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SKI-WM

Ein Blindflug zu Gold – oder warum Marco Odermatt trotzdem erneut Weltmeister wurde

Marco Odermatt arbeitet weiter an seiner Legende. Nach der Abfahrt gewinnt er an der WM auch den Riesenslalom. Dabei bleibt er einmal mehr cool. Mit Loïc Meillard steht ein weiterer Schweizer auf dem Podest.

Loïc Meillard (l.) freut sich mit Weltmeister Marco Odermatt über seinen zweiten Platz.
Bild: Jean-Christophe Bott / EPA

Manchmal ist das, was sie tun, auch für Künstler einfach nur Arbeit. Marco Odermatt ist schon schöner gefahren als im WM-Riesenslalom. In der WM-Abfahrt zum Beispiel, als er mit einem Auftritt nahe an der Perfektion Weltmeister wurde. Oder in Adelboden, wo er im Januar den Riesenslalom mit einem zweiten Lauf an der Grenze des Möglichen gewonnen hatte.

An diesem Freitag in Courchevel war bestimmt nicht alles perfekt. Und doch ist Odermatt erneut Weltmeister. Dieses Mal im Riesenslalom. Vor einem Jahr sagte Semyel Bissig, ein enger Freund von Odermatt und ebenfalls Skiprofi, zu dieser Zeitung: «Ich behaupte, es gibt einige Athleten, die so gut fahren können wie Marco. Den Unterschied macht er im Kopf.»

Der Österreicher Marco Schwarz fuhr einen grossen Teil des WM-Riesenslaloms besser als Odermatt. Doch am Ende wurde er Dritter. Geschlagen auch noch von Loïc Meillard. Weil Schwarz am Ende eben doch jenen entscheidenden Fehler zu viel machte. Bissig sagte: «Während andere in solchen Momenten zerbrechen, gewinnt Marco das Rennen.»

Ein Blindflug

Odermatt selbst sprach davon, dass dieser Sieg vor allem in seinem Kopf entstand. Weil er bereit war zu vergessen, dass er eigentlich müde ist. Dass er mit dem Titel in der Abfahrt bereits erreicht hat, was er sich für diese WM vorgenommen hatte – nämlich Weltmeister zu werden. Bei anderen würde das vielleicht zu einem Spannungsabfall führen. Nicht aber bei Odermatt. «Ich war bereit, Risiken einzugehen», sagte er. Und er tat es.

Als Odermatt zu seinem zweiten Lauf startete, war es bereits ziemlich dunkel auf der WM-Piste, die zu grossen Teilen im Schatten lag. «So einen Blindflug habe ich noch nicht oft erlebt», sagte er. «Ich weiss nicht, ob es an mir lag, aber ich hatte Mühe, klar zu sehen.» Doch der 25-Jährige blieb cool. Wie immer. «Ich weiss auch nicht genau, warum das so ist», sagte er.

Denn der Druck war einmal mehr maximal. Von fünf Riesenslaloms, die der Nidwaldner in dieser Saison bestritten hat, konnte er vier gewinnen. Einmal war er Dritter. Alles andere als Gold – es wäre eine Enttäuschung gewesen. Auch wenn er selbst sagte: «Ich war froh, dass ich in Führung lag, als ich ins Ziel kam. Und noch erfreuter, als ich realisierte, dass ich mit Loïc auf dem Podest stehen werde. Natürlich hofft man, dass es reichen könnte. Aber ich wäre auch mit Silber zufrieden gewesen.»

Dass dies nicht nur eine Platitüde ist, wie sie Sportler so oft verwenden, nahm man Odermatt durchaus ab. Denn anders als nach der Abfahrt, als er hochemotional reagierte, wirkte er nach dem Riesenslalom gefasst. Er selbst sagte: «Die beiden Titel kann man nicht vergleichen. Solche Gefühle wie nach der Abfahrt habe ich noch nie erlebt. Emotional ist das heute nicht einmal die Hälfte.» Eben auch, weil es für ihn nur eine Zugabe war.

