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Analyse

Die Premier League hat sich ganz dem Geld verschrieben - jetzt rächt sich das

Am Wochenende trafen in der Premier League Chelsea und Newcastle aufeinander. Nach den Sanktionen gegen Roman Abramowitsch steht das Spiel sinnbildlich dafür, was in England schief läuft. Und wie wenig man hinschaut, wenn jemand mit dem grossen Portemonnaie kommt.

Hier gibt es nichts mehr zu kaufen: Fanshop des FC Chelsea, des konfiszierten Fussballklubs.
Bild: Kirsty Wigglesworth / AP

Sonntagnachmittag im Westen Londons: An der Stamford Bridge spielt Chelsea gegen Newcastle, Premier League, Spieltag 29. Das ist auf den ersten Blick ein Fussballspiel wie jedes andere. Aber auf den zweiten ist es etwas ganz anderes. Nämlich ein Sinnbild dafür, wie sehr sich der englische Fussball dem Geld verschrieben hat. Und welchen Preis das für ihn haben kann.

Chelsea ist an diesem Nachmittag das Heimteam, die Spieler laufen in den blauen Leibchen ein. Alles wie immer, aber eben: nur auf den ersten Blick. Denn seit letzter Woche ist Chelsea ein Klub, der vor einer höchst ungewissen Zukunft steht. In dem nichts mehr ist, wie es war. Das liegt an den Sanktionen, die von der britischen Regierung gegen seinen Besitzer, den russischen Oligarchen Roman Abramowitsch, verhängt worden sind.

Dieser Abramowitsch gilt als enger Vertrauter von Wladimir Putin, dem russischen Präsidenten, der gerade einen brutalen Krieg gegen die Ukraine führt. Für die britischen Behörden ist klar, dass es eine enge Verbindung zwischen dem Kriegsherrn und dem Oligarchen gibt, und zwar seit Jahrzehnten. Und Abramowitsch seinen Reichtum zumindest teilweise dem Kreml verdankt. Er habe «eine Vorzugsbehandlung» von Putin und dessen Regierung erhalten.

Der beste Klub der Welt, konfisziert wie eine Yacht im Mittelmeer

Deshalb hat die britische Regierung am Donnerstag sein Vermögen auf der Insel eingefroren. Dazu gehört auch der FC Chelsea. Der ist als Champions-League- und Klub-WM-Sieger der beste Fussballklub der Welt. Und nun konfisziert von den Behörden, wie eine Yacht im Mittelmeer.

An der Stamford Bridge mussten sie am Donnerstag zuerst einmal den Fanshop schliessen, weil Chelsea nun kein Geld mehr einnehmen darf. Zu den Heimspielen sind nur noch Saisonkarten-Besitzer zugelassen, Tickets für Auswärtsfans werden keine mehr verkauft. Auch Transfers und Vertragsverlängerungen sind verboten. Selbst die Ausgaben für Reisen wurden gedeckelt.

Immerhin: Bis Ende Saison darf Chelsea weiterspielen und laufende Kosten wie Spielerlöhne decken. Es hätte durchaus noch schlimmer kommen können. Dass es das nicht wurde, liegt nur daran, dass Fussball in England ein Kulturgut ist. Doch was wird aus dem Klub, was aus seinem geplanten Verkauf? Wie lange reicht das Geld? Gibt es ihn in ein paar Monaten überhaupt noch?

Es ist eine feine Ironie des Schicksals, dass Chelsea ausgerechnet zum Abschluss dieser Woche, wie sie ein Fussballklub noch nie erlebt hat, auf Newcastle United trifft. Der Klub gehört seit ein paar Monaten dem saudi-arabischen Staatsfonds PIF – dem Staatsfonds jenes Landes, das in einen jahrelangen, blutigen Krieg im Jemen verwickelt ist.

Der englische Fussball stellt sich blind

Chelsea gegen Newcastle. Hier ein Krieg, dort ein Krieg. In der Premier League gibt es zwar einen Eignungstest, den Interessenten bestehen müssen, bevor sie einen Klub kaufen können. Doch das Prozedere ist zahnlos. Im Fall von Newcastle gab man sich mit der Versicherung zufrieden, dass der Staat Saudi-Arabien den Klub, der seinem Staatsfonds gehört, nicht kontrollieren werde. Alles klar? Es ist das jüngste Beispiel dafür, wie blind der englische Fussball sich gerne stellt, wenn jemand mit dem grossen Portemonnaie kommt.

Sport und Politik, das betonen Sportfunktionäre gerne, hätten nichts miteinander zu tun. Wahrer wird der Satz auch dann nicht, wenn man ihn tausendfach wiederholt, er bleibt eine lächerliche Floskel. Viel politischer als bei Chelsea gegen Newcastle wird es nicht mehr. Auch wenn das den Machern des Hochglanz-Produkts Premier League nicht passt.

Sie vermarkten ihre Liga als beste der Welt, als Spektakelmaschine, und das mit durchschlagendem Erfolg: Gerade aus dem Ausland fliessen immer mehr TV-Milliarden nach England, alle anderen Fussballligen Europas sind längst abgehängt. Stören darf diese Party niemand. Aber nun zeigt sich allmählich, dass die falschen Gäste eingeladen wurden.

Die Ära Abramowitsch ist beschmutzt

Abramowitsch besitzt Chelsea seit fast 20 Jahren. Er hat im englischen Fussball eine neue Ära eingeleitet: die des Fussballklubs, der mit Investorengeld an die Spitze katapultiert wird. Es ist ein Modell, das Chelsea viele Titel beschert hat und das längst auch andernorts kopiert worden ist. Zum Beispiel bei Manchester City, das in katarischen Händen ist. Bei Newcastle United. Und anderen Klubs, die etwa chinesischen Investoren gehören.

Das Beispiel von Chelsea zeigt, dass dieses Modell einen hohen Preis haben kann. Dass es sich rächen kann, wenn man nicht so genau hinschaut, wo das viele Geld herkommt. Vielleicht nicht heute, vielleicht auch nicht morgen, vielleicht auch gar nie. Aber vielleicht eben schon. Und auch wenn die vielen Pokale in der Vitrine von Chelsea bleiben: Sie sind nun beschmutzt. Die Abramowitsch-Ära war eine glanzvolle, aber natürlich muss bei ihrer Bewertung das Ende eine Rolle spielen.

Das Spiel gestern endet übrigens mit 1:0. Für wen? Ach, ist doch egal.

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