Wäre Buchhalter Nötzli Eishockeytrainer geworden – er hätte wohl mehr oder weniger Aussehen und Charisma von Roger Bader gehabt. Und vielleicht ist das ja gerade das Erfolgsgeheimnis des Winterthurers: Wohl nur ein nüchterner «Buchhalter-Typ» ist dazu in der Lage, in wenigen Jahren aus der Operetten- und Kaffeehaus-Kultur des österreichischen Eishockeys eine ernstzunehmende Hockey-Macht zu formen. Mit einem Gespür für Ironie pflegt er zu sagen: «Wir Schweizer gelten in Österreich als nüchtern und sachlich. Das hilft mir. Ich muss hier immer wieder Bescheidenheit anmahnen. Das Ziel für uns ist nach wie vor der Klassenerhalt.»
Er wohnt juristisch nach wie vor in Kloten (wo er einen Teil seiner Steuern zahlt). Drei von vier Wochen verbringe er in Wien. Dort hat der österreichische Verband seine Büros. Aber hierzulande ist das Wunder, das er in Österreich vollbracht hat, weitgehend unbeachtet geblieben. Das ändert sich nun: Roger Bader fordert Patrick Fischer am Donnerstag in Herning im Viertelfinal heraus (16.20 Uhr).
Der Schweizer löst die «Kaffeehaus-Revolution» aus
Als Roger Bader 2016 Nationaltrainer wird, beginnt er, das sorglose «Kaffeehaus-Hockey» zu strukturieren. Inzwischen pflegen die Österreicher ein aktiv umgesetztes Defensivsystem und schnelles Umschaltspiel. Durchaus vergleichbar mit dem taktischen Grundmuster der Schweizer und auch ein wenig inspiriert von seinem Mentor Arno Del Curto.
Roger Bader hat das Glück, dass eine neue Generation von Spielern seine Philosophie umsetzt. Für den Entwicklungsschub, den im Ausland (NHL) erfolgreiche Spieler in der Schweiz ausgelöst haben, sorgen bei den Österreichern Stars aus unserer National League. Wo wäre Hockey-Österreich ohne die Entwicklungshilfe der Schweizer? Nach wie vor im Kaffeehaus.
Mit Dominic Zwerger (Ambri), Bernd Wolf (Kloten), Benjamin Baumgartner (SCB) und Vincenz Rohrer (ZSC Lions) prägen vier NL-Profis das Team. Die vier haben 10 der 21 Treffer bei dieser WM erzielt und Dominic Zwerger hat hier in Herning in 7 Spielen 3 Tore beigesteuert – gleich viele wie diese Saison in 54 Partien für Ambri. Sie haben in den Schweizer Junioren-Ligen ihren ersten Schliff erhalten und gelten dank einer Schweizer Lizenz in der National League nicht als Ausländer. Mit dem österreichisch-schweizerischen Doppelbürger Olivier Achermann aus dem Kanton Uri und Profi bei La Chaux-de-Fonds hat es auch einer aus unserer zweithöchsten Liga ins WM-Team geschafft.
Diese Spieler kommen aus einem Umfeld, in dem Eishockey ernst genommen wird und sie prägen die neue Kultur. Die einstige Kaffeehaus-Gemütlichkeit ist durch professionellen Ehrgeiz ersetzt worden. Mit Marco Kasper steht sogar ein Stürmer im Team, der es über die Junioren in Schweden bereits bis in die NHL geschafft hat. Die von Schweizern ausgelöste «Kaffeehaus-Revolution» hat Österreichs Eishockey endlich, endlich konkurrenzfähig gemacht.
Österreicher fegen im Entscheidungsspiel die direkte Konkurrenz vom Eis
Und nun als vorläufige Krönung dieser Revolution der WM-Viertelfinal gegen die Schweiz. Dank einem 3:2-Penalty-Sieg gegen die Slowakei einem 6:1 gegen Lettland im letzten Gruppenspiel am 20. Mai.
Vor einem Jahr hatte Roger Bader mit dem Team die Viertelfinals durch eine Niederlage im letzten Gruppenspiel gegen die bereits zum Abstieg verurteilten Briten verpasst. Und nun wird das zuvor punktgleiche Lettland im alles entscheidenden Spiel 6:1 vom Eis gefegt. Das mag die schon fast atemberaubende Entwicklung dokumentieren.
Was Ralph Krueger und Patrick Fischer in unserem Eishockey, das hat Roger Bader in Österreich bewirkt. In der Doppelfunktion Sportdirektor/Nationaltrainer ist der wichtigste und mächtigste Mann im österreichischen Eishockey. Er vereint die Ämter auf sich, die in der Schweiz Lars Weibel und Patrick Fischer ausüben. Nach dem Motto: «Raus aus dem Kaffeehaus, rein in den Kraftraum» dem österreichischen Eishockey den grössten Professionalisierungs- und Leistungsschub der Geschichte beschert. Wahrlich, mit Roger Bader rockt es auf dem Eis zwischen Feldkirch und Wien.
