägt, scheint es Pogacar nicht. Was zählt, ist, dass er sich Ende Juli auf den Champs-Élysées in Paris in Gelb einkleiden kann. Das ist sein Ziel. Aber eben auch: sein unmissverständlicher Auftrag.
Die Tour de France ist das bedeutendste Radrennen der Welt, das grösste jährlich stattfindende Sportereignis. Übertragen in 190 Ländern der Welt, erreicht sie in drei Wochen 3,5 Milliarden Menschen, 12 Millionen fiebern am Strassenrand mit. Sie ist: Mythos, Epos, Volksfest.
Nüchterner betrachtet: ein gigantisches Schaufenster für Sponsoren. Nirgendwo ist die Aufmerksamkeit grösser als im Sommer, wenn sich in Frankreich die besten Radfahrer der Welt messen.
Tadej Pogacar ist der Beste unter ihnen. Der Beste der Gegenwart, der Beste der Epoche, vielleicht sogar der Geschichte.
Dreimal hat der Slowene die Tour de France schon gewonnen. Das und nicht weniger wird auch in diesem Sommer von ihm erwartet. Oder noch konkreter: von seinem Arbeitgeber, dem UAE Team Emirates, wo er noch bis 2030 (!) unter Vertrag steht und jährlich 10 Millionen Franken verdienen soll.
Den Takt aber geben die Vereinigten Arabischen Emirate vor. Sie gelten als sehr stabil und sehr reich, aber auch als autoritär. Es gibt keine demokratisch gewählten Institutionen, keine freie Meinungsäusserung. Kritik an der Regierung oder dem Islam ist nicht erlaubt.
Es geht um Sportswashing. Darum, die Emirate als weltoffen und fortschrittlich zu inszenieren. Das Team ist nach dem Land benannt, auf dem Trikot prangen die vier Landesfarben Schwarz, Weiss, Rot und Grün.
Sportlich und organisatorisch hält ein Schweizer die Zügel in der Hand, der Tessiner Ex-Profi Mauro Gianetti. Weil er in der Vergangenheit für Teams verantwortlich zeichnete, die in Dopingfälle verwickelt waren, sagte Tour-de-France-Direktor Christian Prudhomme einst über den 61-Jährigen, er sei «ein Mann von schlechtem Ruf».
Seine wichtigste Aufgabe: die Geldgeber bei Laune halten. Sein wichtigster Fahrer: Tadej Pogacar. Für das Team der Ölscheichs ist er Gold wert: Er ist jung, erfolgreich, sympathisch, unpolitisch. Geht es um seinen Arbeitgeber, zieht er sich gerne auf den Standpunkt zurück, er sei kein Diplomat, sondern Sportler.
Stimmt. Als solcher ist er aber auch seinem Arbeitgeber verpflichtet. Und der will nun einmal, dass Pogacar die Tour de France bestreitet und gewinnt.
Wobei der 26-Jährige zuletzt auch durchblicken liess, dass das nicht mehr nur Vergnügen, sondern auch Bürde ist. Vor dem Start in Lille weilte er für vier Tage zu Hause in Monte Carlo, «bevor dieser ganze Schlamassel» losgeht.
Nach der ersten, zuweilen chaotischen Woche sagte Pogacar, er sei «einfach nur froh, diese hektischen Tage» hinter sich zu haben. Mehr als einmal äusserte er Unverständnis über die forsche und offensive Fahrweise des Teams Visma um seinen Rivalen Jonas Vingegaard.
Einmal drückten die Niederländer aufs Tempo. Angeblich, um Tadej Pogacar im Gelben Trikot zu behalten, was um eine Sekunde misslang. Hintergrund: Wer führt, hat Verpflichtungen, muss zur Siegerehrung und Interviews geben. Bis zu zwei Stunden nimmt das alles in Anspruch. Zeit, die Pogacar lieber für Essen, Massagen und Erholung nutzt.
Auch die Streckenführung kritisierte er, allerdings mit dem ihm eigenen Schalk, als er sagte, er fahre erstmals die «Tour de Transfers», weil er so viel Zeit im Bus verbringe, um vom Ziel der einen zum Start der nächsten Etappe zu gelangen.
Die Angriffe des Vingegaard-Teams in der Etappe vom Montag bezeichnete er als «irritierend» und «nervig». Deshalb habe er entschieden, «selber einen besseren Angriff» zu starten. Später sagte er: «Sie haben es probiert.»
Ist es psychologische Kriegsführung? Möglich. Ist es Nervosität? Wohl eher nicht. Sicher ist: Pogacar wirkt schneller genervt, zuweilen abgelöscht, sicher nicht mehr so unbeschwert wie früher.
Dazu passt seine verhaltene Fahrweise. Nutzte er einst jede Möglichkeit zum Angriff, begnügte er sich bisher damit, die Konkurrenz zu kontrollieren und im Sprint zuzuschlagen, wie er es in der vierten und siebten Etappe getan hatte.
Viele glauben: Das war Kalkül und Pogacar wolle in den kommenden drei Tagen in den Pyrenäen zuschlagen und für eine Vorentscheidung sorgen. Am Donnerstag und Samstag kommt es zu Bergankünften, und am Freitag steht ein Bergzeitfahren auf dem Programm.
Gut möglich, dass Tadej Pogacar dann zuschlägt. Als Tanzbär der Ölscheichs.
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