Mehr als 70 Jahre beträgt der Unterschied zwischen den jüngsten und den ältesten der gegen 14'000 Teilnehmenden beim Engadin Skimarathon. Am Start stehen Leistungssportler und Hobbysportler aus über 60 Ländern, die alle auf der gleichen Strecke laufen. Kaum ein Anlass wird dem Attribut Volkslauf stärker gerecht als der 1969 erstmals ausgetragene Engadiner.
Jede teilnehmende Person schreibt ihre eigene Geschichte. Wir präsentieren Ihnen einige Menschen und Episoden, die herausstechen:
Ueli Maurer: Zerrung verhindert Start
Im Skiclub Hinwil, wo er aufwuchs, schrieb alt Bundesrat Ueli Maurer als Bub einst die Liebesbriefe der anderen, weil er dies mit Abstand am besten konnte. Und seit Kindsbeinen ist der Langlauf seine grosse Liebe. Doch am Engadin Skimarathon nahm der heute 74-Jährige nie teil. Hatte er einfach «Kä Luscht»? Es liegt wohl eher daran, dass er jeweils am Wochenende davor beim 90 Kilometer langen Wasalauf in Schweden startete. Dafür schwänzte der Magistrat auch regelmässig Abstimmungssonntage. 2015, in seinem letzten Jahr als Sportminister, hatte Maurer sich für den Engadiner angemeldet, konnte aber wegen einer Zerrung nicht antreten. Stattdessen verfolgte er das Rennen aus dem Helikopter und versprach, im nächsten Jahr anzutreten. Dazu kam es aber nicht. So ist das im Leben: Maurers grosse Liebe gilt dem Wasalauf – und nicht dem Engadiner.
Françoise Stahel: Urgestein mit Attest
1937 in Frankreich geboren, kam sie 1957 nach Klosters, um Deutsch zu lernen – und ist bis heute geblieben. Erstmals auf Langlaufski, damals noch aus Holz, stand sie mit 28. Weil die Organisatoren skeptisch waren, ob eine Frau den Skimarathon laufen kann, musste Françoise Stahel (wie alle Männer übrigens auch) ein ärztliches Attest vorlegen. Bei der Premiere lief sie auf Rang 3 unter 40 Frauen. Neben Ruedi Nuolf und Fritz Meier ist die heute 87-Jährige eine von drei Teilnehmenden, die keinen Engadiner verpasst haben – aber die einzige Frau. Einmal ging sie mit Spezialschiene an den Start, weil sie sich kurz davor das Handgelenk gebrochen hatte. Fast nichts scheint das Urgestein des Engadiners aus der Spur zu bringen. Und auch 2025 steht Françoise Stahel am Start. Sie läuft den Halbmarathon.
Abraham Krieger: Mit künstlicher Hüfte am Start
Bis zum Alter von 45 rauchte er, und als Langläufer entdeckt wurde Abraham Krieger per Zufall in einem militärischen WK. Es hiess, er sei konditionell so gut beieinander, dass er ein Kandidat für die Divisionsmeisterschaften in Andermatt sei – im Langlauf. Nur: Krieger war alpiner Skifahrer, mit schmalen Ski war er noch nie unterwegs gewesen. 1972 ging er erstmals an den Start des Engadin Skimarathons – und danach immer wieder, 2024 bereits zum 50. Mal. Doch dann erlebte der Bauernsohn einen Sonntag zum Vergessen. Bei garstigen Bedingungen stürzte Krieger nach rund 24 Kilometern, konnte nicht mehr aufstehen und wurde aus dem Rennen genommen. Er war unterkühlt, seine Körpertemperatur betrug noch 28 Grad. Zwei Nächte verbrachte der 77-Jährige in Samedan im Spital. Dennoch steht Krieger 2025 erneut am Start. Trotz zweier künstlicher Hüftgelenke. Die Faszination für den Engadiner ist ungebrochen.
Rosmarie Kurz: Mit den Militärski des Mannes
Nichts, aber wirklich gar nichts deutete darauf hin, dass aus Rosmarie Kurz dereinst die Rekordsiegerin (sechs Erfolge zwischen 1972 und 1977) des Engadin Skimarathons werden könnte. Kurz kam 1940 in Winterthur zur Welt, als es sich gesellschaftlich nicht schickte, dass Frauen Sport treiben. Zur Langläuferin wurde sie durch ihren Mann. Vom Militär habe er einmal zwei Paar Langlaufski mit nach Hause gebracht, «und als in Winterthur Schnee lag, ist er ausgerückt – und ich sagte: Ich komme mit!», erzählte sie dem «Tages-Anzeiger». Zur Verblüffung beider sei die frühere Drogistin schneller gewesen als er. 1971 zog das Ehepaar ins Engadin, im Jahr darauf gewann Kurz erstmals den Skimarathon. Wegen Kniebeschwerden sattelte sie später um. Sprichwörtlich. Die heute 85-Jährige startete danach beim Giro d'Italia, der Tour de France und an Strassen-Weltmeisterschaften.
Dario Cologna: Den Start verschlafen
Mit vier Goldmedaillen ist Dario Cologna zusammen mit Simon Ammann der erfolgreichste Schweizer Olympionike bei Winterspielen. Und auch beim Engadin Skimarathon durfte er als Sieger vier Mal das Geweih eines Steinbocks in Empfang nehmen, das erste 2007. Als Favorit hatte Cologna schon im Jahr davor gezählt, nachdem er wenige Wochen zuvor Bronze bei der Junioren-WM gewonnen hatte. Doch als das Thermometer am Morgen des Rennens minus 20 Grad anzeigte und starker Wind blies, verschlief der Bündner tatsächlich den Start. Bis 2019 gewann Cologna den Engadiner vier Mal, letztmals in der Rekordzeit von 1:22:22 Stunden. Obwohl er 2022 zurücktrat, nahm er danach noch zwei Mal am Engadiner teil. Im Vorjahr wurde der 38-Jährige Vierter. 2025 steht er nicht auf der Startliste.
Petter Northug: Kurzfristig eingeflogen
Obwohl jeweils Teilnehmende aus über 60 Ländern an den Start gehen, ist der Engadin Skimarathon ein Schweizer Anlass für Schweizer geblieben. Erst 1980 gewann mit dem Schweden Ola Hassis ein Ausländer. Seither standen immer wieder international klingende Namen am Start. 2018 sollte der italienische Sprintstar Federico Pellegrino das Feld veredeln, musste aber absagen. Also zauberten die Organisatoren kurzerhand einen noch grösseren Namen aus dem Hut: Petter Northug. Am Samstag stieg der Norweger in Oslo spontan in den Flieger, übernachtete in Chur und wurde am Sonntag in der Früh über den Julierpass chauffiert. Ski hatte der langjährige Gegenspieler von Dario Cologna keine dabei, diese lieh er sich in Maloja von einem Kollegen. Am Ende lief der Norweger auf Rang 19.
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