Wieso ein Teil des Erfolgs auch Arno Del Curto gehört
Eine gewisse Beachtung seiner sporthistorischen Bedeutung in Österreich verdankte der Vater von SCB-Stürmer Thierry Bader (nächste Saison bei den ZSC Lions) hierzulande eigentlich Arno Del Curto. Zu Roger Baders Coaching-Team gehörte bei den drei letzten WM-Turnieren 2022, 2023 und 2024 sein Freund Arno Del Curto (68). Auf die diesjährige WM hat der ehemalige ZSC- und HCD-Trainer im Ruhestand verzichtet.
«Obwohl er diese Saison noch nie dabei war, hatte ich gehofft, dass Arno bei der WM wieder dabei sein wird. Aber nun hat er abgesagt.» Nach einer Hüftoperation ist Arno Del Curto noch nicht hundertprozentig fit.
Roger Bader hat keinen Ersatz für seinen Freund nominiert: Der Boshafte würde sagen: Die des Hofnarren, der für gute Laune sorgt. Und Arno Del Curto kann sowieso niemand ersetzen. Erst im Windschatten seines charismatischen Assistenten ist Roger Bader in den letzten drei Jahren ein wenig zu eidgenössischer Medienpräsenz gekommen. Nun funktioniert er in Stockholm auch ohne Arno Del Curto. Das freut ihn ein wenig. Mit Sinn für Ironie fügt er an: «Sonst heisst es wieder: Dank Arno Del Curto … »
Roger Bader ist in der Schweiz während seiner ganzen Karriere unter dem Radar der medialen Aufmerksamkeit geflogen. Erst war er Arno Del Curtos Assistent und Schattenmann beim ZSC und der bis dahin grössten Playoff-Sensation 1992 (Triumph gegen Lugano). Dann arbeitete er während Jahren als Assistent von Wladimir Jursinow in Kloten, war zweiter Mann an der Bande bei Gottéron und sammelte Erfahrung als Junioren-Nationaltrainer. Immer abseits des Scheinwerferlichtes.
Bevor er in Österreich zum Hockey-Kaiser aufgestiegen ist, war er nur einmal Chef. Aber sozusagen nur im Dorfe. Während sieben Jahren hatte er Uzwil zum HC Davos des Amateurhockeys gemacht. Und einen 16-jährigen Junior namens Mathias Seger zum ersten Mal im Erwachsenenhockey eingesetzt. Es ist wohl diese Erfahrung auf allen Stufen und die ihm eigene Bescheidenheit, die es ihm nun möglich machen, die verschiedensten Interessen zu bündeln und einen Verband voranzubringen.
Jetzt muss Bader den medialen Ruhm nicht teilen
Roger Baders Vertrag läuft in einem Jahr aus. Die WM 2026 in Zürich und Fribourg wird ihm doch noch einen Auftritt auf der grossen Bühne in unserem Land bescheren. Und er schliesst nicht aus, dass Arno Del Curto dann noch einmal dabei sein wird. Sozusagen als letztes Hurra für den HCD-Kulttrainer. Roger Bader würde dann halt wieder nur Arnos Schattenmann sein.
Aber daran hat er sich ja gewöhnt und kann gut ohne Scheinwerferlicht sein. Und am Donnerstag im Viertelfinal gegen die Schweiz ist ja Arno Del Curto nicht dabei. Der mediale Ruhm muss Roger Bader für einmal nicht teilen. Die Ausgangslage ist klar: Mit rund 8000 lizenzierten Spielern (Schweiz knapp 30'000) und Platz 13 in der Weltrangliste (Schweiz 5.) ist Österreich vergleichsweise ein Hockey-Zwerg. Eine Niederlage in einem WM-Viertelfinal gegen Österreich wäre die schmählichste der Neuzeit und Patrick Fischer würde den Schwefelgeruch einer solchen Blamage lange nicht mehr aus den Kleidern bringen.
Eishockey-WM: Die Viertelfinals (alle Spiele am Donnerstag)
16.20 Uhr: Schweiz – Österreich
16.20 Uhr: USA – Finnland
20.20 Uhr: Schweden – Tschechien
20.20 Uhr: Kanada – Dänemark
PS: Unsere WM-Geschichte der letzten 30 Jahre ist auch durch Dramen gegen Österreich geprägt: 1995 stiegen wir nach einem 0:4 und 4:4 gegen Österreich in der Relegationsrunde in die B-WM ab. 2015 verloren wir in den Gruppenspielen in Prag 3:4 nach Penaltys. 2018 siegten wir in Kopenhagen erst in der Verlängerung 3:2 und vor einem Jahr reichte es in der Vorrunde «nur» zu einem 6:5. Trotzdem: Im Falle einer Viertelfinalniederlage hier in Herning müsste die Geschichte der «Ära Patrick Fischer» wohl in Teilen neu geschrieben werden…
Kommentare
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien, die Kommentare werden von uns moderiert.
Zu diesem Thema wurden noch keine Kommentare geschrieben.