Diesen Titel-Hattrick schafften nur zwei andere Schweizer

Nichtsdestotrotz arbeitet Odermatt weiter an seiner Legende. Zweifacher Weltmeister ist er nun bereits. Olympiasieger und Gesamtweltcupsieger ebenso. Nur zwei Schweizer haben diese Titel-Hattrick zuvor geschafft: Primin Zurbriggen und Carlo Janka. Dass Odermatt den Gesamtweltcup auch in diesem Winter gewinnen wird, scheint Formsache. Obwohl man mit solchen Aussagen aufpassen sollte. Odermatt selbst hat in Kitzbühel erlebt, wie wenig es braucht, damit ein Winter ganz anders verlaufen kann.

Damals zog er sich bei seinem Beinahe-Sturz eine Meniskusquetschung im linken Knie zu. Gut drei Wochen später gewann er die WM-Abfahrt. Jetzt ist er Doppelweltmeister. Und für viele ist es das Normalste der Welt. Weil das Phänomen Marco Odermatt so schwierig zu erklären ist und seine Brillanz darum manchen fast gottgegeben erscheint. Oder zumindest angeboren. Er selbst muss über diese Erklärungsversuche schmunzeln.

Odermatt gönnt sich nun eine kurze Pause, bevor er schon am Dienstag in die USA fliegen wird, wo am nächsten Wochenende in Palisades Tahoe ein Riesenslalom stattfinden soll. Als kein Problem bezeichnet er die kurze Zeit zur Erholung. Als einer, der drei Disziplinen fährt, ist er das gewohnt.

Ein Luftveränderung, die Meillard gutgetan hat

Noch kürzer wird die Regenerationszeit für Loïc Meillard ausfallen, der in Kalifornien ebenfalls einen Start plant, dazwischen aber am Sonntag auch noch den WM-Slalom bestreiten wird. Dabei war schon die Vorbereitung auf den WM-Riesenslalom alles andere als ideal. In den Tagen vor den Rennen lag der 26-Jährige drei Tage mit Fieber im Bett, und als er wieder ins Training einsteigen konnte, erwischte er einen Schlag auf den Fuss.

«Ich bin normalerweise keiner, der im Ziel total ausgepumpt ist», sagte Meillard, dem in Sachen Fitness im Weltcup kaum einer etwas vormachen kann. Dass er dann aber geschwächt den längsten Riesenslalomlauf der Saison (über 1,20 Sekunden) bestreiten musste, ging auch am Romand nicht spurlos vorbei. «Entsprechend froh war ich, dass der zweite Durchgang (Laufzeit: 1,14 Sekunden) etwas kürzer gesteckt war», sagte er.

Den zweiten Durchgang durfte der Schweizer-Trainer Helmut Krug ausflaggen. Bis zum Ende der vergangenen Saison gehörte Meillard wie Odermatt zur Trainingsgruppe des Österreichers. Doch für diesen Winter wechselte er in die Gruppe der Slalomspezialisten um Matteo Joris. Diese Luftveränderung hat ihm offensichtlich gutgetan. In dieser Weltcup-Saison stand Meillard schon fünfmal auf dem Podest und konnte Ende Januar in Schladming sein erstes Rennen in einer alpinen Kerndisziplin gewinnen.

Der vermeintliche Makel, dass Meillard zuvor seine grössten Erfolge in der Kombination und in Parallelrennen feierte, haftete ihm bis zu diesem Tag an. Vor zwei Jahren, an der WM in Cortina, gewann der heute 26-Jährige in beiden Disziplinen Bronze. Seinen zuvor einzigen Weltcupsieg errang er im Februar 2020, ebenfalls in einem Parallelrennen. Von den Trainern wurde Meillard immer wieder bescheinigt, dass er technisch zwar einer der besten Fahrer im Weltcup sei, anders als Odermatt aber kein Winnertyp. In diesem Winter ist Meillard auf bestem Weg, diese Vorurteile auszuräumen.

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