Geil. Dominic Thiem sagt dieses Wort nach seinem Auftaktsieg bei den French Open immer wieder. «Ein geiler Ballwechsel», «ein geiles Gefühl» sei es gewesen in diesem Spiel gegen den oft aufreizend lustlos spielenden Bernard Tomic. Bald schon herrschen klare Verhältnisse und das Spiel hat den Charakter eines Schaukampfs. So entsteht dieser Ballwechsel, der wohl in keiner Rückschau fehlen wird: mit Schlägen zwischen den Beinen hindurch, mit Lobs, mit Sprints, mit einem Passierball am Schluss und stehenden Ovationen für den Österreicher. Er findet es einfach nur «geil».
Später sagt Thiem vor der österreichischen Journaille, er liebe das Spiel mit dem Publikum. Doch manchmal habe er es in der Vergangenheit übertrieben und zu oft gejammert. «Es schaut halt einfach Scheisse aus, wenn ich einen Dreck daherrede. Darum versuche ich, das abzustellen.» Im Vorjahr hat der 23-Jährige die Halbfinals erreicht. Er hat in Barcelona und Madrid erst im Final gegen Rafael Nadal verloren, in Rom hat er den neunfachen French-Open-Sieger sogar in die Knie gezwungen. Es muss, um es in Thiems Worten zu halten, ein geiles Gefühl gewesen sein.
«Ab jetzt mach ma des g’scheit»
Sein Trainer, Günter Bresnik (58), betreute früher Grössen wie Thomas Muster, Patrick McEnroe oder auch Boris Becker. Mit Becker ging es nicht lange gut. Nach anderthalb Jahren entliess er Bresnik, weil er «mich zu einem anderen Spieler machen» wollte. Bei Thiem ist das anders. Seit er acht Jahre alt ist, folgt die Karriere einem klaren Plan. Es ist nicht seiner, sondern jener von Bresnik. Thiem war ein guter Junior, als er ihn unter seine Fittiche nahm und alles veränderte.
«Ich war elf, da hat Günter gesagt, ab jetzt mach ma des g’scheit», erinnert sich Thiem an diese Begegnung. Er stellt seine Rückhand von beidhändig auf einhändig um, heute sein gefährlichster Schlag. Die Philosophie beschreibt Thiem im Vorwort zu Bresniks Buch, «Die Dominic-Thiem-Methode», das er seinem «Musterschüler» gewidmet hat: «Volle Post. Das hiess: auf jeden Ball mit ganzer Kraft draufdreschen. Stundenlang. Nur eine Aufgabe: Punkte schiessen. Oder Fehler machen.» Thiem und seine Eltern, die Tennislehrer sind, vertrauen Bresnik trotz Misserfolg blind.
Als grösste Stärke beschreibt Bresnik Thiems Fleiss. Noch nie habe er gefragt, wie lange das Training noch dauere. Er absolvierte Waldläufe in der Nacht oder schleppte Baumstämme. «Ich wollte eine Art Bootcamp-Atmosphäre. Keine Massagen, keine Auflockerung. Er sollte müde ins Bett, müde ins nächste Training, müde ins nächste Match gehen», schreibt Bresnik über eine Turnierwoche 2016 in Nizza. Es ist die Woche vor Paris. Thiem gewinnt und erreicht zwei Wochen später in Paris die Halbfinals.
Die «New York Times» bezeichnet Thiem unter anderem deswegen als «Hardest-Working-Man in Tennis». Selbst vor dem Militärdienst, den er von November 2014 bis April 2015 absolviert, drückt er sich nicht. Auch heute folgt er Bresniks Masterplan blind.
Günter Bresnik, Trainer von Dominic Thiem
«Ich wollte eine Art Bootcamp-Atmosphäre. Keine Massagen, keine Auflockerung. Er sollte müde ins Bett, müde ins nächste Training, müde ins nächste Match gehen»
Dass er 2016 bis in die Halbfinals vorstossen würde, war in diesem Plan nicht vorgesehen, deswegen bestritt Thiem damals auch noch die Doppel-Konkurrenz. Erst in zwei bis fünf Jahren hätte er um die grossen Titel mitspielen sollen, doch er ist diesem Plan weit voraus.
Deswegen verzichtet er im August auch auf die Teilnahme bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro. «Für mich gibt es zurzeit andere, wichtigere Ziele als Olympia.» Fünf Titel hat er schon gewonnen, vier davon auf Sand. Doch die grossen Trophäen fehlen ihm noch. Das soll sich ändern. Auch deswegen verzichtete der Mann, dem die österreichischen Medien in Anlehnung an seinen Vornamen den Kosenamen «Dominator» gegeben haben, zuletzt auf eine Titelverteidigung in Nizza. Thiem wird zugetraut, dereinst in die Fussstapfen von Thomas Muster zu treten, der 1995 in Paris gewann und sechs Wochen die Nummer eins der Welt war.
In der Jahreswertung belegt Thiem vor den French Open den dritten Platz, hinter den entrückten Rafael Nadal und Roger Federer, aber noch weit vor Titelverteidiger Novak Djokovic oder Andy Murray. Neben Alexander Zverev, der allerdings noch nie die zweite Woche eines Grand-Slam-Turniers erreicht hat und gestern ausschied, gilt Thiem als eines der Gesichter der Zukunft. «Siegen kann man lernen», schreibt Bresnik. «Dominic», sagt er bei der Vernissage seines Buchs, «ist meine gelungenste Arbeit, aber kein Meisterwerk.» Das ist er wohl erst als Sieger eines Grand-SlamTurniers.
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